Für einen besseren Schutz von Kleininvestoren
Im Jahr 2006 investierte Gabriela Fischer 50'000 Schweizer Franken in ein so genanntes "100-prozentig kapitalgeschütztes" Finanzprodukt. Zwei Jahre später hatte sich ihr Geld in Luft aufgelöst. Ein neues Gesetz soll nun den Kundenschutz verbessern.
Trotz Bedenken gegenüber dem Verkauf solch komplexer Produkte an Kleininvestoren war die Schweizer Finanzmarktaufsicht (Finma) machtlos. Sie hatte zu wenig in der Hand, um intervenieren zu können. Nun will die Finma die Lücken mit neuen Gesetzen schliessen.
Vergangenen Freitag schlug sie ein Gesetz vor, das private Anlegerinnen und Anleger schützen soll, indem dubiose Investitionsprodukte – die auch dem Ruf der Schweiz schaden – ausgemerzt werden.
Laut der Finma muss sich der Schweizer Finanzsektor den internationalen Regulierungen anpassen. So sollen die Finanzinstitute eine Genehmigung beantragen müssen, bevor sie ihre Produkte verkaufen können.
Gegenwärtig gibt es in der Schweiz rund 2000 unabhängige Vermögensberater. Vor zwei Jahren liess die Finma 66 dubiose Betriebe schliessen, welche Investoren um ihr Geld geprellt hatten.
Pleite-Bank
Die Finma schlägt im weiteren eine einheitliche Ausbildung für Kundenberater vor und strikte Regeln, wie Finanzprodukte vermarktet werden dürfen – Kunden sollen auf alle allfällige Risiken aufmerksam gemacht werden.
Sollten diese Vorschläge vom Parlament angenommen werden, dann bilden sie ein neues Gesetzespake, das den gesamten Finanzmarkt regelt. Gegenwärtig gibt es ein Sammelsurium von Verordnungen und Gesetzen, die separate Segmente abdecken.
«Diese Gesetze konnten bisherige Missbräuche nicht verhindern. Aber sie dienten der Erstellung neuer Regeln im Verkaufs-Verhalten, vor allem bei Finanzprodukten für Kleinanleger», sagte Finma-Direktor Patrick Raaflaub gegenüber swissinfo.ch.
Bis das neue Gesetz in Kraft tritt, dürfte es allerdings Jahre dauern, und für Gabriela Fischer und hunderte von Kleininvestoren wird es mit Sicherheit zu spät kommen.
Fischer bekam zwar nach einem langwierigen Rechtsstreit 35’000 Franken zurückerstattet. Sie hat aber noch immer das Gefühl, von der Credit Suisse hereingelegt worden zu sein. Die Bank hatte ihr zum Kauf eines Lehman-Brothers-Produkts geraten. Die US-Bank ging darauf Bankrott, Fischers Geld war verloren.
Verlorenes Vertrauen
«Ich war extrem aufgebracht und enttäuscht von dem ganzen Prozedere», sagte sie gegenüber swissinfo.ch. «Es scheint, dass in der Schweiz alle gleich sind, aber die mächtigen Banken sind gleicher als die normalen Bürger», sagte Fischer.
«Die 15’000 Franken, die ich verloren habe, waren für meine Pensionierung oder für die Ausbildung meiner Tochter vorgesehen», sagte die 49-Jährige. Ich kann nur Teilzeit arbeiten und brauche all meine Ersparnisse, um mich über Wasser zu halten. Es gibt also keine Möglichkeit für mich, mehr Geld zu verdienen oder weniger auszugeben, um die Verluste auszugleichen.»
«Fischer und weitere Personen fühlen sich auch vom System betrogen, obwohl viele Investoren einen Teil ihrer Investitionen von der Credit Suisse zurückerstattet erhielten, dies im Rahmen einer Goodwill-Zahlung von 150-Millionen-Franken im Jahr 2009.
Einige Anleger fühlen sich nicht nur von den Banken im Stich gelassen, sondern auch von der Finma, dem Banken-Ombudsman und dem Rechtssystem.
