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Export-Stiefkind Mittelosteuropa

Lange Schlangen von Lastwagen, die Importgüter nach Polen bringen. Aber leider nicht aus der Schweiz. Reuters

Obwohl er vor der Haustür liegt und die Aussichten gut wären, vernachlässigt die Schweizer Exportwirtschaft den mittelost-europäischen Markt. Der Exportförderer Osec versucht, die Berührungsängste insbesondere der Kleinen und Mittleren Unternehmen (KMU) abzubauen.

Die Schweiz ist eine Exportnation der besonderen Art: Anders als in anderen Ländern führen nicht nur Konzerne Waren und Dienstleistungen aus, sondern auch kleine und mittlere Unternehmen (KMU), die so genannten Mittelständischen.

Die breite Produktpalette der KMU-Exporteure und die vielen Marktnischen haben der Schweiz schon mehrmals über eine Rezession hinweg geholfen – besonders dann, wenn die Nachfrage im eigenen kleinen Inlandmarkt stagniert hat – und kürzlich auch, als die Finanz- und Bankenkrise an den Grundfesten der Wirtschaft rüttelte.

So erreichten sogar im Rezessionsjahr 2009 die Exporte der Schweiz 181 Milliarden, was einen Drittel des Bruttosozialprodukts ausmacht. Die Ausfuhren sind also mehr als ein Rettungsanker in schwierigen Zeiten, sie sind ein fundamentaler Teil der Schweizer Wirtschaft.

Berührungsängste

Der Hauptharst aller Ausfuhren geht dabei in die so genannten alten EU-Länder und die USA. «Mittelosteuropa – eine vielfach unterschätzte Region – hat aber gerade für die KMU ein Exportpotenzial» sagte CEO Daniel Küng an einer Informationstagung der Osec in Zürich. Dort leben rund 90 Millionen Menschen, zumeist bereits im rechtlich und politisch geschützten EU-Raum:

Ihr Pro-Kopf-Einkommen mag zwar viel tiefer liegen als jenes der Schweizer. Dafür ist es, zumindest im Durchschnitt, auch stärker gewachsen, denn die Transformationsprozesse sind zum grossen Teil bereits durchlaufen.

Oliver Adler von der Credit Suisse beurteilt die Märkte ähnlich. Auch was die staatliche Verschuldung betreffe, sähen die Vergleichszahlen für die mittelosteuropäischen Länder ausser für Ungarn viel besser aus als für Länder wie Italien, wohin viele Schweizer KMU aber ohne Berührungsängste exportierten.

Der Exportförderer Osec hat deshalb einige jener Schweizer KMU, die in Mittelosteuropa seit längerem engagiert sind, zu einem Forum eingeladen, interessierten Wirtschaftsvertretern über ihre Erfahrungen Auskunft zu geben.

Unter ihnen «maxon motor» aus Sachseln, OW, die Antriebssysteme sogar für Mars-Sonden herstellt, Umbratec, SG, die auf Sonnenschutz-Storen, Schattentechnik und Ähnliches spezialisiert ist, Glas Trösch, AG, oder Reto Iten Metals, AG, die Maschinen handelt und verarbeitet.

Exportieren geht nicht ohne Investieren

Auffällig ist, dass alle vier Unternehmen, mit oder ohne Fördergelder aus der EU, den Export von Waren mit Direktinvestitionen im mittelosteuropäischen Land selbst verknüpft haben. So importiert zum Beispiel Umbratec heute ihre Sonnenschutz-Anlagen aus Tschechien in die Schweiz, und «maxon motors» lässt Teile ihrer Systeme in Ungarn herstellen.

Der Glasproduzent Trösch hat eingesehen, dass das an sich günstig herzustellende Glas wegen der teuren Logistik als klassischer Ausfuhrartikel teuer wird, weil es schwer wiegt und heikel zu transportieren ist. In der Folge stellte Glas Trösch in Polen für den mittelosteuropäischen Markt ein eigenes Werk auf.

