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Generika für die Armen

Welche Länder von den billigen Generika profitieren dürfen, ist weiterhin strittig. Keystone

Aids, Malaria und Tuberkulose - für diese Krankheiten sollen arme Länder Kopien patentgeschützter Medikamente importieren dürfen.

Darauf haben sich 25 Länder an einem WTO-Ministertreffen in Sydney geeinigt. Die Schweiz und die USA setzten ihre Position durch.

Die Industrieländer sind bereit, den Patentschutz für ärmere Länder weiter zu lockern. Die 25 Handelsminister, unter ihnen auch Wirtschaftsminister Pascal Couchepin, haben sich am informellen WTO-Treffen in Sydney darauf geeinigt, dass Generika von patentgeschützten Medikamenten hergestellt und von gewissen Ländern ohne eigene Pharmaindustrie importiert werden dürfen.

Die aktuellen WTO-Regeln erlauben zwar unter Einschränkungen die Produktion von billigeren Generika-Produkten, erschweren aber zugleich den Export dieser Produkte in Länder ohne eigene Produktions-Möglichkeiten. Praktisch waren damit die meisten ärmeren WTO-Mitliedern vom Import solcher Generika ausgeschlossen.

Versprechen von Doha

Die Einigung kam nach einem dringlichen Appell von UNO-Generalsekretär Kofi Annan zustande, den an der WTO-Ministerkonferenz in Doha (Katar) letzten November beschlossenen Zeitplan einzuhalten und bis Ende Jahr eine Vereinbarung über den Patentschutz von Medikamenten zu treffen.

In Doha hatten sich die WTO-Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, die Einschränkungen für den Export von Generika-Medikamenten in Länder ohne eigene Produktions-Möglichkeiten möglichst schnell aufzuheben. Kurz vor Ablauf der Frist zeichnet sich nun eine Lösung ab.

Beschränkt auf wenige Krankheiten

Der australische Handelsminister Mark Vaile sprach von einer moralischen Verpflichtung der Industriestaaten. Sein kanadischer Kollege Pierre Pettigrew erklärte, eine Einigung über Medikamente für Aids, Tuberkulose und Malaria stelle kein Problem dar.

Länder mit grossen Pharmawerken hätten sich allerdings dagegen gewehrt, den Entwicklungsländern auch Arzneien gegen Krebserkrankungen oder Diabetes kostengünstig zukommen zu lassen.

“Die Position der Schweiz und der USA hat sich durchgesetzt. Dies ist eine Niederlage für die Forderungen des Südens, die eine breitere Interpretation wollten”, sagte François Meienberg von der entwicklungspolitischen Organisation “Erklärung von Bern” gegenüber swissinfo.

Anders als die Schweiz, die zusammen mit den USA eine harte Haltung vertrat, nahm die EU eine Brückenfunktion ein. Neben Aids, Tuberkulose und Malaria sollten auch Medikamente gegen andere Krankheiten, welche die öffentliche Gesundheit schwer beeinträchtigen, vom Patentschutz ausgenommen werden. Damit kam die EU den Entwicklungsländern entgegen, die für eine Aufweichung des Patentschutzes für Medikamente plädieren.

Wer darf importieren?

Trotz dieser Einigung liegt der Teufel jedoch weiterhin im Detail: Noch offen ist zum Beispiel, welche Länder exportieren und welche importieren dürfen. Während sich beim Export eine Lösung abzeichnet, welche keine Länder vom Export ausschliesst, ist eine Einigung beim Import noch nicht in Sicht.

Setzen sich wieder die USA durch, so werden nur die ärmsten Länder von den Ausnahmeregelungen profitieren können. Die EU hingegen vertritt auch in diesem Punkt eine offenere Position: Nicht nur die ärmsten Länder, sondern auch Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen sollen Zugang zu billigen Generika erhalten. Letztere allerdings nur im Falle eines nationalen Notstands.

Angst vor Billig-Importen

Während wichtige Generika-Produzenten wie Brasilien, Indien und China auf eine möglichst breite Interpretation der in Doha beschlossenen Ausnahmen drängen, bestehen die Länder mit einer bedeutenden Pharmaindustrie wie die Schweiz, die EU und die USA auf einer möglichst geringen Lockerung des bestehenden Patentschutzes.

Begründet wird diese restriktive Haltung mit der Angst der grossen Pharma-Firmen vor schrumpfenden Gewinnen. “Was uns wirklich beunruhigt, ist, wenn die europäischen Märkte von Generika aus dem Süden überschwemmt werden. Das ist das Problem”, sagt Novartis-Sprecher Felix Räber gegenüber swissinfo. Novartis selbst ist mit Novartis Generics die Nummer 2 auf dem Weltmarkt der Nachahmer-Produkte.

Auch Roche, der zweite Basler Pharmariese, teilt diese Befürchtung: “Es ist von äusserster Wichtigkeit, dass der Reimport in die traditionellen Märkte Europas und Nordamerikas verhindert wird”, betont Roche-Sprecher Horst Kramer. Denn nur durch genügend Erträge könne die teure Pharma-Forschung refinanziert werden.

Die Ängste der Pharmaindustrie sind nicht aus der Luft gegriffen. Bereits heute tauchen immer wieder Medikamente aus Hilfsprogrammen auf dem europäischen Markt auf. So wurden kürzlich in Holland und Deutschland rund 6000 Packungen eines Aids-Medikaments des englischen Pharmaherstellers GlaxoSmithKlein sichergestellt, die der Konzern der UNO für afrikanische Länder günstig zur Verfügung gestellt hatte.

Professor Bernard Hirschel, Leiter der HIV/Aids-Abteilung an der Uni Genf, relativiert indes die Befürchtungen der Pharmaindustrie: “Anders als der Markt für CD-Raubkopien ist der Arzneimittelmarkt streng reglementiert. Man kann in der Schweiz oder in den USA nicht einfach billige Kopien von Arzneimitteln verkaufen.”

Kompromiss mit Signalwirkung

Die Industrieländer stehen unter Druck, Hand zu einem tragfähigen Kompromiss beim Patentschutz zu bieten. Für die ärmeren WTO-Mitglieder ist dies ein Test, ob es den reichen Ländern mit den Versprechen von Doha ernst ist.

Denn neben Zugang zu billigen Medikamenten warten die Entwicklungsländer auf den Zugang ihrer Agrarprodukte zu den Märkten des Nordens, und bei diesem Punkt ist ein baldiger Kompromiss in noch weiterer Ferne. Über den Patentschutz-Kompromiss entscheiden wird die WTO-Ministerkonferenz im September in Cancun, Mexiko.

Hansjörg Bolliger, swissinfo

Ein Drittel der Weltbevölkerung hat keinen Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten
Weltweit sind 6 Mio. Menschen so stark an Aids erkrankt, dass sie auf moderne Medikamente angewiesen wären
Nur 5% der Aidskranken erhalten den lebensrettenden Cocktail (Quelle: WHO)

Generika sind Nachahmer-Produkte, die nach Ablauf des Patentschutzes im Vergleich zum Originalprodukt zu günstigeren Preisen verkauft werden. Sie sind billiger, weil die hohen Forschungs- und Entwicklungskosten entfallen. Diese machen bei Original-Präparaten bis zu 20% des Preises aus.

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