«Es ist natürlich sehr gut, dass die Finma die Gesetze verschärfen will, aber sie kann nicht für die Zukunft planen, bevor sie die Probleme der Vergangenheit nicht gelöst hat», erklärte Fischer gegenüber swissinfo.ch. «Ich werde dem System erst wieder vertrauen, wenn die Leute für ihre Fehler zur Verantwortung gezogen wurden.»
Information bedeutet Macht
Gemäss Patrick Raaflaub von der Finma hatte die Behörde schlicht und einfach nicht die Befugnis, die Folgen der Verluste, die von Lehman verursacht wurden, zu bewältigen.
«Als das mit Lehman passierte, nahmen wir an, dass die rechtliche Grundlage des Aufsichtsgesetzes ausreichen würde, um Fälle fehlerhafter Produkte behandeln zu können», sagte er zu swissinfo.ch. «Wir mussten aber feststellen, dass die gesetzliche Basis nicht genügte.»
Teil des Problems sei, so Raaflaub, dass das Aufsichtsorgan nicht insZivilrecht eingreifen könne. Und dort, wo die Finma zuständig sei , wie beim Marketing und Verkauf von Produkten an Anleger, fehle es an klaren Gesetzen, um präzis urteilen zu können.
Der Gesetzesvorschlag der Finma würde dazu beitragen, die Verwirrung etwas zu klären, meint Stephan Pöhner des in Zürich ansässigen Anwaltsbüros Fischer & Partner, das rund 500 Klienten im Fall von Lehman Brothers vertritt. Die Vorschläge der Finma gingen aber nicht weit genug, so der Rechtsanwalt.
«Die Gesetzesänderungen befassen sich lediglich mit dem Vertrieb von Produkten, aber nicht damit, was passiert, wenn die Kunden ihr Geld investiert haben», sagte er gegenüber swissinfo.ch. «Die meisten Investoren hätten keine Verluste erlitten, wenn die Banken, welche die Produkte verkauften, darüber informiert hätten, dass Lehman Brothers in Schwierigkeiten war.»
Schiedsrichter mit Biss
Pöhner fordert auch, dass das Schweizer Rechtssystem angepasst werde, um Sammelklagen zu akzeptieren, und dass Verkäufer von Finanzprodukten ihre Beratungsgespräche mit Klienten elektronisch festhalten sollten.
Fischer & Partner diskutiert zur Zeit mit Schweizer Grossbanken ein neues Schlichtungs-System, um Streitigkeiten künftig effizienter als derzeit mit dem Banken-Ombudsmann beilegen zu können.
Das vorgeschlagene MedArb-System (Mediation und Schiedsgericht) würde dem neuen Organ die Kompetenz erteilen, – im Gegensatz zum Ombudsman – in Konfliktfällen verbindliche Entscheide zu treffen. Gemäss Pöhner beteiligen sich die Banken gegenwärtig an einem konstruktiven Dialog über ein solches System.
Die von der Schweizerischen Bankiervereinigung finanzierte Banken-Ombudsstelle gibt es seit Frühling 1993. Sie begann mit 170 Stellenprozent und umfasst heute neben dem Bankenombudsman sieben Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Als neutrale und kostenlose Informations- und Vermittlungsstelle befasst sie sich mit konkreten Beschwerden von Kunden gegen Banken.
Die Finanzmarktkrise, die durch den Zusammenbruch der Bank Lehman Brothers im September 2008 ausgelöst wurde, brachte den Schweizerischen Banken-Ombudsman an seine Grenzen.
Die Aufsichtsbehörde wurde mit Klagen überhäuft: 2009 waren es 4757, 14% mehr als im Vorjahr. Der Grossteil stand im Zusammenhang mit Lehman-Produkten, dem Madoff-Schneeball-System oder der bankrotten Islandic Kaupthing Bank.
Die Akzeptanzquote der Banken sank in den Krisenjahren: Wurden von 2006 bis 2008 zwischen 86 und 95% der Empfehlungen des Banken-Ombudsman von den betroffenen Banken akzeptiert, sank sie im Jahr der Krisenbewältigung 2009 auf 73%.
(Übertragung aus dem Englischen: Gaby Ochsenbein)
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