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Hochgeschwindigkeits-Bahnen sprengen Landesgrenzen

Paul Blumenthal, Chef Personenverkehr SBB, wünscht sich mehr Tempo auf Europas Schienennetz. SBB

Im grenzüberschreitenden Europaverkehr wollen die Bahnen eine Alternative zu Flugzeug und Auto bieten: Sie versuchen, ihre Hochgeschwindigkeits-Schienensysteme zu vernetzen.

Mit dem Verbund «Railteam» sind Vereinheitlichungen bei Taktfahrplan, Reservation und Billetkauf geplant. Der Chef des SBB-Personenverkehrs, Paul Blumenthal, konkretisiert das Projekt.

Das Reisen auf Europas Hochgeschwindigkeits-Schienennetz (HG) soll vereinfacht werden. Sieben Bahngesellschaften, auch die SBB, haben sich zum Verbund-Projekt «Railteam» zusammengeschlossen.

Dieses zielt nicht nur auf eine einfachere Abwicklung für den Kunden, sondern auch auf einen technischen Zusammenschluss des national noch separaten HG-Verkehrs in ein europäisches Netz.

Will heute ein Reisender mit dem EC, ICE oder TGV an ein Zielort im Ausland gelangen, gestaltet sich vieles oft komplizierter, als wenn er dorthin fliegen würde.

swissinfo: War die von «Railteam» jetzt angegangene Standardisierung im grenzüberschreitenden HG-Bereich der Bahnen nicht schon längst fällig?

Paul Blumenthal: Grenzüberschreitend standardisiert sind die Fahrpläne, aber alles andere wie Preisgestaltung, Reservation, Vertrieb, oder Qualitätsstandards noch nicht. Da gibt es grosse Unterschiede zwischen den Ländern.

Für den Bahn-Kunden ist es auch sehr schwierig herauszufinden, in welchem Netz er sich gerade befindet.

Hier will der Railteam-Verbund einen gemeinsamen Ansatz. Die einzelnen nationalen Bahnen sollen sich nicht mehr separat entweder nur mit deutscher Qualität, französischer Geschwindigkeit oder Schweizer Gründlichkeit zu profilieren versuchen.

swissinfo: Es sollen in Europa verschiedene HG-Bahn-Drehkreuze entstehen. Weshalb ist für die zentral gelegene Schweiz keines vorgesehen?

P.B.: Das kann sich ändern. Warten wir ab, was mit dem südlichen Teil des europäischen HG-Netzes passiert, mit Trenitalia und dem Cisalpino.

Sobald dieser Teil integriert ist, wird zu diskutieren sein, ob nicht beispielsweise auch Zürich zum Bahn-Hub wird.

swissinfo: Weshalb ist denn Italien noch nicht dabei? Macht zumindest der italo-schweizerische Pendolino bei Railteam mit?

P.B.: Nein. Die Italiener wollten sich bei dieser Entwicklungsarbeit nicht aktiv beteiligen, da sie noch einige eigene Probleme im Infrastruktur- und Kommerzbereich zu lösen haben. Doch es ist ihr Wunsch, dabei zu sein. Es handelt sich wohl um eine Frage der Zeit.

swissinfo: Die Fahrpläne sollen aufeinander abgestimmt werden, um die Anschlüsse zu verbessern. Wird es dann eine Art HG-Taktfahrplan ab den Schienen-Hubs geben?

P.B.: Ein Teil des heute schon bestehenden HG-Verkehrs ist bereits vertaktet, zum Beispiel in Deutschland. Die Franzosen sind am Überlegen, ob sie für ihr TGV-Netz das Gleiche einführen wollen.

Railteam zielt darauf, dass die Schweiz mit Frankreich, Italien und Deutschland die «Vertaktung» auch vollzieht. Erst damit würden die nationalen Teilsysteme wirklich miteinander vernetzt. Und die HG-Züge fahren einander nicht mehr unkoordiniert vor der Nase ab.

swissinfo: Railteam sieht auch einen gemeinsamen Vertrieb vor. Eine HG-Reise soll mit einer einzigen Transaktion gebucht werden können. Ist denn das heute noch nicht der Fall?

P.B.: Nein, heute läuft das noch nicht so. Die Schweizer Bahnen sind dabei fast die Leidgeprüftesten. Es ist unwahrscheinlich schwierig, ein Bahnticket über das gleiche System von der Schweiz nach Paris, Frankfurt oder nach Italien auszugeben. Denn jede Bahngesellschaft arbeitet mit ihrem national separaten System, bei denen die Tickets nach unterschiedlichen Philosophien herausgegeben werden.

Der Kunde selber, der sich im Internet über eine internationale Reise erkundigen will, auch fahrpreismässig, und gleich reservieren und buchen möchte wie beim Flugzeug, kann das im Bahnbereich nicht machen.

swissinfo: Es heisst, HG-Züge belasten das Klima weniger als Flugzeuge. Gibt es genaue Emissionsausstoss-Vergleiche? Und zieht das Klima-Argument?

P.B.: Die Bahnen sind im Moment noch zu wenig gewohnt, das Treibhausgas-Argument für sich zu nutzen. Aber es zieht bestimmt.

So zeigen Statistiken zum Kohlendioxid-Ausstoss, dass auf der Strecke Paris-Marseille mit der Bahn pro zwei Personen hin und zurück rund 20 kg CO2 anfallen. Beim Fliegen sind es 373 kg CO2 und pro Auto rechnet man für diese Strecke mit 313 kg CO2-Ausstoss.

Es zeigt sich, dass die Emissions-Werte der Bahn jene ihrer Konkurrenz um das zehn- und mehrfache unterschreiten. Wir sollten mit diesem Argument aktiver und offensiver fechten.

swissinfo-Interview: Alexander Künzle

Die Hochgeschwindigkeits-Systeme (HG) der Bahnen sind in den verschiedenen Ländern Europas historisch und strukturell unterschiedlich gewachsen.

Zur Zeit gibt es 5000 km HG-Strecken. Bis 2020 sollen es 15’000 km sein.

Die Prioritäten waren bisher in jedem Land unterschiedlich ausgelegt, weil sie national gewachsen und gebaut wurden.

Deshalb bilden die einzelnen Systeme heute, wo der grenzüberschreitende Bahnverkehr immer wichtiger wird, noch kein Netz.

Der Flugverkehr war im Gegensatz dazu immer schon grenzüberschreitend angelegt. Airlines operieren entweder mit Direktverbindungen zwischen zwei lohnenden Destinationen oder mit Zubringern über Drehscheiben.

Erst jetzt, wo im Bahnbereich die kritische Grösse der HG-Systeme erreicht wird, machen sich grosse Bahngesellschaften daran, diese Netze zusammenzuschliessen.

Anfang Juli haben die Deutsche Bahn, SNCF, SNCB, NS Hispeed, ÖBB, SBB, Eurostar UK und ihre Töchter Thalys und Lyria die Gründungsurkunde von Railteam unterschrieben.
Dieser Verbund will eine bessere Vernetzung der Bahnangebote für Hochgeschwindigkeitszüge.
Die Angebote sollen einfacher und komfortabler gemacht werden, von der Buchung bis zur Ankunft am Zielort. Das bestehende internationale Tarifsystem genügt nicht mehr.
Allein für eine gemeinsame Vertriebsplattform investieren die beteiligten Bahnen 30 Mio. Euro.

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