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Hermes Baby: Das Lieblingskind der Autoren

Die Schreibmaschine im Taschenformat: Hermes Baby. mytypewriter.com

Viele grosse Werke wurden mit ihr geschrieben, viele Autoren haben sie in ihr Herz geschlossen: Die Schweizer Schreibmaschine "Hermes Baby".

Die Qualitätsmaschine war das billige Volksmodell, das in jede Tasche passte, und darum von Anfang an ein Erfolg.

Ernest Hemingway hatte eine, sein amerikanischer Schriftstellerkollege John Steinbeck ebenfalls. Die Dichterin Friederike Mayröcker soll gesagt haben, sie sei verheiratet mit ihr, ihrer Hermes Baby.

Sogar Betty Bossi, alias Emmi Creola aus dem Kanton Zürich, tippte ihre Ratschläge fürs Kochen zwischen 1956 und 1971 auf ihrer Baby.

Die Hermes Baby hat sich einen Ruf als berühmteste Reiseschreibmaschine der Welt geschaffen. Ihr Konstrukteur, so überliefern die meisten Quellen, war ein Italiener namens Giuseppe Prezioso. Ab 1935 fabriziert und vermarktet wurde sie aber von der Schweizer Firma Paillard & Cie SA im Waadtländer Jura.

Maschine fürs Volk

Flach, leicht, strapazierfähig und billiger als alle anderen war sie, eine Maschine fürs Volk. 42 Typen hatte sie, ein charmantes Design ohne Ecke und einen Namen zum Gernhaben.

Die Firma Paillard war 1814 als Uhrenmanufaktur gegründet worden, diversifizierte dann und stellte Musikautomaten, kinematographische Geräte und Schreibmaschinen her.

Am Vorabend des Zweiten Weltkriegs hatte die Fabrik vier Standbeine: Plattenspieler, Radios, Schreibmaschinen und Bolex-Kameras, die ebenfalls Weltruhm erlangen sollten.

Obwohl das Geschäft ab 1920 eine AG war, dirigierten die Mitglieder zweier Familien, der Paillard und der Thorens, es noch immer wie ein Familienunternehmen. Schreibmaschinen, solide Büromaschinen unter dem Namen Hermes, verkaufte Paillard seit 1923.

Baby-Boom

Keine aber brachte der Firma einen solchen Erfolg wie die Baby. Besonders hart umkämpft war der Markt in den 1930er-Jahren, die Konkurrenz bei den Reiseschreibmaschinen war noch grösser als die bei den schweren Büromaschinen.

Zu dieser Zeit entwickelte in Mailand Giuseppe Prezioso eine neue tragbare Schreibmaschine. Die Patrons der Paillard SA bekamen Wind davon, warben ihn bei der englischen Schreibmaschinen-Herstellerin Oliver ab und engagierten ihn 1932 für sich.

Seine Maschine verkauften sie dann als «Hermes 2000», allerdings nur mit mässigem Erfolg. In der Folge machte sich Prezioso daran, eine neue Maschine zu konstruieren, die noch leichter, noch kleiner und billiger herzustellen und zu verkaufen sein sollte.

Das Resultat war die Hermes Baby. Sie wog nur vier Kilo, war bloss sechs Zentimeter hoch – vier Zentimeter kleiner als andere Modelle, und kostete nur 160 Franken, womit sie für Arbeiter erschwinglich war.

Modernes Marketing

Dafür, dass die Baby bekannt wurde, sorgte ein Mann, den Paillard ebenfalls in Italien bei Oliver abgeworben hatte, Gualtiero Thieben. Er erfand den Namen Hermes Baby, betrieb ein modern anmutendes Marketing und konnte den schwierigen US-Markt für die Hermes- Maschinen erobern.

Die Baby avancierte zum Exportschlager. Dank ihrem Erfolg wurde die Schweiz 1938 mit 42’000 ausgeführten Exemplaren hinter den USA und Deutschland zum drittgrössten Exportland für Schreibmaschinen.

Ein Plagiat?

Indessen gibt es noch eine andere Interpretation der Geburt der Hermes Baby. Diese vertritt Stefan Beck, Präsident des Sammlerklubs historischer Büromaschinen Schweiz und Betreiber des Schreibmaschinen-Museums in Pfäffikon bei Zürich. Seine Quelle ist die «Entwicklungsgeschichte der Schreibmaschine» von Ernst Martin.

Demnach wäre die Hermes Baby im Prinzip eine Kopie der Maschine gewesen, welche die Schweizer Firma Patria 1936 lanciert hatte. Konstrukteur war der Deutsche Otto Haas.

Haas habe 1934 eine Schreibmaschine entworfen, die in eine Aktentasche passte und das Modell an die Firma Paillard geschickt. Doch diese habe eine industrielle Produktion abgelehnt.

Ein Jahr später erschien die Hermes Baby auf dem Markt, «mit verblüffenden technischen Ähnlichkeiten», sagt Beck. Seine These also lautet: Prezioso baute die Hermes Baby wahrscheinlich auf der Basis von Haas› Modell der Patria-Schreibmaschine.

Opfer der digitalen Revolution

Ihr Ende kam mit der digitalen Revolution. Paillard musste die Produktion der Hermes-Schreibmaschinen 1989 einstellen.

Heute ist die Baby nur noch auf Flohmärkten und in Sammlerbeständen zu finden. Sie wird nirgends mehr hergestellt. Der Computer hat die Ära der Schreibmaschinen beendet.

swissinfo © Neue Zürcher Zeitung, Annemarie Straumann

Über die Jahrzehnte hat die Firma Paillard Millionen von Hermes Babys verkauft.

In den 1960er-Jahren beschäftigte sie 8000 Mitarbeiter weltweit, davon 6000 in Yverdon und Sainte-Croix.

Paillard war das grösste Industrieunternehmen in der französischsprachigen Schweiz.

1989 stellte sie die Produktion der Hermes-Schreibmaschinen ein.

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