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Im Steuerstreit mit der EU hat Bern die besseren Karten

Die Schweiz hat zwar die besseren Karten, sollte sich einen Steuerrechtsstreit mit der EU aber wohl überlegen. Keystone

Die Verurteilung der kantonalen Steuerregime durch die EU-Kommission sei rechtlich fragwürdig, sagt Simon Hirsbrunner.

Der Schweizer Anwalt arbeitet im Brüsseler Büro der deutschen Grosskanzlei Gleiss Lutz.

swissinfo: Die EU-Kommission verurteilt kantonale Steuerpraktiken als Verletzung des bilateralen Freihandelsvertrags. Was halten Sie als Europarechtler davon?

Simon Hirsbrunner: Auf den ersten Blick ist die Argumentation der EU-Kommission sehr überzeugend formuliert. Bei genauerer Betrachtung sehe ich jedoch Schwachpunkte. So hat man den Eindruck, dass die Kommission auch Firmen ins Visier nimmt, die zwar in der Schweiz ihren Sitz haben, aber gar nicht im Handel zwischen der Schweiz und der EU tätig sind. Für sehr fragwürdig halte ich auch, dass die Kommission ihre Vorstellung darüber, was unerlaubte staatliche Beihilfen für Firmen sind, eins zu eins auf das Freihandelsabkommen überträgt.

swissinfo: Warum ist dies fragwürdig?

S.H.: Massgebend ist die Situation von 1972, als das Abkommen abgeschlossen wurde. Damals hatte man auch in der EU noch eine ganz andere Auffassung bezüglich staatlicher Beihilfen. Der aktuelle Disput dreht sich um kantonale Steuererleichterungen für gewisse Firmen. 1972 verstand man unter unerlaubten Beihilfen vor allem Subventionen. Es gab zwar schon damals die Idee, dass auch Steuerrabatte dies sein könnten, aber erst ansatzweise.

swissinfo: Die Auffassung der EU, was schädlicher Steuerwettbewerb ist, hat sich tatsächlich stark geändert. Darf sie von der Schweiz eine Anpassung fordern?

S.H.: Das glaube ich nicht. EU-Aussenkommissarin Benita Ferrero-Waldner bezog sich auch auf den Verhaltenskodex zur Firmenbesteuerung von 1997. Das ist aber eine rein EU-interne Abmachung, die für die Schweiz rechtlich nicht relevant ist. Sonst müsste die EU diese Argumentation auch gegenüber Handelspartnern wie den USA oder China anwenden – und das tut sie ja nicht.

swissinfo: Ist also der Bundesrat im Recht, wenn er betont, dass die kantonalen Steuerregime mit dem Freihandel nichts zu tun haben?

S.H.: Ich glaube, dass der Bundesrat die bessere rechtliche Position hat. Allerdings nicht in jedem Punkt. Wenn er sagt, dass man das Verbot staatlicher Beihilfen im Abkommen nicht anwenden kann, weil man das bisher noch nie getan hat, dann überzeugt dies nicht.

Das Beihilfeverbot kennt aber viele Ausnahmen. Die EU nimmt zum Beispiel im eigenen Ermessen Subventionen für Forschung und wirtschaftsschwache Regionen aus. Man könnte argumentieren, dass auch die Schweiz ihre eigenen Ausnahmen definieren darf.

swissinfo: Würde die Schweiz gewinnen, falls der Steuerstreit vor einem Gericht ausgetragen würde?

S.H.: Ich glaube, dass die Schweiz gute Argumente hätte. Sie könnte meiner Ansicht vor dem Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften klagen, weil sie von einem EU-Entscheid direkt betroffen ist.

Aber es besteht das Risiko, dass ein EU-Gericht im Licht einer europäischen Sichtweise urteilt, die für die Schweiz nicht wirklich vorteilhaft ist. Man müsste sich einen solchen Schritt gut überlegen. Wer als Anwalt verspricht, dass er einen solchen Prozess gewinnen würde, handelt unseriös.

swissinfo: Gibt es kein unabhängiges Gericht, das die Schweiz anrufen könnte?

S.H.: Nein. Die Welthandelsorganisation WTO kann Streitfragen zu einem regionalen Freihandelsvertrag nicht klären. Und im Abkommen ist ja kein Schiedsgericht vorgesehen. Das ist nicht unbedingt ein Mangel: Bisher konnte man Streitfragen immer einvernehmlich lösen. Als Aussenstehender habe ich den Eindruck, dass die Kommission in diesem Fall bewusst einen Konflikt provoziert hat.

swissinfo: Bleibt der Schweiz denn etwas anderes übrig, als mit der EU zu verhandeln?

S.H.: Rechtlich sehe ich keinen Grund, wieso die Kantone ihre Steuersysteme abändern sollten. Man sollte sich von der momentanen Entrüstung der Kommission über die Steuerregime nicht zu sehr beeindrucken lassen. Vor den Verhandlungen über das Betrugsbekämpfungs-Abkommen gab es auch eine Kampagne. Inzwischen ist das Abkommen da, aber der EU eilt es nicht mit der Ratifizierung.

swissinfo-Interview: Simon Thönen

Artikel 23.iii des Freihandelsabkommens Schweiz-EU von 1972 sagt, «dass jede Hilfestellung der öffentlichen Hand, welche die Konkurrenz unter Unternehmen oder der Produktion von Waren beeinträchtigt oder zu beeinträchtigen droht, mit dem Geist des Abkommens unvereinbar ist».

Das Abkommen von 1972 regelt ausschliesslich den Handel mit bestimmten Gütern (Industriegütern und Agrarprodukten).

Die Schweiz vertritt die Haltung, dass die Steuervergünstigungen in gewissen Kantonen für Auslandgeschäfte von Holdings, Verwaltungsgesellschaften und gemischen Gesellschaften nicht unter das Freihandelsabkommen mit der EU fallen.

Die EU-Kommission hat am Dienstag die Steuer-Privilegien, die einige Kantone Unternehmen gewähren, als unvereinbar mit dem Freihandelsabkommen von 1972 zwischen der Schweiz und der Europäischen Union (EU) bezeichnet.

Sie fordert die Schweiz auf, diese Steuer-Praxis zu ändern und dem Abkommen anzupassen. Sie verlangt von ihren Mitgliedstaaten ein Mandat, das ihr erlaubt, Verhandlungen mit der Schweiz aufzunehmen, um eine für beide Seiten akzeptable Lösung zu finden».

Die europäische Exekutive stört sich an den Steuerprivilegien, die einige Kantone Unternehmen gewähren, die bei ihnen den Sitz ihrer Holdings eingerichtet haben, ihre Gewinne jedoch im Ausland realisieren.

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