Geschichtsaufarbeitung Schweiz-Südafrika: Wirtschaft blockt
Das Forschungs-Programm des Nationalfonds zur Schweizer Südafrikapolitik während der Apartheid kann nur eine beschränkte Aufarbeitung leisten. Grund: Der Zugang zu privaten Archiven wird ihm verwehrt.
Die Halbzeitbilanz der Forschungsgruppe ist dürr.
Seit Herbst 2001 untersuchen zehn Gruppen des Programms NFP 42+ die Beziehungen der Schweiz zum südafrikanischen Apartheid-Regime. Die Projekte reichen vom rechtlichen aussenpolitischen Handlungs-Spielraum bis zur Wirkung der internationalen Südafrika-Sanktionen.
Der Bundesrat beauftragte den Schweizerischen Nationalfonds (SNF) im Mai 2000, ein Forschungs-Projekt über die Beziehungen Schweiz-Südafrika durchzuführen. Dies, nachdem das Schweizer Parlament die Einsetzung einer weiteren Bergier-Kommission mit Zugang zu privaten Archiven abgelehnt und sich stattdessen für ein Nationalfonds-Projekt ausgesprochen hatte.
Die Projekte werden 2003 abgeschlossen sein, und im Jahr 2004 soll ein integrierter Gesamtbericht veröffentlicht werden.
Keine nennenswerte Resultate
«Wir müssen darauf hinweisen, dass bei Halbzeit noch kaum nennenswerte und schon gar nicht abschliessende Resultate vorliegen können.» Das schreibt der Basler Historiker und NFP 42+-Leiter, Professor Georg Kreis, zu einer internen Arbeitstagung des Teams vom Freitag.
Georg Kreis spricht von einem «kleinen Forschungs-Programm» mit «restriktiven Bedingungen». Dennoch finde er es «besser als gar nichts».
Kein uneingeschränkter Zugang zu Archiven der Wirtschaft
Dass gerade die sehr engen Wirtschaftsbeziehungen zwischen der Schweiz und Apartheid-Südafrika nicht aufgearbeitet werden können, bedauert er. Man habe die Wirtschafts-Dachverbände, die Schweizerische Bankiervereinigung (SBVg) und economiesuisse, bereits im Januar 2001 schriftlich gebeten, den Forschenden den Archivzugang zu erlauben.
Das sei nur für Akten oder Protokoll-Punkte möglich, die direkt mit Südafrika zu tun hätten, sagt Thomas Pletscher von economiesuisse gegenüber swissinfo. Strategische Papiere hinsichtlich der Politik in Südafrika seien nicht zugänglich. Man habe das Programmleiter Georg Kreis mitgeteilt. Ein Einsichtsgesuch eines Projektleiters sei übrigens nicht präzis formuliert gewesen, deshalb habe es Probleme gegeben.
Schaden für Wirtschaftsstandort
Über die Beziehungen Schweiz-Südafrika sei schon während der Apartheid-Zeit von verschiedener Seite viel publiziert worden, sagt Pletscher. Deshalb erachtet er es als nicht mehr nötig, jetzt wieder in die Archive zu schauen. Übrigens habe die Schweizer Wirtschaft die Apartheid immer verurteilt, das habe er jüngst bei einem Blick in die Archive wieder gesehen.
Und Pletscher weiter: «Wenn die Privatwirtschaft ihre Archive immer mehr öffnen muss, werden sich transnational operierende Konzerne, ob schweizerische oder ausländische, gut überlegen, ob sie ihren Standort in der Schweiz haben sollen.» Man müsste ja dann alles offen legen zu Beziehungen mit irgendwelchen problematischen Ländern:»China, Russland, Burma und so weiter.»
Eine solche Entwicklung würde auch «eine Politik der Akten-Geheimhaltung» bewirken. Die Historiker würden zwar Zugang zu den Archiven haben, doch sei dann in den Akten vielleicht nichts Relevantes zu lesen, wie Thomas Pletscher gegenüber swissinfo betont.
Die Bankiervereinigung ihrerseits ist grundsätzlich bereit, den Forschern den begleiteten Zugang zum eigenen Archiv zu ermöglichen. Allerdings: Es gilt eine dreissigjährige Sperrfrist. «Den Banken geben wir keine Empfehlungen in Sachen Archivöffnung», sagt SBVg-Sprecher James Nason gegenüber swissinfo. «Das müssen diese selber entscheiden.»
Holcim: Früher ja, jetzt nein
Der Leiter des Projekts Wirtschaftsbeziehungen, der sich an verschiedene Unternehmen wandte, hat bislang einzig von Nestlé und Holcim eine Antwort erhalten – eine negative.
