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Gianfranco Arnoldis süsses Imperium

Gianfranco Arnoldi präsentiert stolz seine "Schätze". swissinfo.ch

Die über 100 Millionen Mexikanerinnen und Mexikaner haben einen süssen Zahn. Der Schweizer Confiseur Gianfranco Arnoldi hat daraus ein Vermögen gemacht.

In fast vierzig Jahren hat der Tessiner in Mexiko ein süsses Imperium aufgebaut.

Gianfranco Arnoldi (72) empfängt swissinfo an nobler Adresse: Horacio 401. Im Edelviertel Polanco von Mexiko-Stadt sind viele Strassen nach weltberühmten Dichtern, Denkern und Philosophen benannt: Descartes, Anatole France, Dickens, Jule Verne, Calderón, Aristoteles.

An der Horaz-Strasse 401 liegt einer der 23 Confitería-Pastelerías des Tessiner Empresarios. Das gesamte Gebäude liegt im diskreten Schokoladeduft; selbst in Arnoldis Büro über der Confiserie und ein paar Stockwerke höher, im Penthouse des Confiseurs, hängt der Duft von dunkler, herber Schokolade.

Gianfranco Arnoldis Confiserien sind schlicht und funktional. 130 Kilogramm Schokolade, Pralinen und Marzipankugeln liegen auf einem zentralen Kubus in einzelnen Blechen. Verkaufspersonal ist kaum zu sehen. Nur eine Waage und Zangen verschiedener Grösse deuten darauf hin, wie das Geschäft in den Confiserien von Gianfranco Arnoldi läuft.

Genialität hat mit Einfachheit zu tun

Die Kunden bedienen sich bei Gianfranco selbst. Sie pflücken die süss-herben Schokoladestücke, stecken sie einzeln in eine Tüte oder in einen Carton und stellen den Kauf auf die Waage. «Wenn man etwas Geniales tut, muss man es für die Kundschaft einfach und natürlich machen», meint Gianfranco Arnoldi.

Seine Schokolade-Häppchen gehen mit einem Einheitspreis über den Tresen. Rund 40 Franken kostet ein Kilogramm Schokolade. «Eine Kühlanlage brauche ich nicht in meinen Läden, die frische Ware ist in ein-, zwei Tagen eh weg.»

Gianfranco Arnoldi war schon immer im Schokolade-Geschäft. Mit 19 Jahren war er in der Schweiz bereits Chef-Chocolatier. Sein Handwerk lernte er bei Vanini Pasticceria in Lugano. Später mixte er die Schokolade in den Palace-Hotels von Gstaad und Luzern und im Ritz von Barcelona. Dem forschen Confiseur wurden das Tessin und die Schweiz bald zu eng.

Von der Schokolade zur Aura der Revolution

Der junge Arnoldi hatte vom legendären Revolutionär Pancho Villa gehört und von dessen berittenen Kumpanen, die Mexiko um 1910 revolutionär umgekrempelt hatten.

Seine Eindrücke holte sich Arnoldi aus mexikanischen Revolutionsfilmen, wo Pistoleros, Macheteros und Emiliano Zapata in breitkrempigen Sombreros über die Pampa ritten.

Arnoldi wollte die Aura jener revolutionären Zeit spüren und brach nach Mexiko auf. Er kam im 1956 mit einem Schiff in Veracruz an. Gianfranco Arnoldi erinnert sich: «Es sah sehr revolutionär aus damals in Veracruz. Es war ein Dorf mit netten Leuten.»

Arnoldi hatte einen Jahresvertrag der Hilton-Hotelkette im Sack, die in jenem Jahr in Mexiko-Stadt ein Hotel eröffnete.

Karriere mit Zwischenstufen, von Hilton zu Hilton

Und Arnoldi machte Karriere. Kaum war das Hilton in Mexiko-Stadt eröffnet, wurde der junge Tessiner 1957 nach Acapulco geschickt, wo das legendäre Hotel Las Brisas hoch über der Bucht die ersten Gäste empfing und wo später der Schweizer Jazzmusiker Teddy Stauffer von sich Reden machte.

Gianfranco Arnoldi zog von Hilton zu Hilton. Es verschlug ihn auch nach Havanna, wo Commandante Fidel Castro im Jahre 1959 dem amerikanischen Zauber auf Kuba und der Hilton-Hotelkette ein abruptes Ende bereitete.

Die steile Karriere und die Superjobs hinderten Arnoldi nicht, mit der Selbstständigkeit zu liebäugeln. «Von 7 Uhr bis 13 Uhr war ich Confiseur, und ab 16 Uhr bis Mitternacht war ich woanders Koch», erinnert er sich.

Nicht immer hatte der Tessiner eine glückliche Hand mit Geschäften. «Eines der ersten Schweizer Restaurants in Mexiko-Stadt machten die Behörden zu, weil ich noch keine mexikanischen Papiere hatte».

Gianfranco Arnoldi heiratete eine Mexikanerin. Zusammen fabrizierten sie Christbaumschmuck: prähispanische Engel und Weihnachtskugeln. «Wir hatten grosse Pläne und wollten unsere Produkte in den USA verkaufen. Doch die japanische Konkurrenz war zehnmal günstiger.»

Vom Christbaumschmuck zurück zur Confiserie

Das Intermezzo mit dem Christbaumschmuck war von kurzer Dauer und Arnoldi fand zurück zu seinem angestammten Metier: «Allmählich kauften wir Werkzeuge, ein Rührwerk und einen Ofen.»

