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Hohe Hürden für die Steuerabkommen

Die Schweizer Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf hat eine Sitzung zur Steuerpolitik in Brüssel abgesagt. AFP

Die Schweiz könnte mit ihrer Strategie scheitern, EU-Mitgliedstaaten mit Steuerabkommen zu isolieren, die Bankkunden Anonymität garantieren. Die EU-Kommission drängt Grossbritannien und Deutschland, ihre Abkommen mit der Schweiz nachzuverhandeln.

Ein erwartetes Treffen zwischen Finanzministerin Eveline Widmer-Schlumpf und EU-Steuerkommissar Algirdas Semeta ist am Freitag nicht zustande gekommen.

Die «Rubik» genannten Steuerabkommen mit Deutschland und Grossbritannien sehen vor, dass Kapitalerträge auf Guthaben von Steuerflüchtigen aus Deutschland und Grossbritannien auf Schweizer Banken pauschal besteuert werden, ohne dass die Namen der Kunden ausgewiesen werden.

Aber die Abkommen durchkreuzen die EU-Strategie, die Schweiz zu einem automatischen Informationsaustausch für Ermittlungen bei Steuerhinterziehung zu zwingen. Die Schweiz widersetzt sich diesem Datentransfer, um Teile des Bankgeheimnisses zu retten und diesen Geschäftsvorteil ihrer Privatbanken nicht preisgeben zu müssen.

In den letzten Monaten war es der Schweiz gelungen, Deutschland und Grossbritannien zu überzeugen, aus der EU-Reihe zu treten und die bilateralen Steuerabkommen mit der Schweiz zu unterzeichnen.

Aber der politische Widerstand im nördlichen Nachbarland und die Drohungen der EU-Kommission, rechtliche Schritte zu unternehmen, lassen Zweifel am Erfolg der bilateralen Abkommen aufkommen.

Künftige Fallstricke

Mit dem rückwirkenden Element des «Rubik-Systems» gebe es keine Rechtsprobleme. Dieses will Schweizer Banken dazu zwingen, verloren gegangene Steuererträge zurückzubezahlen, sagt Thomas Cottier, Professor für Europäisches und internationales Wirtschaftsrecht an der Universität Bern.

Aber Grossbritannien und Deutschland scheinen sich über EU-Richtlinien hinwegzusetzen, indem sie lieber künftige Zahlungen akzeptierten, anstatt die gesamten Kundendaten zu erhalten.

«EU-Mitgliedstaaten sind berechtigt, über vergangene Sünden zu verhandeln, aber stossen künftig auf Probleme, wenn sie den freien Informationsaustausch verhindern», sagt Cottier gegenüber swissinfo.ch.

Cottier vergleicht die Drohung, Grossbritannien und Deutschland vor den Europäischen Gerichtshof zu ziehen, mit dem Streit zwischen der EU und den amerikanischen Airlines über Luftraumverträge zu Beginn des Jahrtausends.     

Nischenstrategie-Test

Der Europäische Gerichtshof dekretierte 2002, dass Fluggesellschaften mit der EU als Ganzheit und nicht als individuelle Einzelstaaten zu verhandeln hatten, um ihre Flugrouten im europäischen Luftraum zu erhalten. Dieses Dekret liess acht bilateral ausgehandelte Luftverkehrsabkommen zwischen EU-Ländern und den USA in den Papierkorb wandeln.

Cottier glaubt, dass dieses Schicksal auch den bilateral ausgehandelten Steuerabkommen der Schweiz mit Grossbritannien und Deutschland blühen könnte. Würde dies geschehen, könnte die laufende Strategie der Schweiz zur Erhaltung ihrer Souveränität in Frage gestellt werden. Diese besteht zur Zeit darin, mit ausgesuchten EU-Ländern bilaterale Verträge von Staat zu Staat anstatt mit Brüssel abzuschliessen.

«Das könnte uns dann die Grenzen unserer Nischenpolitik vor Augen führen», sagt Cottier. «Es würde dann für die Schweiz immer schwieriger, gegen den Strom zu schwimmen, wenn durch ihre bilaterale Politik andere zu Schaden kämen.»