Im Fall von Holcim (früher Holderbank) hatte es im Februar letzten Jahres noch anders getönt. Der damalige Vizepräsident des Verwaltungsrates, Anton Schrafl, erklärte in einem Interview mit swissinfo (02.02.2001) im Zusammenhang mit der Archivöffnungs-Frage wörtlich: «Wenn jemand bei uns vorbeikommen will, bitte, kein Problem.»
Programm-Leiter Georg Kreis will aufgrund dieser Aussagen Holzim in die Pflicht nehmen. Allerdings meint er, es wäre falsch, sich durch die negative Haltung der Schweizer Wirtschaft in Sachen Archivöffnung von der Forschung abbringen zu lassen. Er sei aber dadurch in eine schwierige Situation geraten, sagt Kreis gegenüber swissinfo.
Vier Experten aus Südafrika
Die interne Tagung des Forschungsteams habe durch die Anwesenheit von vier Experten aus Südafrika ein zusätzliches Gewicht bekommen, sagt Georg Kreis. Die Hauptaufmerksamkeit gelte den schweizerischen Haltungen gegenüber Südafrika, insbesondere seit den 1960er Jahren. Zu deren Einschätzung und vor allem auch zur Beurteilung von deren Auswirkungen auf Südafrika sei die externe Expertise von grosser Wichtigkeit.
Schweizer Forscher und Forscherinnen sind im vergangenen Jahr auch wegen des Aktenstudiums mehrfach in Südafrika gewesen. Da der grösste Teil der Projekte erst in einem Jahr abgeschlossen sein wird, sei es noch nicht möglich, zum jetzigen Zeitpunkt publizierbare Ergebnisse vorzulegen, sagt Kreis.
Das Team, das sich mit den Wirkungen internationalen Sanktionen beschäftigt, legte immerhin einen Bericht zum Stand der internationalen Forschung in dieser Frage auf.
Forderung nach «zweiter Bergier-Kommission»
Das Parlament wird infolge einer Initiative von Pia Hollenstein (Grüne/SG) erneut über die Bildung einer «wirklichen» Untersuchungs-Kommission Schweiz-Südafrika, einer «zweiten Bergier-Kommission», beraten. Die Sozialdemokratische Partei würde dieses Anliegen unterstützen.
«Falls das Parlament sich für die Ernennung einer unabhängigen Historiker-Kommission entscheiden würde, müssten alle Archive, öffentliche und private, geöffnet werden», sagt der Genfer SP-Nationalrat Nils de Dardel gegenüber swissinfo.
Die Schweiz schulde der südafrikanischen Bevölkerung einiges. Das Land und sein Finanzplatz hätten eine wichtige Rolle bei der Unterstützung des Apartheid-Regimes gespielt, erklärt de Dardel. «Und dies bis zum Fall des weissen Minderheitsregimes Anfang der 90er Jahre.»
US-Anwalt Ed Fagan fordert gar eine internationale Historiker-Kommission, der Banken und Wirtschaft ihre Akten vorlegen müssten. Das findet Georg Kreis eine attraktive Idee. Denn eine Kommission mit internationalem Gesicht entspräche ihrem Gegenstand, den internationalen Wirtschaftsbeziehungen.
swissinfo, Jean-Michel Berthoud
Forschungsprogramm NFP 42+:
Wirtschaftsbeziehungen Schweiz Südafrika 1945-1990
Auswirkungen der Wirtschaftssanktionen und der Rolle der Schweiz
Rahmenkredit NFP 42+: 2 Mio. Franken für 10 Forschungs-Projekte
Abschluss: 2003
Gesamtbericht: 2004
Seit die Beziehungen der Schweiz zum Apartheid-Regime infolge der Sammelklage von US-Anwalt Ed Fagan gegen Schweizer Banken wieder neu debattiert werden, heisst es von Seiten der Schweizer Regierung und auch der Wirtschaft, das nationale Forschungsprogramm Schweiz-Südafrika (NFP 42+) sei daran, diese Beziehungen aufzuarbeiten.
Das bleibt so lange eine schwierige Aufgabe, als dieses Programm keinen Zugang zu privaten Archiven wie jenen der Wirtschaft hat. Im Gegensatz zur Bergier-Kommission, welche die Rolle der Schweiz im Zweiten Weltkrieg untersuchte.
Das ist der Hauptgrund für die eher dürre Halbzeitbilanz der Forschungsgruppe, die in ihren Reihen übrigens auch vier südafrikanische Experten hat.
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