1968 war es soweit. Er eröfnete in Mexiko-Stadt an der Masaryk-Strasse von Polanco seine erste Confiserie.

Die Zeiten waren günstig. 1968 fanden in Mexiko die olympischen Spiele statt, Gianfranco Arnoldi rechnete mit vielen ausländischen Besuchern und Gästen. Die süsse Pracht fand Gefallen in den Gaumen der Mexikaner. Arnoldis Geschäftsidee bremsten jedoch kulturelle Schranken.

Wenn Götter Schokolade stiften

Mexiko kennt eine uralte Kakao- und Schokolade-Kultur mit mythologischem Hintergrund. Als in vorkolumbianischer Zeit der Atztekengott Quetzalcoatl als gefiederte Schlange zum Himmel fuhr, soll er den indianischen Völkern den Kakaobaum als Quelle für natürlichen Reichtum geschenkt haben.

Gianfranco Arnoldi kämpft in seinen Confiserien bis heute mit der kulturellen Altlast, die Quetzalcoatl in den Köpfen der Menschen hinterlassen hat. Die Mexikaner geniessen Schokolade hauptsächlich als grobkörniges Getränk aus Kakao und Zucker und als würzige Sauce, worin sie saftige Hühnerschenkel marinieren.

Die europäische Form der Tafelschokolade und die Pralinen bleiben für die mexikanischen Konsumenten gewöhnungsbedürftig. «Die Mexikaner unterscheiden kaum zwischen dem rohen Kakao-Produkt und der veredelten Spezialität», meint Gianfranco Arnoldi.

«Dazu kommt, dass der typische mexikanische Konsument etwas ‹malinchista› ist. Das heisst, er bringt den Lieben zu Hause von einer Reise in die USA lieber amerikanische Schokolade mit nach Hause, als auf den eigenen, hervorragenden Rohstoffe, Kakao, zu vertrauen», hält Arnoldi fest.

Pfiffige Läden, archaische Produktion, «light» gemacht

Die Confiserien von Gianfranco Arnoldi sind raffiniert. Die Art wie der Tessiner produziert, ist archaisch. Die Rohstoffe wie Kakao, Nüsse, Zucker, Eier, Milch und Crème werden in den Nebenräumen der Confiserien gemischt.

Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter kneten fast ohne technischen Hilfsmittel. Die fertige Ware liegt auf Tischen, und wenn der Platz nicht reicht, auch auf dem Fussboden.

«Am Anfang lernte ich meine Mitarbeiter selber an. Kompliziert ist das Metier nicht. Wichtig ist, dass wir vor Ort produzieren, die ursprünglichen Rohwaren mixen und keine Halbfertigware verarbeiten.»

Arnoldi ist feingliedrig, schlank und stets gut gekleidet. Keiner sieht ihm an, dass er seit vierzig Jahren und pro Tag ein halbes Pfund Schokolade isst: «Während meine Konkurrenten mit viel Butter und Crème arbeiten, ist unsere Schokolade ‹light›, sie macht nicht dick. Schauen sie mich an!»

Die Confiserie passt sich der Stadt an

In den vergangenen vierzig Jahren hat sich Mexiko-Stadt rasant verändert. Während die Zuwanderer aus den Provinzen ins Zentrum drängen, ziehen die wohlhabenden Leute in die noblen Aussenquartiere.

Diesen neuen Trends musste Arnoldi beim Marketing Rechnung tragen. «Wegen des immer grösseren Verkehrschaos’ und der längeren Wege mussten wir unsere Pralinen näher zu den Kunden bringen.»

Gianfranco Arnoldi hat in Mexiko mit seiner Confiseur-Kunst trotz komplexer Logistik und trotz der kulturellern Schranken grossen Erfolg. In 38 Jahren hat er 23 Läden aufgebaut; 17 Confiserien gibt es in Mexiko-Stadt und sechs in Guadalajara.

«Es ist nicht leicht, so lange Top-Qualität zu produzieren», erzählt Gianfranco Arnoldi wehmütig. Der Generationswechsel ist im Gang. Sein Sohn, Jean Arnoldi, ein Jurist, ist ins süsse Geschäft des Tessiners eingestiegen.

Mehr Läden, gleicher Verdienst

Doch mehr Läden sind nicht gleichbedeutend mit mehr Verdienst: «Zu den besten Zeiten verarbeiteten wir pro Monat neun bis zwölf Tonnen Kakao zu Schokolade und Confiserie. Aber Mexiko leidet seit 18 Jahren an einer Konsumkrise. Heute verdienen wir mit 23 Läden nicht mehr als damals, als wir fünf Geschäfte hatten».

swissinfo, Erwin Dettling, Mexiko-Stadt

Malinche, malinchista:

Malinche ist eine sagenumwobene Frau der mexikanischen Conquista.

Die Mayas sollen Hernán Cortés die schöne und sprachgewandte Malinche zum Geschenk gemacht haben.

«malinchista» heisst heute, sich mit gemischten Gefühlen verhalten, zum Beispiel als mexikanischer Konsument dennoch ausländische Produkte bevorzugen.

Die Mexikaner kennen Kakao viel länger als Europäer.
Die Indios haben Kakao gastronomisch nicht mit «süss» gleichgesetzt.
Kakao wurde bitter genossen oder wird heute noch für Fleischsaucen und Marinaden gebraucht.

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