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Hoffen auf konjunkturell aufgehellten Lohnherbst

Aufhellung am Konjunkturhimmel: Gewerkschaften bereiten Lohnrunde vor. swissinfo.ch

Die Gewerkschaften möchten, angespornt durch die weiter guten Wirtschaftsaussichten, bis 3,5% Lohnerhöhung.

Die Arbeitgeber stellen sich jedoch prinzipiell – wie jedes Jahr – gegen allgemeine Lohnerhöhungen. Sie möchten weg vom starren Lohnsystem.

Noch ist der Ferien-Sommer nicht zu Ende, und schon steht der Lohn-Herbst vor der Türe. Die Gewerkschaften wollen die Löhne in einzelnen Branchen bis zu 3,5% anheben. Ihre Forderungen stützen sie dabei auf die gute Konjunktur.

Ende vergangener Woche bestätigte die Konjunkturforschung der ETH Zürich mit ihrem KOF-Barometer das anhaltende Wachstum des Bruttoinlandprodukts auch für das zweite Halbjahr 2004. Seit gut einem Jahr steigt dieses Barometer.

Dennoch halten die Arbeitgeber wenig von generellen Lohnerhöhungen. Und bei den Arbeitszeiten sei eine Erhöhung, über die etwa in Frankreich oder Deutschland teilweise gerungen wird, in der Schweiz kein Thema.

Günstigeres Klima für Lohnerhöhungen

«Das wirtschaftliche Klima ist eindeutig günstiger für Lohnforderungen als vor einem Jahr», sagt der Sprecher des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB), Pietro Cavadini. Am 11. August will der SGB seine Ziele bekannt geben.

Cavadini hält jedoch jetzt schon fest, dass Forderungen für die öffentlichen Dienste, wo Spardruck herrsche, oder auch für das Baugewerbe, schwer durchsetzbar seien.

Demgegenüber fordert die Gewerkschaft Bau und Industrie (GBI) zusätzlich 120 Franken im Monat oder 2,2%. Die Pharmaindustrie soll 3,5% mehr bezahlen.

Der Kaufmännische Verband Schweiz (KV Schweiz) fordert voraussichtlich 2,5 bis 3%. Dies sei der Rahmen für die Finanzdienstleistungs-Branche, aber auch für den Detailhandel und das Baugewerbe.

De facto Kaufkraftverlust

Gegenüber swissinfo kommentiert Bruno Schmucki, Sprecher der SMUV (Gewerkschaft Industrie, Gewerbe und Dienstleistungen) diese Forderungen: «In den vergangenen Jahren fielen die Lohnerhöhungen etwas gar mager aus. De facto geht man von einem Kaufkraftverlust bei den Löhnen aus.»

Besonders gespürt hätten dies die Arbeitnehmer im Tieflohnbereich, sagt Schmucki. Doch auch der Mittelstand hätte eine spürbare Lohnerhöhung nötig, damit der Aufschwung Bestand haben könne.

Der SMUV-Sprecher glaubt, dass es bei den jetzt anstehenden Lohnverhandlungen genügend Spielraum gibt, um je nach Branche echte Resultate zu erreichen.

Teuerungsausgleich kein Argument mehr

Ganz anders tönt es aus der anderen sozialpartnerschaftlichen Ecke, jener der Arbeitgeber: «Heutzutage darf kein Arbeitnehmer in der Schweiz mehr auf den Teuerungsausgleich spekulieren», sagt Arbeitgeber-Direktor Peter Hasler.

Mit generellen Lohnforderungen für ganze Branchen könne er wenig anfangen. Jedes Unternehmen in der Schweiz werde die Lohnfrage gemäss der eigenen Situation angehen müssen: «Ohnehin ist in der Schweiz vom starren Lohnsystem zur Leistungsentlöhnung mit variablen Saläranteilen umgeschwenkt worden.»

«In den Arbeitsmärkten ist in den letzten Jahren tiefgreifend durchrationalisiert worden», benennt Schmucki aus Gewerkschaftssicht dasselbe Phänomen. «Das hat zu sehr vielen Kündigungen geführt. Und diese Situation wird sich nicht so schnell ändern.»

