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Herausforderungen für die Schweiz in Cancún

Die Schweiz will ihre Bauern vor zu rascher Marktöffnung schützen Keystone

Die Erwartungen in die 5. Ministerkonferenz der Welthandelsorganisation sind tief. Das Treffen in Mexiko, das am Mittwoch begonnen hat, könnte dennoch neuen Schub für die Handelsliberalisierung auslösen.

Die Schweiz wird mit ihren massiven Subventionen für die Landwirtschaft unter Beschuss geraten.

Delegationen aus fast 150 Staaten, davon zwei Drittel aus armen Ländern, wollen in Cancún das vor zwei Jahren in Doha verabschiedete Entwicklungsprogramm vorantreiben. Mit mehr als einer konsolidierten Bestandesaufnahme der komplexen globalen Fragen ist jedoch kaum zu rechnen.

Die Verhandlungspositionen der Schweiz liegen auf dem Tisch. Es wartet harte Arbeit auf die Vertreter des exportorientierten Landes, auf Wirtschaftsminister Joseph Deiss und seine Delegation.

Denn während die Schweiz einerseits offene Märkte wünscht, will sie andererseits ihre Bauern schützen und den Protektionismus der Landwirtschaft verteidigen.

Die heiligen Kühe der Schweiz

Für die Schweiz ist der Verhandlungsspielraum im Bereich der Landwirtschaft aus innenpolitischen Gründen eng. Denn bereits droht der Bauernverband mit einem Referendum gegen nicht tragbare Lösungen.

Zugeständnisse sind am ehesten beim Abbau von Exportzuschüssen für Landwirtschaftsprodukte möglich. Die Schweizer Delegation wird sich in Cancún jedoch kaum auf Diskussionen über Zuschüsse für die Produktion einlassen.

Die Unterhändler der Eidgenossenschaft werden in Cancún klar machen, dass die Landwirtschaft in der Schweiz schützenswert, multifunktional und keine Ware ist. Zurzeit unterstützen nur Bulgarien, Island, Liechtenstein, Südkorea und Taiwan den Schweizer Vorschlag.

Schwieriger Stand für «gerechtes Liberalisierungsziel»

Nicht nur die Schweiz ist unter Druck. Auch die USA und die Europäische Union kämpfen für ihre Subventionen. Dagegen wehrt sich die «Cairns Group», zu welcher grosse Agrarexporteure wie Australien, Brasilien oder Argentinien wie auch Entwicklungsländer gehören.

Provokativ mag auf Staaten der Dritten Welt wirken, dass die Schweiz zu jenen Ländern in Europa gehört, welche jede Kuh pro Tag mit mehr als zwei US-Dollar subventioniert, während die Hälfte der Weltbevölkerung mit weniger als zwei Dollar pro Tag auskommen muss.

Trotz dieser Kritik stockt das Entwicklungsprogramm der WTO. Kaum jemand erwartet spektakuläre Resultate: «Die Divergenzen der einzelnen Staatengruppen sind hoch. Ein gerechtes Liberalisierungsziel, wo die armen Länder den ihnen zustehenden Platz einnehmen, liegt weit weg», sagt Marianne Hochuli von der Nichtregierungs-Organisation «Erklärung von Bern» gegenüber swissinfo.

Medikamente: Die Schweiz als Katalysator?

Gleichzeitig erstaunt, dass die Schweiz bei Schlüsselentscheiden eine wichtige Rolle spielen kann. Die WTO hat unmittelbar vor dem 5. Ministertreffen in Cancún erreicht, dass arme Länder in medizinischen Krisensituationen Zugang zu lebenserhaltenden und billigen Nachahmerprodukten von teuren Medikamenten erhalten.

Ohne die Zustimmung der transnationalen Pharmaunternehmen der Schweiz wäre diese Übereinkunft kaum möglich gewesen.

Wie weit soll der Investitionsschutz gehen?

Kontrovers sind die Dossiers Handel, Investitionsschutz, und Umwelt. Kernpunkt in Cancún wird sein, Widersprüche zwischen bestehenden Handels- und Umweltabkommen zu beseitigen.

Viele Nichtregierungs-Organisationen (NGOs) bekämpfen den von der Schweiz und anderen Industriestaaten geforderten umfassenden Investitionsschutz, der den freien Marktzugang, die Inländerbehandlung und die Meistbegünstigungsklausel beinhaltet.

Die NGOs machen geltend, Direktinvestitionen würden oft die Entwicklung armer Ländern behindern, statt sie zu fördern.

Schliesslich wehren sich zahlreiche Umweltorganisationen gegen die Patentierung von Pflanzen und Tieren, so wie dies die WTO-Abkommen über die handelsbezogenen Aspekte der Rechte an geistigem Eigentum (TRIPS) vorsehen. Bereits jetzt ist in gewissen Ländern das Recht der Bauern eingeschränkt, Saatgut frei untereinander auszutauschen.

Schweiz für offene Markte für Industrie

Bei den Industriegütern macht die Eidgenossenschaft mit ihren bereits tiefen Zöllen gute Figur. Die exportorientierte Schweiz wird in Cancún versuchen, den Marktzugang zu weiteren Ländern zu verbessern und den Abbau von nichttarifären Handelshemmnissen – dazu zählen Zertifikate für Produkte und Prüfungen – fordern.

Bei den Dienstleistungen steht der verbesserte Marktzugang zur Debatte. Nach dem grossen Börsencrash in Asien vor sechs Jahren weigern sich viele Entwicklungsländer, den Finanzdienstleistungssektor zu öffnen. Sie fürchten sich vor der lokalen Destabilisierung, welche spekulative Operationen an den grossen Börsen der Welt verursachen können.

Kaum rasche, konkrete Ergebnisse

Wie wird das WTO-Treffen in Cancún in die Geschichte eingehen? Bundesrat Deiss erklärt gegenüber swissinfo: «Cancún ist eine Zwischenetappe. Konkrete Ergebnisse sind frühestens in einem Jahr zu erwarten, greifbare Auswirkungen auf die Weltwirtschaft noch später. Von Cancún könnten jedoch wichtige psychologische Impulse für den Welthandel ausgehen.»

swissinfo, Erwin Dettling, Cancún

Die WTO wurde 1995 gegründet.
Sie will den globalen Handel ausweiten, ihn fairer machen und den Wettbewerb fördern.
Das Treffen in Cancún markiert die Halbzeit der Doha-Handelsrunde, gestartet Ende 2001.
Ziel der Doha-Runde ist, Barrieren für aufstrebende Wirtschaftsnationen in vielen Handels-Bereichen abzubauen.

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