Hochpreisinsel wird unterspült
Bald könnten in der Schweiz die hohen Preise purzeln. Kartellabsprachen sollen verboten werden.
Das Parlament diskutiert ein neues Kartellgesetz, das griffiger werden soll.
Jahrzehntelang zahlten Schweizerinnen und Schweizer im Vergleich zum Ausland in vielen Konsumbereichen überhöhte Preise. Begründet wurde dies oft mit den hohen Qualitätsanforderungen der Schweizer und der miteinbegriffenen Garantie. Konsumentenorganisationen haben diesen Missstand schon lange angeprangert, und seit Anfang dieses Jahres werden sie auch von den Boulevardmedien unterstützt.
Nun kündigt sich eine Revolution im Wettbewerbsverhalten der involvierten Unternehmen an. Mit einer Änderung des Kartellgesetzes sollen Kontrolle und Sanktionen von Preisabsprachen verschärft werden, so die Stossrichtung des Parlamentes in der aktuellen Debatte. Allerdings: Wie viel Biss dem Gesetz bleibt und wann welche Güter billiger werden, wird sich erst in der Detailberatung zeigen.
Bürgerliche uneinig
Für die Gegner dieser Liberalisierungs-Vorlage wird es nicht einfach. Denn welcher Politiker will schon – ein Jahr vor den Wahlen – als konsumentenfeindlich und dazu noch als Wettbewerbsverhinderer gelten. «Die bürgerliche Phalanx ist am Bröckeln», sagte die Sozialdemokratin Simonetta Sommaruga gegenüber swissinfo.
«Die Hochpreisinsel Schweiz ist schädlich: Sie schwächt die Kaufkraft der Konsumentinnen und Konsumenten. Der Einkaufstourismus ins nahe Ausland schwächt Wirtschaft, Gewerbe und KMU», so Konsumentenschützerin Sommaruga.
Und kämpferisch fügt sie an: «Die Kartelle sind nichts anderes als organisierter Diebstahl an der Kundschaft!» Solche klaren Äusserungen kommen nicht nur von links, sondern auch von bürgerlicher Seite. Der Präsident der Freisinnigen Partei, Gerold Bührer, doppelt nach: «Es gibt keine Alternative zum Wettbewerb.»
Einkaufstouristen oder Hochpreisflüchtlinge
Die markigen Worte haben ihren Grund: Es geht um viel Geld – Geld, das zurzeit den Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten abgeknöpft wird.
Nicht nur wer in Grenznähe wohnt, weicht dem Hochpreis-Problem aus. Beispielsweise Michael B., der in der Region Basel lebt, fährt alle zwei Monate zum Grosseinkauf nach Deutschland.
«Es ist einfach preiswerter dort. Und die Markenartikel sind genau die gleichen wie in der Schweiz», berichtet er gegenüber swissinfo. Ein konkretes Beispiel: Ein Marken-Duschmittel kostet in der Schweiz 6.50 Franken. Für 3 Euro, also 4.50 Franken erhalte er in Deutschland 2 Stück, so Beeler.
Milliarden ins Ausland
Rund 5 Mrd. Franken werden auf Grund der hohen Inlandpreise jährlich von Schweizern im Ausland ausgegeben. Milliarden, welche der Wirtschaft in der Schweiz verloren gehen. Dazu kommen die entfallenden Umsätze mit ausländischen Touristen, denen die hohen Lebenshaltungskosten in der Schweiz Grund genug sind, nicht zu kommen.
Der Grund sind die geheimen Preisabsprachen, Kartelle und Importmonopole, an welchen die privilegierten Unternehmen festhalten wie früher die Weissweinimporteure an ihren Kontingenten.
Doch nicht nur die Konsumentinnen und Konsumenten bezahlen mehr. Auch Detailhändler wie Migros und Coop sowie Hoteliers und Gastronomen müssen für Importware im Ankauf bis rund 30% mehr bezahlen als entsprechende Detailhandels- oder Gastrounternehmen, die in Europa operieren. Dies zeigt eine Studie der Basler Konjunkturforschung (BAK).
Carrefour kommt im richtigen Moment
An den Grossverteilern bleibt so der Makel der Hochpreispolitik haften. Denn es ergibt sich die Situation, dass Grossverteiler trotz knapper Warenmargen immer noch zu viel verlangen müssen und der Konsument nach Annemasse oder Lörrach ausweicht. Migros verkauft dort dieselben Artikel viel billiger.
