Heinrich Villiger – einziger Baron der Schweiz
Schweizer Unternehmer lieben das Understatement. Das ist beim Zigarrenbaron Heinrich Villiger nicht anders. Verehrer in Kuba heben ihn dagegen in den Himmel.
Heinrich Villiger lässt im Alter von 75 Jahren die Zügel seines Familienimperiums kontrolliert in die Hände der vierten Generation gleiten.
Wenn Heinrich Villiger alle Jahre wieder in Havanna zur Tabakmesse – zum Festival del Habano – erscheint, umgibt ihn die Aura eines Staatschefs. Auf dem Messegelände schüttelt er Hände, nimmt Huldigungen entgegen von Fachleuten und von Verehrerinnen und Verehrern.
Mit einer Zigarre zwischen den Fingern strahlt Villiger eine natürliche Autorität aus, Wissen, Ahnung und Genie, was eine geübte Hand mit einem Tabakblatt anfangen kann. Der Tabakbaron aus dem luzernischen Hinterland sucht die prominente Rolle nicht, sie ist ihm in mehr als 50 Jahren harter Arbeit zugefallen.
Schweres Geschütz gegen Tabakkonsum
In der Öffentlichkeit bläst der zeitgenössischen Raucherschaft ein strenger Wind ins Gesicht, eine Tatsache, die Heinrich Villiger gegenüber swissinfo bestätigt: «Die Tabakindustrie ist im Schussfeld der EU-Länder, und sie steht auch im Kreuzfeuer der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die einen Verhaltenskodex – die Framework Convention on Tobacco Control (FCTC) – zur Reduzierung des Konsums von Tabakprodukten erlassen hat.»
Die Tabakverbote scheinen zu greifen. Das schafft Widersprüche, wie Heinrich Villiger anhand von Absatzzahlen erläutert: «Die Zigarettenindustrie geht davon aus, dass die Antiraucherkampagnen den Konsum in den westlichen Industrieländern um 10% vermindern.»
Andererseits wachse die Weltbevölkerung um 10%, ebenso die Kaufkraft in den Ländern der Dritten Welt und vor allem in Asien, so dass die Industrie den Level halten könne.
So lautlos die fernöstlichen Märkte für Zigarren erobert werden wollen, so geräuschvoll sind die Schlachten um den blauen Dunst in den USA und in Europa. Den Antiraucherkodex der WHO haben bereits mehr als 200 Länder unterschrieben, darunter die Schweiz und Kuba. Mehr als 120 Staaten haben die Konvention ratifiziert.
Zigarette versus Zigarre
Der Kampf der WHO gilt nicht vorrangig der Zigarre, die weltweit nur zwei Prozent des Gesamttabakverbrauchs ausmacht. «Trotzdem wird die Zigarre und die Zigarette in der Öffentlichkeit über eine Leiste geschlagen», gibt Heinrich Villiger zu bedenken.
Die Tabak- und Zigarrenindustrie hat gegen die zum Teil schroffen Anschuldigungen neue Strategien entworfen: «Gegen fanatische Tabakgegner kommen wir nicht an, sie operieren mit Statistiken, die wir nicht überprüfen können», meint Villiger.
Während gegen die Zigarettenindustrie Dutzende von Prozesse laufen, lassen sich die Gerichts-Streitigkeiten um die Zigarre an einer Hand abzählen. Das schwere Geschütz, das die WHO und die EU gegen die Tabakindustrie als Ganzes auffahren, hat dazu geführt, dass sich diese dem öffentlichen Diskurs heute weitgehend entzieht.
Die Kubaner: Wieder die besten
Heinrich Villiger, der dieses Jahr 76 Jahre alt wird, raucht viel: «Ich beginne und beschliesse den Tag mit einer Zigarre aus Havanna, dazwischen rauche ich auch Produkte aus dem eigenen Haus.»
Villiger hält die Zigarren aus Kuba für die weltweit besten. «Von 1999 bis 2001 hatten wir Qualitätsprobleme. Die Kubaner fuhren die Produktion hoch, experimentierten mit neuem Saatgut (Habano 2000), das zwar gegen den gefürchteten Blauschimmel resistent war, aber dem Produkt als ganzes schlecht bekam.»
Heute stimme die Qualität wieder weitgehend. Das sei unter anderem ein Verdienst der Medien, die scheinbar auf die kubanischen Produzenten mehr Druck ausüben könnten als die Händler und Importeure.
Vom Patriarchat zum Matriarchat
Heinrich Villiger hat die Nachfolge im Familienunternehmen geregelt. Von seinen vier Kindern wird die älteste Tochter, Corina Villiger, eine Ärztin und Homöopathin, im Verwaltungsrat die unternehmerische Führung übernehmen.
Michael Beck, ein Mann aus dem Brauereigeschäft, hat letztes Jahr die operationelle Führung der Gruppe übernommen. Heinrich Villiger bleibt Mitglied, Beirat oder Präsident in den Verwaltungsräten seiner weit verzweigten Firmengruppe.
swissinfo, Erwin Dettling, Havanna
Die Villiger-Gruppe wurde 1888 als Familienunternehmen gegründet.
Pro Jahr werden in vier Werken rund 500 Mio. Zigarren und Cigarillos hergestellt und in mehr als 60 Ländern vertrieben.
In der Schweiz produziert Villiger in Pfeffikon, Luzern, und in Deutschland in Waldshut-Tiengen und in Bünde.
In der indonesischen Freihandelszone Ngoro lässt Villiger in einem eigenen Werk Zigarren- und Zigarillo-Deckblattzuschnitte für die Verarbeitung in der Schweiz und in Deutschland aufbereiten.
Die Gruppe beschäftigt ohne die Joint-Ventures mit Kuba rund 900 Mitarbeiter.
Eigene Vertriebsgesellschaften befinden sich in den USA und Frankreich.
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