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«Ich sehe mich als Übersetzer zwischen Bern und Brüssel»

Michael Reiterer, der erste EU-Vertreter in der Schweiz. (Bild:zvg) zvg

Der österreichische Diplomat und Dozent für internationale Politik, Michael Reiterer, ist zum ersten Vertreter der EU-Kommission in Bern ernannt worden.

Wie der «Botschafter Europas» gegenüber swissinfo erklärte, sieht er seine Aufgabe darin, Brüssel die politische Stimmung in der Schweiz zu vermitteln.

swissinfo: Was reizt Sie an der StelIe als erster Vertreter der EU-Kommission in Bern?

Michael Reiterer: Es ist eine Herausforderung, wenn man etwas Neues aufbauen kann, wie jetzt die Vertretung der EU-Kommission in Bern. Das bringt viel Umtriebe mit sich, aber auch einen grossen Gestaltungsspielraum.

Ich hoffe natürlich mithelfen zu können, die Kommunikation zwischen Bern und Brüssel zu erleichtern, zumal doch einige Probleme anstehen.

swissinfo: Wie wollen Sie als erster «Botschafter Europas» den Schweizern die EU nahe bringen?

M.R.: Rund um den EU-Beitritt Österreichs wirkte ich sehr intensiv an der «öffentlichen Diplomatie» mit, die Herrn und Frau Österreicher über die Vorteile und Nachteile eines Beitritts informierte.

Das ist sicher ein Bereich, der auch in der Schweiz eine Rolle spielen wird. Ich werde das Gespräch mit Politikern suchen, aber auch mit der Bevölkerung und Organisationen, die der EU positiv oder skeptisch gegenüber stehen.

swissinfo: Die offizielle Schweiz erhofft sich von der Vertretung in Bern mehr Verständnis der EU für die sehr spezielle innenpolitische Dynamik einer Referendums-Demokratie – zu Recht?

M.R.: Diese starke direkte Demokratie in der Schweiz ist tatsächlich mit dem System der EU nicht leicht vereinbar. Es gibt natürlich eine Interessenslage der Schweiz und eine der EU. Zwischen beiden wird man einen Kompromiss finden müssen.

Das Wichtigste wird aber sein, dass es immer offene Gesprächskanäle gibt. Es ist sicher meine Aufgabe, als «Übersetzer» tätig zu sein. Ich werde die Stimmung vermitteln, die ich in Gesprächen mit Politikern und der Bevölkerung erfahre: Das also, was man nicht erfährt, wenn man bloss die Zeitungen liest.

swissinfo: Macht Ihnen die Aufgabe, Brüssel das komplizierte politische System der Schweiz zu erklären, nicht bereits jetzt Bauchweh?

M.R.: Auch das Brüsseler System gilt als kompliziert, und ich glaube, dass ich es erklären kann. Als «gelernter Österreicher» kann man mit einer gewissen Kompliziertheit des politischen Systems umgehen.

Natürlich machen die sprachliche und kulturelle Vielfalt die Schweiz nicht zu einem einfachen Land. Auch die Art und Weise, wie die Regierung gebildet wird, ist speziell. Aber das würde ich unter der Rubrik Herausforderung einordnen.

swissinfo: Sie kennen die Schweiz aus Studienzeiten und als früherer Handelsdiplomat in Genf sehr gut. Welches sind Ihre Erinnerungen?

M.R.: Die Erinnerungen des Studenten sind besonders schön. Am Institut für Internationale Studien in Genf hatte ich sehr gute Professoren, die ich bis heute schätze.

Die zwei Jahre als Unterhändler bei der Welthandels-Organisation WTO in Genf erinnern mich fatal an das Scheitern der Doha-Runde. Ich wurde 1990 nach Genf geschickt, um für kurze Zeit beim Abschluss der Uruguay-Runde der WTO mitzuarbeiten und blieb dann zwei Jahre in Genf.

Bezüglich des Scheiterns der Doha-Runde teile ich die Meinung von WTO-Generaldirektor Pascal Lamy: Es gibt keine Sieger, nur Verlierer.

swissinfo: Sie waren vier Jahre lang stellvertretender Leiter der EU-Delegation in Tokio. Wie nimmt man die EU in Asien wahr?

M.R.: In Europa hat man ein wenig vergessen, dass die Friedenserhaltung bei der Gründung der EU sehr wichtig war. In Asien, wo die koreanische Halbinsel noch geteilt, Nordkorea eine Bedrohung ist, potentiell Spannungen um Taiwan und Grenzprobleme bestehen, bleiben Kriege eine Gefahr.

Dieser Ursprungsgedanke der EU sowie der Aussöhnung fallen deshalb hier auf viel fruchtbareren Boden. Niemand geht davon aus, dass man die Institutionen der EU einfach nach Asien verpflanzen könnte. Die Grundsätze der EU stossen jedoch auf grosses Interesse.

swissinfo-Interview: Simon Thönen

Michael Reiterer wird die neue Vertretung der EU-Kommission in Bern leiten.

Der 52-Jährige Österreicher war zuvor vier Jahre lang stellvertretender Leiter der EU-Delegation in Tokio.

Seit 2005 ist er neben seiner Arbeit als Diplomat Dozent für internationale Politik an der Universität Innsbruck.

Reiterer ist verheiratet und Vater einer Tochter.

Noch fehlen der EU-Kommission Büroräume für ihre zukünftige Vertretung in Bern.

In EU-Kreisen in Brüssel geht man davon aus, dass die feierliche Eröffnung der «EU-Botschaft» kaum noch 2006 stattfinden wird.

Die Sprecherin von EU-Aussenkommissarin Benita Ferrero-Waldner erklärte vage, die Eröffnung erfolge «so bald wie möglich».

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