Carrefour, Europas grösster Food-Grossverteiler, hat diese Woche seinen Wiedereinstieg in die Schweiz angekündigt. 20 Hypermarchés sollen bis in einem Jahrzehnt entstehen. Carrefour ist nicht an die traditionell bestehenden Preisbindungen liiert und möchte deshalb die Preise tief ansetzen.
Vertikal, Horizontal, Parallel: Überall Absprachen
Der Grund für die hohen Engros-Einkaufspreise sind sogenannte vertikale Absprachen. Der Hersteller schreibt dem Abnehmer/Grossverteiler vor, in welchem Gebiet und zu welchen Preisen er ein Produkt verkaufen darf. Ein Kartell von oben nach unten. So zum Beispiel häufig Realität bei Autos und Uhren.
Bei horizontalen Abmachungen verhindern verschiedene Anbieter auf gleicher Stufe eine Konkurrenz durch Preisabsprachen. Bis vor zwei Jahren bestimmten Freiburger Fahrlehrer zum Beispiel, dass bei ihnen eine Fahrstunde immer 85 Franken kosten soll. Bei Preis-, Mengen- und Gebietsabreden spricht man auch von harten Kartellen. Fallen diese, entsteht ein Wettbewerb, und die Preise sinken.
Preisnachlässe ergeben sich auch, wenn Parallelimporte gemacht werden dürfen. Dabei kauft der Schweizer Importeur die Markenware im Ausland nicht beim Hersteller, sondern anderswo ein und bietet sie in der Schweiz gemäss eigenen Preisvorstellungen an. Ausländische Produzenten praktizieren bisher oft die Politik, solche parallelen Einfuhren in die Schweiz durch vertikale Absprachen zu verhindern.
Hohe Strafen wie im Ausland
Nun soll all dies ändern. Zumindest hat der Nationalrat als Erstrat am Donnerstag beschlossen, über die Verschärfung des Kartellrechtes im Detail zu debattieren.
Das revidierte Kartellgesetz soll nun Parallelimporte erlauben und vertikale und horizontale Absprachen verbieten. Die Strafen sollen dabei drakonisch sein. Geplant sind maximal 10% des jeweiligen Umsatzes der letzten drei Jahre in der Schweiz. Nur mit einer hohen Strafandrohung könne das Gesetz abschreckend wirken, so die Argumentation.
In vielen Ländern sind solch harte Urteile normal: Im letzten November zum Beispiel hatten die EU und die USA gegen den Pharmariesen Roche wegen verbotener Preisabsprachen bei Vitaminpräparaten Bussen von insgesamt über 1,4 Mrd. Franken ausgesprochen.
Insider oder Denunzianten
Heute kann die Wettbewerbs-Kommission (Weko) erst im Wiederholungsfall gegen kartellrechtliche Verstösse vorgehen. Neu sollen schon beim ersten Missbrauch der Marktmacht happige Strafen angesetzt werden.
Weiter soll eine Bonusregelung Kronzeugen unterstützen. Unternehmen oder Personen, die Kartelle aufdecken, sollen von Sanktionen teilweise oder ganz verschont bleiben. In Deutschland seien gute Erfahrungen bei der Aufdeckung von Kartellen durch Insider gemacht worden.
Diese Insider-Regelung wird vermutlich am heftigsten umkämpft werden. Die Gegner sehen Treu und Glauben in Frage gestellt. Sie befürchten ein Klima des Misstrauens in Unternehmen. «Denunzieren und Verpfeifen» habe in der Schweiz nichts zu suchen.
Einfluss in der Politik
Wenn Konsumentinnen und Konsumenten von tieferen Preisen profitieren, wird dadurch der Gewinn der monopolistisch agierenden Unternehmen geschmälert. Vor allem stark involvierte Generalimporteure und Alleinvertreiber von Markenprodukten befürchten denn auch Einbussen. Und diese Unternehmen verfügen über Einfluss in der Politik.
Es wird daher mit einer harten Auseinandersetzung im Parlament gerechnet. Die Gesetzesänderung wird am 25. September im Nationalrat detailliert behandelt.
swissinfo, Christian Raaflaub
Schweizer Einkäufe im Ausland: über 5 Milliarden Franken jährlich
Vertikale Kartelle: Absprachen zwischen Produzenten und Verkäufern
Horizontale Kartelle: Absprachen zwischen Anbietern auf gleicher Ebene
Parallelimporte: Der Importeur kauft ein Produkt nicht beim ausländischen Hersteller selbst ein.
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