Geissenparade durch Berlin
Der 1. August wurde auch in Berlin gefeiert. Zum neunten Mal richtete die Schweizer Botschaft ein Strassenfest aus – heuer mit dem Kanton Graubünden als Gastkanton.
300 Ziegen können ganz schön bockig sein. Die einen zerren nach links, andere hüpfen munter auf der Stelle, und ein paar Jungtiere wollen lieber raufen denn laufen.
Aber schliesslich besinnen sich die Bündner Geissen. Kurz nach zwölf Uhr mittags trippelt die ganze Ziegenschar an der Seite ihrer Hirtinnen und Hirten durchs Brandenburger Tor.
Begleitet von Alphörnern und läutenden Kuhglocken konnte der Auftakt zur Schweizerischen Nationalfeier in Berlin nicht stimmungsvoller sein. Zahlreiche Schaulustige zwischen Pariser Platz und Bahnhof Friedrichstrasse zückten ihre Foto- und Videokameras, und bei jedem Stopp wurden die Geissen getätschelt.
Bereits zum neunten Mal veranstaltete die Schweizer Botschaft in Berlin am 1. August ein Strassenfest in der Innenstadt.
«… Heidi kommt»
Gastgeber ist jeweils ein Kanton. Nach Zürich im vorletzten und Aargau im letzten Jahr durfte sich heuer der Kanton Graubünden präsentieren. Unter dem Motto «Berlin ruft Graubünden. Heidi kommt» wurde den vielen hundert Gästen ein buntes Spektakel geboten, durch das sich Johanna Spyris Romanheldin wie ein roter Faden zog.
Kanton und Bündner Tourismusverbände liessen sich die Feier einiges kosten. So wurden die 300 Ziegen mit fünf Lastwagen aus den Bündner Bergen in zwei Tagen nach Berlin gekarrt, samt ihren über gut hundert Betreuern, dem Tierarzt und einem Zwischenstopp in Leipzig, wo sich die vierbeinigen Bergbewohner auf einer Wiese austoben durften.
Kluge Reden, feines Essen
Nach der tierischen Eröffnungsparade begrüssten der Schweizer Botschafter Christian Blickenstorfer und der Bündner Regierungsvizepräsident Hansjörg Trachsel die Volksfestgäste.
Während die Redner das gute nachbarschaftliche Verhältnis lobten und die Vorzüge des grössten Tourismuskantons der Schweiz herausstrichen, sicherten sich die ersten Besucher einen Platz vor den Essbuden.
Rasch bildeten sich lange Schlangen. Nicht wenige der Wartenden redeten «Schwiizertütsch», und zwischen den zahlreichen japanischen und italienischen Touristen leuchtete so manches rote T-Shirt mit weissem Kreuz.
An den Essständen tischten Studierende der Hotel- und Touristikfachschule in Chur/Passugg Bündner Spezialitäten auf: Bündner Gerstensuppe, Pizzoccheri aus dem Puschlav und Capuns, in Mangoldblätter gewickelte Teigklösschen mit Speck, die in Milchbouillon gekocht werden.
Rekordverdächtige zehn Meter lang war der Capuns, der in einer Dachrinnen-ähnlichen Konstruktion vor sich hin brutzelte. Geduldig warteten die Festbesucher in der Mittagshitze auf ihren kostenlosen Bündner Zmittag, inklusive einem Becher «Allegra»-Mineralwasser.
Rund 20’000 Portionen gaben die Köchinnen und Köche insgesamt aus.
«Älpler-Olympiade»
Anschliessend an den kulinarischen Genuss konnte man sich im Alphorn-Blasen üben, einer Kurzversion des Musicals «Heidi» lauschen oder sich zusammen mit einer grossen Steinbock-Figur – dem Wappentier Graubündens – fotografieren lassen.
Wer wollte, konnte ausserdem sein Talent als Bergbauer unter Beweis stellen und sich auf eine «Älpler-Olympiade» begeben.
Die Berliner sollten einen Eindruck in den Alltag der Sennen erhalten, so die Veranstalter. Also hiess es «Fang die Geiss», «Hau den Nagel in den Baumstamm» oder auch «Melke die Kuh».
Letztere war aus Sperrholz und hielt deshalb geduldig still, während mehr oder weniger geschickte Hände an ihrem Euter – einem Plastikeimer mit Gummizitzen – herum drückten.
Aus fünf Posten bestand der Parcours, wer drei erfolgreich durchlaufen hatte, erhielt einen Plüsch-Steinbock; als Hauptpreis winkten zudem Ferien in Graubünden.
Wie schön ein Urlaub in den Bündner Bergen sein kann, davon konnten sich die Berliner schon einmal ein Bild machen. In schmucken Holzchalets stellten sich die Ferienregionen Arosa, Davos Klosters und das Engadin mit St. Moritz vor.
Auch die Rhätische Bahn, die Anfang Juli in die UNESCO-Welterbeliste aufgenommen wurde, warb um die Berliner. Für nur 565 Euro, hiess es, könnten auf einer fünftägigen Rundreise die Höhepunkte der Albula- und Berninastrecke erlebt werden.
«Heimat ist mehr als ein Stück Land»
Der Geburtstag der Schweiz klang am Abend mit einem Fest in der Botschaft aus. Zu den Gästen gehörten Berliner und Schweizer aus Politik, Wirtschaft und Kultur.
Als besonderen Ehrengast durfte Botschafter Blickenstorfer Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf begrüssen. Ihre Rede widmete die Bündnerin unter anderem dem Begriff Heimat. Jeder Mensch brauche eine Heimat, sagte sie.
«Aber Heimat ist mehr als ein Stück Land. Heimat sind die Menschen, die wir verstehen und die uns verstehen», zitierte Widmer-Schlumpf den Schriftsteller Max Frisch.
Und während sich die mehreren hundert Gäste an Bündner Salsiz, Maluns und feiner Nusstorte labten, nickte vom Dach der Botschaft die grosse Steinbock-Figur.
swissinfo, Paola Carega, Berlin
Wer mit dem Zug in die deutsche Hauptstadt reist, kann die Schweizer Botschaft nicht übersehen. Das kubusartige Gebäude mit der rot-weissen Fahne auf dem Dach befindet sich in exponierter Lage am Südrand des Berliner Spreebogens, in unmittelbarer Nähe zum Bundeskanzleramt und zum Hauptbahnhof.
Bereits 1919 erwarb die Schweiz das Gebäude für diplomatische Zwecke; als einziges Bauwerk im Spreebogen überstand es den Zweiten Weltkrieg ohne gravierende Schäden.
In der Schlussphase des Kampfes um Berlin Ende April 1945 wurde die Botschaft vorübergehend von sowjetischen Truppen besetzt und diente als Stützpunkt bei der Eroberung des Reichstags.
Die letzten Schweizer Gesandtschaftsangehörigen, die im Gebäude ausharrten, wurden während fast zwei Wochen im Keller eingesperrt und darauf nach Moskau abgeführt.
Vor einigen Jahren, im Zuge des Regierungsumzugs von Bonn nach Berlin, wurde das Botschaftsgebäude renoviert und erhielt einen Erweiterungsbau nach Entwürfen des Architekturbüros Diener & Diener.
Einer der kekanntesten Botschafter in Berlin war wohl Thomas Borer, der wegen einer angeblichen Nacktmodel-Affäre im Jahr 2002 von seinem Posten suspendiert wurde.
Seit Mai 2006 residiert der geborene Zürcher Christian Blickenstorfer als Schweizer Gesandter.
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