Freier Personenverkehr: Brüssel interveniert
Die EU beklagt sich über den protektionistischen Charakter einiger flankierender Massnahmen des Vertrages über den freien Personenverkehr. Bern verhält sich abwartend.
Michael Reiterer, der Botschafter der Europäischen Union in der Schweiz, hat im Aussenministerium in Bern eine diplomatische Note zur «8-tägigen Voranmeldepflicht» deponiert.
Sind die flankierenden Massnahmen, welche die Schweiz erlassen hat, um Lohn- und Sozialdumping zu verhindern, alle kompatibel mit dem Geist des Abkommens zum freien Personenverkehr, welches die Schweiz mit Europäischen Union geschlossen hat?
Die EU-Kommission, das Exekutivorgan der Union, bezweifelt dies.
Diese Angelegenheit kommt der Schweiz relativ ungelegen, drohen doch heikle Referenden über die Verlängerung des Abkommens und dessen Ausdehnung auf die neuen EU-Mitglieder Bulgarien und Rumänien.
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Das Problem wurde bereits ein paar Mal an den Sitzungen der gemischten Kommission zur Einhaltung des freien Personenverkehrs erörtert, bisher ohne Ergebnis. Nun will Brüssel Druck machen.
Der Botschafter der Europäischen Kommission in der Schweiz, der Österreicher Michael Reiterer, hat am 12. Februar beim Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) eine diplomatische Note eingereicht, welche die 8-tägige Voranmeldepflicht kritisiert.
Acht Tage vor Mandatsbeginn
Die Regel zwingt Unternehmen aus der EU, welche Arbeitnehmer in der Schweiz für einen Zeitraum von bis zu 90 Tagen beschäftigen wollen, grundsätzlich acht Tage vor der Aufnahme der Tätigkeit die kantonalen Behörden zu informieren.
Nichtbeachtungen dieser Regel können mit einer saftigen Geldbusse oder sogar mit einem Ausschluss vom Schweizer Markt bestraft werden.
Die EU-Kommission bestreitet zwar nicht die Notwendigkeit von Kontrollen, um Missbrauch zu verhindern. Sie sieht in der Anwendung aber auch protektionistische Ziele. Sie sei von österreichischen und deutschen Unternehmen mit Beschwerden bombardiert worden.
Dass man alle Informationen acht Tage zum Voraus abgeben müsse, sei übertrieben. Zudem seien viele der Sanktionen gegen Verstösser unverhältnismässig.
Die flankierenden Massnahmen beim Abkommen über die Freizügigkeit im Personenverkehr sollten vor allem dem Schutz der in die Schweiz kommenden Arbeitnehmenden dienen, heisst es in der EU-Kommission.
Leider aber stellten sie sich allzu oft als protektionistische Massnahmen zur Abschreckung von Unternehmen aus der EU heraus, urteilt Brüssel.
Schweizer Unverständnis
Der Sprecher des Integrationsbüros in Bern, Adrian Sollberger, bezweifelt dies: «Die Schweiz hat keinerlei Interesse, Hindernisse für die Freizügigkeit aufzubauen», sagt er und betont gleichzeitig die Notwendigkeit der flankierenden Massnahmen zur Bekämpfung von Lohn- und Sozialdumping.
Weiter präzisiert er, seien Ausnahmen von der Acht-Tage-Regelung für Notfälle vorgesehen – bei Arbeitsunfällen, Maschinenbrüchen, usw.
Dies erkennt die EU-Kommission auch an. Wenn ein Arbeitnehmer jedoch während der Arbeit in der Schweiz krank werde, beginne die ganze Prozedur für seinen Ersatz wieder bei Null.
«In der Regel genügt eine Frist von zwei oder drei Tagen, um den Fall zu überprüfen und grünes Licht zu geben», sagt Vermot Gilles, stellvertretender Leiter des Amtes für die Arbeits-Überwachung im Kanton Neuenburg.
«Aber vielleicht gibt es auch Kantone, die weniger flexibel sind als wir.» In Brüssel spricht man in diesem Zusammenhang von den Kantonen Basellandschaft und Baselstadt.
swissinfo, Tanguy Verhoosel, Brüssel
(Übertragung und Adaption aus dem Französischen: Etienne Strebel)
Das Personenfreizügigkeits-Abkommen mit den 15 alten EU-Mitgliedstaaten sowie den EFTA-Staaten ist am 1. Juni 2002 in Kraft getreten.
Die Einführung der Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und den 10 neuen EU-Mitgliedstaaten ist seit dem 1. April 2006 in Kraft.
Die Kontingente für Daueraufenthalter aus der EU-15 (15’000 pro Jahr) wurden jedes Jahr voll ausgeschöpft.
Die Kurzaufenthalter-Kontingente (115’500 pro Jahr) wurden jeweils zwischen 55 und 90% beansprucht.
Bei beiden Bewilligungsarten nahmen Personen aus Deutschland den ersten Platz ein, vor Portugal und Frankreich.
Der Bestand der Grenzgänger (die keinem Kontingent unterlagen) betrug Ende 2006 189’543. An erster Stelle lag hier Frankreich, vor Italien, Deutschland und Österreich.
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