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Grosse Solidarität für streikende SBB Cargo-Arbeiter

Blockierte Geleise im Bahnhof Bellinzona. Ti-Press

In Bellinzona haben am Samstagnachmittag 6000 bis 8000 Personen gegen den Abbau von Arbeitsplätzen im örtlichen Werk der Schweizerischen Bundesbahnen (SBB) demonstriert.

Die 430 Angestellten befinden sich seit Freitagmorgen im Streik. Unterstützt werden sie von den Gewerkschaften und von der Tessiner Regierung.

Der Protestmarsch in Bellinzona stand unter dem Motto «Hände weg von den Industriewerken!» Die Streikenden fordern den Erhalt sämtlicher Stellen und wollen die Arbeit so lange niederlegen, bis das Management von SBB Cargo seine Abbaupläne rückgängig macht. Dafür stellt sich die Belegschaft auf einen langen Arbeitskampf ein.

Ein Teil der Demonstranten blockierte während einer Viertelstunde die Geleise im Bahnhof Bellinzona.

Jetzt Nein sagen

«Jetzt ist der Moment gekommen, Nein zu sagen zu Globalisierung und Privatisierung, die zu solchen Resultaten führen, wie wir sie vor unseren Augen haben», sagte Bellinzonas Stadtpräsident Brenno Martignoni an der Kundgebung.

«Wir haben genug von dieser Politik», so Martignoni zu swissinfo. «In kleinen Schritten wird nicht nur demontiert, was bei den Regiebetrieben des Bundes noch übrig bleibt, sondern der Service Public als Ganzes läuft Gefahr, ausgehöhlt zu werden.»

«Wir wollen eine starke Vertretung bilden, die in Bern gehört wird. Wir wollen, dass die Beschlüsse der SBB Cargo aufgehoben werden», erklärte der Tessiner Nationalrat Fabio Pedrina. «Wir wollen am Verhandlungstisch nach zukunftsträchtigen Lösungen suchen.»

Für Saverio Lurati, Sekretär der Gewerkschaft Unia, gefährdet die Politik von SBB Cargo den nationalen Zusammenhang. «Dem Kanton Tessin derart wichtige Arbeitsplätze, auch für die Lehrlingsausbildung, wegzunehmen, bedeutet, die regionalen Besonderheiten zu missachten. Wenn der Bundesrat dies erlaubt, heisst das, dass der nationale Zusammenhalt nicht mehr eine politische Priorität ist.»

Breite Unterstützung

Voraussichtlich am kommenden Mittwoch wird der Tessiner Staatsrat, die Kantonsregierung, beim Bundesrat, der Landesregierung, und der SBB-Spitze vorsprechen, um den Entscheid des Stellenabbaus zur Diskussion zu stellen.

Für Montag hat das Streikkomitee eine Betriebsversammlung einberufen. Dabei soll über das weitere Vorgehen sowie allfällige Protestaktionen diskutiert werden. Zudem will der Tessiner Bischof Pier Giacomo Grampa den streikenden Angestellten mit einem Besuch Mut machen.

SBB-Führung weist Vorwürfe zurück

Inzwischen hat die SBB-Führung die nach Bekanntgabe der Sanierungspläne für SBB Cargo erhobenen Vorwürfe von Missmanagement zurückgewiesen. SBB-Cargo-Leiter Nicolas Perrin sagte in einem Interview mit der «Berner Zeitung», er glaube nicht, dass die Strategie der letzten Jahre falsch gewesen sei.

Nach der Liberalisierung von 1999 sei die Wachstumsstrategie richtig gewesen. Mit der Bedienung der Nord-Süd-Achse könnten längere, für den Schienengüterverkehr besser geeignete Distanzen gefahren werden.

SBB Cargo habe sich in der Schweiz und im Nord-Süd-Verkehr gut positioniert. Das Unternehmen könne nun in Europa gezielt Partnerschaften eingehen und so zum Erfolg kommen. Von Missmanagement könne man nicht sprechen.

SBB-Verwaltungsratspräsident Thierry Lalive d’Epinay sagte in einem Interview mit der Zeitung «Blick», die Leitung von SBB Cargo habe insgesamt einen guten Job gemacht. «Es gibt aber noch Sachen, die man besser machen muss.»

Tessiner nicht schuld

«Die Tessiner haben gut gearbeitet und sind nicht schuld am Abbau in Bellinzona», sagte SBB-Chef Andreas Meyer am Samstag seinerseits in der «Samstagsrundschau» von Schweizer Radio DRS. Die SBB könne sich aber die Investitionen, die nötig wären, um den Lokomotiv-Unterhalt in Bellinzona zu behalten, einfach nicht leisten.

Die Enttäuschung und die Empörung der Betroffenen könne er sehr gut nachvollziehen. Er werde sich der Situation stellen und suche mit der Tessiner Regierung derzeit einen Termin, um gemeinsam das Werk in Bellinzona zu besuchen. Er hoffe, dass in den nächsten Tagen, wenn sich die gröbste Empörung manifestiert habe, Gespräche aufgenommen werden könnten.

Kein Verkauf

Gegenüber Radio DRS betonte Meyer erneut, dass keine Pläne für einen Verkauf der SBB Cargo vorlägen. Hingegen sei die SBB-Tochter ein «heiss umworbener Kooperationspartner». Es gebe viele Interessenten, neben dem Schweizerischen Nutzfahrzeugverband ASTAG auch internationale.

Alle diese Optionen würden nach den Kriterien geprüft, ob der Partner einen Beitrag zur nachhaltigen strategischen Positionierung leisten, Risiken mittragen und mithelfen würde, das Geschäftsergebnis zu optimieren.

Am Freitag hatte die SBB ein Sanierungspaket für ihre Tochter SBB Cargo angekündigt, dem unter anderem über 400 Stellen zum Opfer fallen sollen.

swissinfo und Agenturen

SBB Cargo ist die für den Güterverkehr zuständige Tochter der Schweizerischen Bundesbahnen. Das Unternehmen mit Hauptsitz in Basel beschäftigt rund 4400 Mitarbeitende.

Für 2007 weist SBB Cargo einen Rekordverlust von 190,4 Millionen Franken aus. Auch im laufenden Jahr wird mit einem Verlust gerechnet.

Zu den roten Zahlen beigetragen hat vor allem das internationale Geschäft mit seinen Tochtergesellschaften in Deutschland und Italien.

In Bellinzona werden 126 Stellen abgebaut sowie 18 Stellen nach Chiasso und mindestens zehn nach Yverdon verschoben.

249 Stellen sollen am Hauptsitz von SBB Cargo in Basel gestrichen werden, von denen 65 bereits durch einen im letzten Herbst eingeführten Anstellungsstopp vakant blieben.

Freiburg ist mit dem Abbau von 51 Stellen und der Verlagerung von 114 Stellen nach Basel betroffen. 46 Stellen werden zudem von Biel nach Yverdon und Olten verschoben. Im Industriewerk Yverdon sollen insgesamt zusätzliche 80 Arbeitsplätze aufgebaut werden.

Inhaltlich geht es darum, den Grossunterhalt der SBB-Lokomotiven schrittweise im Industriewerk Yverdon zu konzentrieren, wie es in der Mitteilung von SBB Cargo am Freitag heisst.

Der Unterhalt von Güterwagen in Bellinzona soll künftig in Partnerschaft mit privaten Unternehmen ausgebaut werden.

Verkaufs- und Auftragsbearbeitung sowie Kundeninformation werden in Basel konzentriert.

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