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Gaza-Einmarsch: Radikale erhalten Aufwind

Die Trauer unter Angehörigen von palästinensischen Opfern ist gross. Reuters

Die Schweizer Zeitungen kommentieren den Einmarsch der israelischen Bodentruppen im Gazastreifen unterschiedlich. Einig sind sie sich darin, dass die Gewalt Israels die Islamisten der Hamas eher stärken als schwächen könnte.

«Worte statt Waffen», «Israelisches Kriegskalkül», «blutiges Exempel» oder «Krieg als Wahlkampfmaschine» heisst es am Montag in der Schweizer Presse.

«Im Nahen Osten herrscht Krieg – und in Israel Wahlkampf», schreibt Der Bund aus Bern. Den Krieg als Wahlkampfmaschine zu benutzen, sei ein altbewährtes Mittel in Israel, betont die Kommentatorin.

Zwar sei der Vorwurf, Leiden und Tod von Palästinensern als Wahlkampfmittel einzusetzen, hart. «Doch eigentlich lassen die Zahlen und die Erfahrungen keinen anderen Schluss zu.»

Seit dem Rückzug Israels aus dem Gazastreifen vor drei Jahren bis vor einer Woche seien nur rund ein Dutzend Israelis durchs palästinensische Raketen ums Leben gekommen.

«Diese Toten können der Grund für diesen Krieg nicht sein – für einen Krieg, der, wie Nahost- und Kriegsexperten seit Beginn der Offensive warnen, die Islamisten im Gazastreifen und anderswo nur stärken wird.»

Radikalisierung

Ins gleiche Horn stösst der Zürcher Tages Anzeiger: Israel betone, mit der Aktion «Gegossenes Blei» den Menschen in Gaza durch die Schwächung der Hamas einen Dienst zu erweisen.

«Eher das Gegenteil ist der Fall: Statt sich von den Islamisten abzuwenden, werden junge Palästinenser in Gaza wohl noch radikaler werden.»

Statt auf militärisches Kalkül zu setzen, sei vielmehr eine Strategie der Versöhnung angezeigt: «Frieden oder zumindest Ruhe in Nahost kann es erst geben, wenn Israel, die schlagkräftigste Militärmacht der Region, den ersten Schritt macht.»

Exempel statuieren

Für die Neue Zürcher Zeitung ist klar, dass Israel in Gaza ein Exempel statuieren will, «wie es denen ergeht, die nicht auf Gewaltanwendung verzichten».

«In Gaza werden nicht einfach die Hamas-Kämpfer aufgerieben. Barak sprach deutlich vom Wiederherstellen der Abschreckungskraft der israelischen Armee.»

Auch für die NZZ ist klar, dass die Lösung nur auf politischer Ebene möglich ist: «Die Zukunft verspricht den Palästinensern offenbar einzig, im heutigen Zustand der Rechtlosigkeit weiter zu warten, bis die Israeli ihren Glauben an den Nutzen militärischer Unterdrückung verlieren und Hand zu einer fairen politischen Lösung bieten.»

Egal, wie eine mögliche Lösung aussehen wird, ohne die Islamisten geht es nicht, ist die Kommentatorin der Basler Zeitung überzeugt: «Eine Lösung, welche die Islamisten nicht einbezieht, wird keine Stabilität bringen.»

Doch die internationale Gemeinschaft habe damit ein Problem: «Weil die USA und die Europäer sich in den letzten drei Jahren auf den Boykott von Hamas versteift haben, fehlen ihnen nun direkte Kontakte zu deren Führern und die Glaubwürdigkeit zum Vermitteln.»

Ägypten in der Pflicht

Näher beim aktuellen Geschehen bleibt der Kommentator der Berner Zeitung. Er analysiert erstmal die Lage im Kriegsgebiet, bevor er auf mögliche Konsequenzen zu sprechen kommt.

Die Hamas sei gut vorbereitet auf einen Häuserkampf «in einem der am dichtesten besiedelten Gebieten der Erde». «Die Hamas am Boden zu bekämpfen ist möglich. Es dürfte aber verlustreich werden für die israelische Armee.»

Israel mache damit auch Druck auf Nachbar Ägypten und dessen Präsidenten Mubarak: «Sollte der Gaza-Krieg länger als ein paar Tage andauern, wird Mubarak die Grenze für hungernde Kriegsopfer öffnen müssen.»

swissinfo, Christian Raaflaub

Laut dem Hilfswerk Terre des hommes (Tdh) sind im Krieg in Gaza bereits über 70 Kinder getötet worden. Unter den rund 2200 Verletzten seien auch viele Kinder.

Tdh bezeichnet die israelische Militärintervention als blutigstes Eingreifen im Gazastreifen seit 1967 und prüft die Verstärkung seines Mutter-Kind-Hilfsprojektes.

Das von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) unterstützte und von der lokalen Partnerorganisation Ard el Insan geführte Terre-des-hommes-Gesundheitsprojekt kommt 22’000 Kindern und Müttern im Gazastreifen zu Gute.

Terre des hommes ist seit 1973 in den besetzten palästinensischen Gebieten Gazastreifen und Westbank aktiv und kümmert sich in psychosozialen Projekten auch um kriegs- und gewalttraumatisierte Kinder.

Die Hamas hat sich die Zerstörung Israels zum Ziel gesetzt und kämpft für die Errichtung eines islamischen Staates. Sie würde aber auch eine Zwei-Staaten-Lösung akzeptieren, wenn Israel das 1967 eroberte Gebiet an die Palästinenser zurückgeben würde.

Das Wort Hamas ist eine Abkürzung für Islamische Widerstandsbewegung, bedeutet aber auch «Eifer» auf Arabisch.

Die Gruppe unterhält im Gazastreifen ein breites Netz an Schulen und sozialen Einrichtungen, womit sie sich in der Bevölkerung Sympathien und Zulauf sichert.

swissinfo.ch

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