Auch in einem anderen Konfliktbereich sitzt die Schweiz gegenüber der EU in einem Graben fest: Im Bereich der kantonalen Unternehmensbesteuerung, die es zulässt, dass im Ausland gemachte Gewinne internationaler, aber in gewissen Kantonen ansässiger Firmen unversteuert bleiben.

Diese Bedrohung könnten die Verhandlungen zwischen der Schweiz und Griechenland um ein weiteres, auf einer Abgeltungssteuer beruhendes Abkommen scheitern lassen. Italien hat zwar Interesse angemeldet, aber Frankreich schloss diese Woche offiziell die Türe für einen derartigen Vertrag. Mit der Begründung, ein derartiges Abkommen würde Frankreichs Interessen einer Identifizierung und Bestrafung solcher Steuersünder entgegen laufen.

Bankgeheimnis bleibt bestehen

Dave Hartnett, Steuersekretär bei der britischen Steuerbehörde, sagte in einem Interview mit Englands konzessioniertem Steuerinstitut, das Abkommen auf Abgeltungsbasis würde den besten Kompromiss darstellen.

«Ich glaube zwar nicht, dass Hinterzieher damit abgeschossen werden können», sagte der Beamte dabei, «aber wir würden sie ohnehin nicht fassen können.» Er glaube nicht, dass das Bankgeheimnis in der Schweiz in nächster Zeit abgeschafft werde – sicher nicht in den kommenden zehn Jahren.»

Deshalb erhalte England Steuern zurück von Leuten, die man nicht habe identifizieren können. «Und dies erscheint mir zu einer Zeit, wo unsere Nation tief in Defiziten steckt, sehr sinnvoll.»

Laut Hartnett hinterziehen schätzungsweise vier von fünf Briten, die Vermögen in der Schweiz halten, auch Steuern. In Grossbritannien gibt es dementsprechend auch wenig Widerstand gegen den Abschluss eines entsprechenden Abkommens mit der Schweiz. Ganz im Gegensatz zu Deutschland haben die britischen Behörden nicht vor, auf ihren Loorbeeren auszuruhen.

Rund 6000 mögliche Steuersünder, die Vermögen in der Genfer Auslandbanken-Filiale der britisch-asiatischen Grossbank HSBC deponiert haben und deren Namen auf der von Hervé Falciani entwendeten Daten-CD figurieren, haben kürzlich Post vom Steuerfahnder erhalten. Er verlangt, dass sie fiskalisch ins Reine kommen sollen oder mit Strafen zu rechnen haben – und das innert 35 Tagen.

Das Schweizer Bankgeheimnis wird auch in den USA bedroht, nachdem es 2009 zur Strafverfolgung der UBS gekommen ist.

Rund 4450 Namen von UBS-Kunden wurden den amerikanischen Steuerbehörden übergeben, nachdem die UBS zugeben musste, Steuersündern unter die Arme gegriffen zu haben.

Zur Strafverfolgung kam es, weil der ehemalige UBS-Banker Bradley Birkenfeld zum Whistleblower mutierte. Dennoch kam er nicht ungeschoren davon. Er erhielt 40 Monate Gefängnis, weil er nicht alles ausgepackt hatte, was er wusste.

Kürzlich hat sich die US-Steuerbehörde auf die Credit Suisse eingeschossen. CS musste sich nun bereit erklären, die Namen einer unbekannten Anzahl Kunden herauszurücken.

Diese Woche hat die CS auch ihre in der Schweiz betriebenen Geschäftseinheit geschlossen, die für reiche US-Bürger zuständig war, und sie in ihre US-Unternehmenseinheit integriert (damit sie besser von den US-Behörden kontrolliert werden kann).

Bis zehn weitere Schweizer Banken befinden sich ebenfalls im Visier der US-Behörden. Einige davon sollen ehemalige UBS-Kunden übernommen haben, nachdem die UBS selbst unter Beschuss gekommen war.

Ein weiterer UBS-Whistleblower, Renzo Gadola, kam letzte Woche mit 5 Jahren auf Bewährung davon, weil er gegen seine Bank ausgesagt hatte.

Nach der saftigen Strafe für Birkenfeld, der sich immer noch hinter Gittern befindet, wird nun die mild ausgefallene Strafe für Gadola als grünes Licht für weitere potenzielle Whistleblower erachtet.

(Übertragung aus dem Englischen: Peter Siegenthaler, Alexander Künzle)

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