Nicht nur über Löhne verhandeln

Beim Staatssekretariat für Wirtschaft (seco) differenziert Direktor Jean-Luc Nordmann die für kommenden Herbst anstehenden Lohnforderungen: «Sinnvoll sind Lohnerhöhungen in Niedriglohnsegmenten und betreffend Mindestlöhne.»

Darüber hinaus müsse die Lohnerhöhungsfrage von Betrieb zu Betrieb individuell und je nach Entwicklung, Aussichten und Möglichkeiten beurteilt werden.

«Wichtig ist, dass neben dem Lohn auch weitere Punkte wie die Weiterbildung der Arbeitnehmer Bestandteil der Verhandlungen sind», so Nordmann weiter.

Schweiz: Nie Billiglohn-Land

Diskussionen um generelle Arbeitszeiterhöhungen hält auch Nordmann für wenig fruchtbar: «Die Schweiz wird auch dann nicht zu einem Billiglohnland, wenn man die Arbeitszeit wöchentlich um eine oder zwei Stunden erhöht.» Dagegen könne eine Flexibilisierung beispielsweise Richtung Jahresarbeitszeit sinnvoll sein.

Um die Begriffe Hochlohn-, Billiglohnland und Arbeitsplätze wird seit langem gestritten. Stiegen die Löhne zu hoch, so argumentieren die Arbeitgeber Jahr für Jahr jeweils vor den Lohnrunden, komme es zu Abwanderung von Arbeitsplätzen in Billiglohnländer.

Dem halten die Gewerkschaften die konjunkturfördernden Effekte der Kaufkraft entgegen, wie auch Schmucki gegenüber swissinfo anführt. «Wir können der Lohnkonkurrenz aus Ländern wie Polen oder China nichts entgegensetzen. Deshalb konzentriert man sich in der Binnenwirtschaft seit Jahren auf Qualität, Spezialisierung und hohe Produktivität.»

Diese drei Elemente seien denn auch die Trümpfe der Schweizer Wirtschaft. Deshalb habe das qualifizierte Personal auch Anrecht auf eine entsprechende Entlöhnung. Nur so könne langfristig die Wettbewerbsfähigkeit erhalten und kurzfristig das Wachstum angekurbelt werden.

Hohe Löhne, hoher Franken, hohe Endpreise

Andererseits sieht Schmucki im Juni-Entscheid der Schweizerischen Nationalbank, die Zinsen zu erhöhen, ein negatives Zeichen. Denn höhere Zinsen führen tendenziell zu einem höheren Franken.

«Dem Zinsentscheid können auch die Strukturprobleme rund um die Kreditvergabe-Politik beigestellt werden.» Ohnehin seien es die mittleren und kleinen Betriebe, denen die Kredite fehlten, damit sie beim Wiederaufschwung leichter mitmachen könnten.

Hohe Löhne können aber die Endpreise zu sehr hoch halten. Das binnenschweizerische Preisniveau gehört bekanntlich zu den höchsten weltweit. Das ärgert auch die Gewerkschaften.

Vital Stutz, Geschäftsführer des Verbands Schweizerischer Angestelltenvereine der Maschinen- und Elektronikindustrie (VSAM), sagte im Juni, dass die Löhne nicht zwingend steigen müssten, sondern auch sinken könnten – wenn die Hochpreisinsel Schweiz sich dem Niveau der EU-Nachbarländer angleiche.

Dann würde nämlich gleichzeitig auch die Konkurrenzfähigkeit der Schweiz besser – ohne dass die Kaufkraft im Inland sinken würde.

swissinfo und Agenturen

Die Gewerkschaft Bau und Industrie verlangt Lohnerhöhungen zwischen 2,2% (Bau) und 3,5% (Pharma).
Die Dienstleistungs-Gewerkschaft VHTL verlangt 2,5 bis 3% mehr. Speziell Mitarbeiter mit einer höheren Ausbildung müssten mehr erhalten.
Der SMUV verlangt einen Mindestlohn von 3700 Franken für die Maschinenindustrie.
Die VSM fordert 2,6% Lohn mehr für alle, ausser bei Unternehmen, die angeschlagen sind.
Das Gastgewerbe und die Hotellerie haben bereits ein Resultat: Die Mindestlöhne werden 2005 um 25 bis 40 Franken pro Monat erhöht, was ungefähr einem Prozent entspricht.

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