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Experte kritisiert geplante Schranken bei Sterbehilfe

Laut Petermann müssen gewisse rechtliche Aspekte geklärt werden, so etwa die medizinische Substanz für Suizidhilfe., Keystone

Die Vorschläge der Regierung, die Suizidhilfe und Aktivitäten von Sterbehilfe-Organisationen in der Schweiz zu verbieten oder einzudämmen, lösen Kritik aus. Laut Frank Petermann, Experte für Medizinalrecht, werden sie den "Sterbetourismus" nicht verhindern.

Auch Sterbehilfe-Organisationen lehnten die Pläne der Regierung umgehend ab und bezeichnen sie als «überholt» und «bevormundend».

Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf hatte am Mittwoch zwei Gesetzes-Varianten vorgelegt. Entweder soll die organisierte Sterbehilfe verboten werden, oder Organisationen wie Exit oder Dignitas müssten sich an strenge Auflagen halten.

Erforderlich wären dann die Gutachten von zwei Ärzten, die belegen müssten, dass der Patient oder die Patientin an einer unheilbaren Krankheit leidet und sich den Entscheid, dem Leben ein Ende zu setzen, reiflich und freien Willens überlegt hat.

Die geplanten Schranken haben laut dem Justizministerium zum Ziel, dem so genannten «Sterbetourismus» einen Riegel zu schieben.

Suizidbeihilfe ist in der Schweiz seit den 1940er-Jahren zugelassen, falls sie von einer Person ausgeführt wird, die keinen persönlichen Vorteil aus dem Tod zieht. Rund 400 Personen wurden 2007 von Sterbehilfe-Organisationen in den Tod begleitet, ein Drittel von ihnen kam aus Deutschland und Grossbritannien.

swissinfo.ch: Braucht es gesetzliche Richtlinien, um die Sterbehilfe in der Schweiz zu kontrollieren?

Frank Petermann: Ich denke nicht. Es gibt aber gewisse rechtliche Aspekte, die es zu klären gilt. So die Anwendung der medizinischen Substanz bei der Suizidbeihilfe, von Natrium-Pentobarbital.

Abgesehen davon besteht aber kein Bedarf, ein Gesetz zu erlassen.

swissinfo.ch: Wieso kritisieren Sie die Sterbehilfe-Politik der Regierung als widersprüchlich?

F.P.: Vor drei Jahren, als ein anderer Justizminister im Amt war, entschied sich die Regierung gegen ein Gesetz. Jetzt hat sie ihre Meinung geändert und will die Sache angehen.

Zudem besteht ein Mangel an Suizid-Prävention, trotz der unbestreitbaren Tatsache, dass die gegen 67’000 gescheiterten Suizidversuche in der Schweiz Kosten von rund 2,4 Mrd. Franken pro Jahr verursachen.

Ein weiterer Widerspruch ist meiner Ansicht nach, dass die Regierung behauptet, das Gesetz ziele darauf ab, den Missbrauch zu verhindern. Es gibt aber keinen einzigen bekannten Fall, bei dem die aktuellen Vorschriften verletzt worden wären.

swissinfo.ch: Eine Variante schlägt ein totales Verbot von Sterbehilfe-Organisationen vor. Wie realistisch ist das?

F.P.: In einem totalitären Staat könnte dies die Vorgehensweise sein. Und manchmal bin ich erstaunt darüber, wie nahe wir an einem solchen System sind.

Ich bin keineswegs überzeugt davon, dass die Regierung die Option strikter Kontrollen über ein gesetzliches Verbot von Sterebehilfe-Organisationen wirklich anstrebt, wie dies das Justizministerium erklärte. Zudem würde ein Verbot gegen die Verfasssung verstossen.

swissinfo.ch: Könnte die vorgeschlagene Regulierung den Sterbetourismus verhindern und Menschen aus dem Ausland davon abhalten, zum Sterben in die Schweiz zu reisen?

F.P.: Nein. Ich habe gute Gründe dafür, dass die geplanten Massnahmen umgangen werden könnten. Mehr kann ich dazu leider nicht sagen.

Die vorgeschlagene Praxis hat Ähnlichkeit mit der Regierungspolitik während des Zweiten Weltkrieges. Damals wurden Menschen, die der Verfolgung entkommen wollten, an den Schweizer Grenzen abgewiesen. Die Geschichte wiederholt sich.

swissinfo.ch: Inwiefern sind die Vorschläge im Einklang mit den Grundrechten?

F.P.: Die Vorschläge verstossen sowohl gegen Bundesgerichts-Entscheide wie auch gegen die Europäische Menschenrechts-Konvention. Auch verletzen sie die Schweizer Verfassung.

Vom rechtlichen Standpunkt aus kann jeder Mensch frei entscheiden, wann und wie er sterben will.

swissinfo.ch: Teilen Sie die Meinung von Organisationen wie Exit oder Dignitas, dass die Vorschläge gegenüber Chronischkranken ungerecht seien, weil diese Patienten jegliches Recht auf Sterbehilfe verlieren würden?

F.P.: Das ist in der Tat ein gravierender Fehler im Gesetzesvorschlag, aber bei weitem nicht der einzige.

Es grenzt an Perversität: Chronischkranke wären nicht nur zum Leiden verdammt, man würde ihnen auch jegliche Hoffnung nehmen.

Urs Geiser, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Englischen: Gaby Ochsenbein)

Am 28. Oktober präsentierte die Regierung zwei Vorschläge zur Einschränkung der Suizidbeihilfe.

Ziel ist es, Missbrauch durch Sterbehilfe-Organisationen zu verhindern und den so genannten Tourismus von Sterbewilligen aus dem Ausland einzudämmen.

Die Vorschläge gehen nun für vier Monate in die Vernehmlassung, bevor der Bundesrat einen Gesetzesvorschlag vorlegt, der dann im Parlament zur Debatte kommt.

Schweiz: Sehr liberale Praxis. Passive Euthanasie (Einstellen einer Therapie, Abstellen von Maschinen) nicht strafbar.

Aktive Euthanasie gilt als Tötung und ist strafbar.

Deutschland: Suizidbeihilfe ist Ärzten untersagt.

Frankreich: Passive Euthanasie ist Ärzten und Angehörigen künftig erlaubt. Aktive Euthanasie aber weiterhin verboten.

Italien: Weder aktive noch passive Sterbehilfe sind erlaubt.

Niederlande: Entscheid liegt bei den Ärzten, deshalb sehr restriktiver Einsatz.

England: Restriktivste Regelung in Europa. Sterbehilfe ist gesetzlich nicht vorgesehen.

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