Finanzkrise bringt keine Einsicht in die Bankenwelt
Die Soziologin Claudia Honegger und Fachkolleginnen und -kollegen haben zur Finanzkrise Porträts aus der Bankenwelt verfasst. Das Buch "Strukturierte Verantwortungslosigkeit" zeigt ein Bild von uneinsichtigen Bankern, welche die Schuld immer auf "die anderen" schieben.
Die Schweizer Soziologin und die Mitautorinnen und -autoren sind mit ihren Forschungsteams in diese Welt eingedrungen und haben ihre Gespräche mit deutschen, österreichischen und schweizerischen «Finanzsoldaten» zu soziologischen Porträts verdichtet.
Es habe zwar von Anfang an – Ende 2008, Beginn 2009 – solche gehabt, die nicht mitmachen wollten, sagt Honegger gegenüber swissinfo.ch. «Jene, die mitgemacht haben, waren relativ auskunftsfreudig, offen. Sie waren zu langen, ausführlichen Gesprächen bereit, natürlich mit der Zusicherung der Anonymisierung und der Möglichkeit, das Porträt vor der Veröffentlichung noch anschauen zu können.»
Verantwortung abschieben
Die Banker seien sich zwar ihrer Mitschuld für die Finanzkrise bewusst, «doch gibt es eine starke Tendenz, sich selbst herauszunehmen und die Verantwortung woanders hinzuschieben – von den Privatbankern zu den Investmentbankern, zum Top-Management, zur Politik, zur menschlichen Gier schlechthin, zu den gierigen Kunden. Es sind also eigentlich immer die anderen schuld».
Am wenigsten scheinen sich die Konstrukteure der Finanzmodelle zu hinterfragen. «Diese strukturierte Verantwortungslosigkeit war bei ihnen tatsächlich besonders deutlich zu beobachten», so Honegger. «Diese Gruppe der sogenannten ‹Quants› (von quantitativ) sind auf einer Spielwiese, es sind mittlerweile Mathematiker und häufig promovierte Physiker. Sie berechnen oder strukturieren diese sehr komplizierten Produkte oder konstruieren Modelle für das Risikomanagement.»
Die ‹Quants› würden sich als Techniker, Ingenieure sehen, «die die Waffen schmieden. Und so wie die Waffenschmiede nicht an den Kriegen schuld sein wollen, tragen auch die ‹Quants› keine Verantwortung für ihre eigenen Produkte». Was die anderen Leute damit machten, sei nicht ihr Problem. Sie seien auch felsenfest davon überzeugt, dass die anderen Leute nicht verstehen würden, was sie eigentlich tun, «und schon gar nicht die Bankoberen».
Eine Art Söldnermentalität
Direkt nach dem Finanzkrisenschock, der Pleite der Lehman Brothers seien die Banker anfangs recht verunsichert gewesen, erklärt Honegger. Das seien sie wahrscheinlich zum Teil immer noch. «Die klassischen Banker, die sich als richtige Berater sehen, die einen ’sauberen› Job machen, die leiden extrem unter dem gesunkenen Ansehen ihres Berufes in der Öffentlichkeit. Die sehen hauptsächlich die Investmentbanker als die Schuldigen.»
Die Investmentbanker sind meist junge Männer. «Die haben eine Art Söldnermentalität. Sie sagen, wir setzen uns mit Haut und Haaren ein für diesen Job, wir verdienen viel, wenn wir es nicht tun, würde es jemand anderes tun, das ist halt mal so.»
Die Banker seien sich bewusst, dass ihr Image in der Öffentlichkeit heute miserabel sei, sagt Honegger. «Aber gerade die Investmentbanker leben oft in geschlossenen Parallelgesellschaften, die sind unter sich. Viele klagen aber auch, dass das Privatleben kaputt geht, weil man rund um die Uhr einsetzbar sein muss.»
Die Soziologin fügt bei, dass Frauen gemäss Personalbeständen in den Banken zwar zur Hälfte vertreten seien, tendenziell aber in den unteren Positionen. «Man findet sie in der Anlageberatung, im Kundengeschäft und im Backoffice, aber in den oberen Etagen gibt es praktisch keine Frauen. Im Investmentbanking gibt es Frauen, aber nur wenige.»
Die Politik macht, was wir wollen
Auch die Boni- und die Regulierungsfrage erörterte das Autorenteam mit den Gesprächspartnern. «Bei den Boni sagen sie, das ist halt für unsere Leistung, für die besten. Die ‹Quants› hingegen mokieren sich darüber und finden die Boni für die Investmentbanker und das Top-Management völlig überrissen», so Honegger.
Generell herrsche aber die Meinung vor, dass diese Boni schon irgendwie richtig sind, sie könnten vielleicht lediglich ein bisschen reduziert werden. In Sachen Regulierung hätten die Banker das Gefühl, dass die Politik gar nicht in der Lage sein werde, das wirklich zu tun – wenn überhaupt. «Sie sagen sich: Die Politik macht sowieso, was wir wollen.»
Politisch Druck machen
Für Denise Chervet, Zentralsekretärin des Schweizerischen Bankpersonalverbandes (sbpv), stellt sich nach der Lektüre des Buches «Strukturierte Verantwortungslosigkeit» die Frage, ob die Politiker und die Banken etwas gelernt haben – und sie gibt die Antwort gleich selbst: Man müsse leider feststellen, dass nach dem Schock von den guten Vorsätzen wenig übrig geblieben sei.
«Ich würde behaupten, das ist eine Tendenz der Menschen, und es liegt an uns, unter anderem auch an den Bankangestellten, aktiv zu werden, wenn sie das Bedürfnis haben, dass sich etwas ändert», sagt Chervet gegenüber swissinfo.ch. «Denn die heutige Situation ist für sie eine Katastrophe. Um etwas zu ändern, muss aber der Druck auf Banken und Politik stark genug sein.»
Deshalb nehme der Bankpersonalverband Stellung zu gewissen Themen, wenn sie öffentlich würden. «Wir setzen uns auf politischer Ebene für gewisse Regulierungen ein, weil das sicher nötig ist in der Bankenwelt.»
Jean-Michel Berthoud, swissinfo.ch
Geboren 1947 in Wald, Kanton Zürich.
Claudia Honegger studierte in Zürich, Frankfurt und Paris Soziologie, Nationalökonomie, Philosophie und Geschichte, u. a. bei Pierre Bourdieu und Jürgen Habermas.
Nach dem Studium war sie als Publizistin, als Lektorin und Übersetzerin tätig.
Sie habilitierte 1989 mit der Arbeit «Die Codierung der Geschlechter in der Moderne».
Von 1990 bis 2009 war sie Professorin für Allgemeine Soziologie und Direktorin des Instituts für Soziologie an der Universität Bern.
Arbeitsschwerpunkte: Geschlechter- sowie Kultur- und Wissenssoziologie. Sie schrieb u.a. «Die Hexen der Neuzeit» (1978), «Das Ende der Gemütlichkeit» (1998).
In der jüngsten Publikation wurden über 30 Bankangestellte aus verschiedenen Bereichen zu den Ursachen der Finanzkrise und ihrer persönlichen Mitverantwortung befragt.
Claudia Honegger, Sighard Neckel, Chantal Magnin (Hrsg.): «Strukturierte Verantwortungslosigkeit. Berichte aus der Bankenwelt.» Suhrkamp, Berlin 2010.
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