Reto Iten Metals engagierte sich schon bald nach der Öffnung in den 90er-Jahren in Rumänien. Grund: Westliche Maschinenbauer hatten während des Kommunismus ihre Maschinen inklusive Baupläne in den Osten liefern müssen. In der Folge wurden sie dort nachgebaut (wie heute in China).

Und Reto Iten Metals fand deshalb nach der Wende in Rumänien Ingenieure und Spezialisten vor, die diese Maschinen bereits kannten und warten konnten. Heute schickt das Schweizer Unternehmen auch rumänische Ingenieure zur Reparatur dieser Maschinen in Drittmärkte nach Übersee.

An dem Forum wurde betont, dass Exportieren lange nicht nur aus dem blossen Verschiffen von Waren und Produkten bestehe. Erstens machen Reparaturen, Wartungen, Serviceleistungen und weitere Dienstleistungen rund ums Produkt einen immer grösseren Anteil des ausgeführten Wertes aus.

Und zweitens führen Logistikaufwand, Kunden-Vorgaben und Behördenwünsche an Ort oft dazu, dass aus «blossen» Schweizer Exporteuren mit der Zeit inländische Partner werden: «maxon motor» war in Ungarn auf ein lokales Treuhandunternehmen angewiesen, um die Buchhaltung den ungarischen Anforderungen anzupassen. Glas Trösch kam nicht umhin, mit der Zeit einen Einheimischen als Direktor einzustellen, weil dieser mit den lokalen Mentalitäten am besten umzugehen wusste.

Oft mehr Missverständnisse als Korruption

Trotzdem sei «die kulturelle Nähe gegeben», sagt die Mittelosteuropa-Spezialistin von Osec, Katalin Dreher, gegenüber swissinfo.ch. Mit der Kultur in diesem christlich-abendländischen Raum seien Schweizer Exporteure meist besser vertraut als mit jener in Übersee..

Dennoch bleibe viel Raum für Missverständnisse. Erwähnt wurde zum Beispiel das von Schweizer KMU oft bemängelte Nichteinhalten unterzeichneter Verträge.

«Schweizer können besser planen und Termine einhalten, Leute in Mittelosteuropa hingegen besser improvisieren» heisst ein Allgemeinplatz, der aber auch missverständliche Folgen haben kann: Vertrauen in die Planung könne nämlich unterschiedlich ausgelegt werden.

Sei der Vertrag einmal unterzeichnet, sei er für den Schweizer Unternehmer sakrosankt. Er vertraue dann darauf, dass sich die Gegenseite daran halte. Nicht so der osteuropäische Partner. Wenn diesem, im Interesse der Sache, nach der Unterzeichnung noch etwas Wichtiges einfalle, schlage er eine Vertragsänderung vor – falls er dem Schweizer Partner vertraue.

Alexander Künzle, swissinfo.ch, Zürich

Polen und Tschechien haben sich relativ gut von der jüngsten Wirtschaftskrise erholt.

Für 2010 erwartet man für die meisten Länder der Region positive Wachstumszahlen – Polen hat als einziges EU-Land auch 2009 ein positives Wachstum ausgewiesen.

Die Schweizer Exporte nach Polen und Tschechien wuchsen in den ersten sieben Monaten stark.

Polen: +17% (bis Juli 2010), Tschechien: über 20%.

Wichtigste Schweizer Branchen: Chemie/Pharma, Maschinen und Elektronik, Metalle, Metallwaren, Präzisionsinstrumente, Uhren.

Handelsvolumen zwischen der Schweiz und Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien: Über 10 Mrd. Fr (Ende 2009).

Deutschland: 19,5%
USA: 9,8%
Italien: 8,6%
Frankreich: 8,4%
GB: 4,7%
Japan: 3,8%
Spanien: 3,6%
Österreich/China: 3%

Zwischen 2008 und 2010 betrug das Einkommen pro Kopf in Dollar

in der Schweiz: 57’000
in der EU: 40’000
in Polen: 12’000

Sowohl Polen als auch die Schweiz haben ein nomineller Bruttoinlandprodukt von ungefähr 500 Mrd. Dollar.

Wobei Polen rund 40 Mio. und die Schweiz 7 Mio. Einwohner hat.

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