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Erste Risse in der Hochpreisinsel Schweiz

Raus aus dem Regal: Werbewirksam sagt Coop überteuerten Markenartikel aus dem Ausland den Kampf an. Keystone

Was Konsumentenschützerinnen und dem Preisüberwacher während Jahren nicht gelang, schafft jetzt der starke Franken: Massiv überteuerten Importprodukten geht es in der Schweiz an den Kragen. Experten fordern vom Bundesrat eine Vereinfachung des Kartellgesetzes.

Damenhose bei Charles Vögele: Kundinnen zahlen in der Schweiz 104% mehr als in Deutschland. Deo: Wer sich bei Coop damit eindeckt, entrichtet einen Aufschlag von 188% gegenüber demselben Produkt in Deutschland. Olivenöl: satte 225% zahlen Migros-Kunden mehr als im Laden in Bella Italia. Dies eine kleine Auswahl aus über 1000 Produkten, die unzufriedene Kunden bisher der Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) gemeldet haben.

Ins Rollen gebracht hatte die ganze Diskussion SKS-Geschäftsleiterin Sara Stalder, die Mitte Juli das Departement von Volkswirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann zur Einberufung eines Runden Tisches aufrief. Dieser reagierte prompt und beriet am 10. August mit allen Akteuren über Sofort- und längerfristige Massnahmen.

Den Worten Taten folgen lassen

Am Mittwoch nun will Schneider-Ammann den Worten Taten folgen lassen: Beobachter rechnen damit, dass er ein Massnahmenpaket des Bundesrats im Kampf gegen überteuerte Importprodukte präsentiert.

«Wir sind sehr stolz und glücklich darüber, dass es jetzt derart zügig vorwärts geht», sagt Sara Stalder gegenüber swissinfo.ch. Sie fordert von Schneider-Ammann, dass der Bundesrat die  Forderungen der SKS für sofortige Preissenkungen auf Importgütern rasch umsetzt.

Nur 20% sind Währungsgewinne

Vergrössert wird die Differenz der Produktepreise zwischen dem Ausland und der Hochpreisinsel Schweiz durch die aktuelle Frankenhausse. Die Spanne der von den Herstellern nicht weiter gegebenen Währungsgewinne beträgt rund 20%.

Coop ist als erstem der Kragen geplatzt: Die Nummer 1 des Schweizer Detailhandels hat per sofort 95 Artikel aus dem Sortiment genommen, ein Vorgang, der im Fachjargon Auslistung genannt wird. Reis, Kosmetika und Süsswaren bekannter Markenhersteller werden – solange Vorrat – zum halben Preis ausverkauft. Ob Migros es dem Konkurrenten gleichtun will, soll diese Woche bekannt werden.

Preisabsprachen Hersteller-Importeur

Als Schuldige für massiv überteuerte Importprodukte hat der ehemalige Preisüberwacher Rudolf Strahm namentlich vertikale Kartelle identifiziert. Das sind vertragliche Preisbindungen zwischen Herstellern und Importeuren.

In seinen Expertenkolumnen hat sich Strahm deshalb stets ein forscheres Vorgehen der Eidgenössischen Wettbewerbskommission (Weko) gegen solche Vertikalkartelle gewünscht.

Für Walter Stoffel, von 2003 bis 2010 Präsident der Eidgenössischen Wettbewerbskommission (Weko), hat die aktuelle Diskussion um überteuerte Importprodukte und deren Entfernung aus den Verkaufsregalen dagegen wenig mit der Vertikalvertrags-Problematik zu tun. Eine solche entsteht laut dem Rechtsprofessor von der Universität Freiburg vor allem dort, wo ein Zwischenhandel eingeschaltet ist, was aber bei Migros und Coop selten der Fall sei.

«Was wir jetzt sehen, ist weniger ein ‹Boykott› als eine normale Reaktion in einer Marktwirtschaft. Erstaunlich ist nur, dass sie so lange auf sich warten liess», sagt Stoffel gegenüber swissinfo.ch.

Was vielmehr vorliege, sei eine öffentliche Vertragsverhandlung der Grossverteiler Coop und Migros/Denner mit ausländischen Markenherstellern. Die Schweizer Detailhändler hätten sich gegen die hohen Preise der Hersteller während der ganzen Franken-Hausse nicht durchgesetzt, wohl auch deshalb, weil sie über ihre Marge ebenfalls davon profitiert hätten, vermutet Stoffel.

«Wettbewerb spielt»

Die Wettbewerbskommission hatte sich stets mit dem Argument aus der Schusslinie genommen, dass in der Schweiz der so genannte Interbrand-Wettbewerb funktioniere. Dieser besagt, dass Konsumenten von einem teuren Markenprodukt aus dem Ausland auf einen billigeren Artikel umsteigen können.

Untätig ist die Wettbewerbshüterin aber nicht gewesen: 2009 hatte die Weko die Schweizer Herstellerin der Elmex-Zahnpasta gebüsst, weil sie günstigere Parallelimporte aus Österreich untersagt hatte.

Hängig ist zudem der Fall BMW. Seit letzten Oktober untersucht die Behörde, ob der deutsche Autokonzern den Direktimport von neuen Autos der Marken BMW und Mini in die Schweiz verhindert. Ist dies der Fall, droht BMW eine Busse in der Höhe von zehn Prozent des gesamten Umsatzes in der Schweiz in den letzten drei Jahren.

Zu komplexes Kartellgesetz

Strahm und Stoffel stimmen aber darin überein, dass das Schweizer Kartellrecht zu kompliziert abgefasst sei und eine wirksame Arbeit der Weko dadurch behindert werde. Zur Vereinfachung und Beschleunigung der Weko-Verfahren fordern beide deshalb eine Gesetzesrevision, wie sie auch Kosumentenschützerin Sara Stalder anstrebt.

Eine solche aber muss vom Parlament abgesegnet werden und kommt nur längerfristig in Frage. Stalder wie Strahm beharren deshalb als  Sofortmassnahme auch auf einer Änderung der Verordnung zum Kartellgesetz. Diese dringliche Massnahme kann der Bundesrat in Eigenregie beschliessen.

Das Kartellgesetz spreche von der dahingehenden Vermutung, dass die entsprechenden Vertikalverträge den Wettbewerb «beseitigen» würden, so Walter Stoffel. Meistens liege jedoch keine Beseitigung des Wettbewerbs vor, sondern lediglich eine Beeinträchtigung. «Besser wäre es zu sagen, dass derartige Vertikalverträge unzulässig sind», so der Vorschlag des ehemaligen Weko-Präsidenten.

Als noch besser erachtet Stoffel ein Verbot, das  auch für die harten Horizontalkartelle gelten müsste. «Eine solche Gesetzesrevision wäre sinnvoll und würde auch etwas bringen, vor allem, wenn sie mit der überfälligen Verfahrensrevision verbunden würde.»

Damit rennt Stoffel bei seinen Nachfolgern in der Weko öffene Türen ein. «Eine solche Gesetzesänderung würde unsere Arbeit sehr erleichtern», bestätigt Weko-Vizepräsident Patrik Ducrey auf Anfrage.

Die Stiftung für Konsumentenschutz SKS hat bereits vor einem Jahr Massnahmen gegen nicht weiter gegebene Währungsgewinne auf Importprodukten verlangt.

Nach dem Runden Tisch vom vergangenen 10. August hat die SKS dem Bundesrat einen Massnahmenkatalog mit fünf Punkten übergeben.

Ziel ist die sofortige Senkung der Preise um rund 20%, so viel, wie die ungerechtfertigten Währungsgewinne mindestens ausmachen.

Dazu gehören unter anderem:

«Öffentlicher Pranger»: eine Liste stark überteuerter Produkte von ausländischen Herstellern, geführt durch SKS oder Preisüberwacher.

Die Weko startet sofort mit exemplarischen Voruntersuchungen bei Konsumgütern, die massiv überteuert sind.

Die Weko muss mehr Handlungsspielraum erhalten. Dies geschieht mit einer Konkretisierung des Kartellgesetzes über Verordnungen.

Verschärfung des Kartellgesetzes (mittelfristige Massnahme).

Verbandsklagerecht für Konsumentenschutz-Organisationen.

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