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Immer mehr Differenzen in Hongkong

Michel Egger: Enttäuscht, aber nicht überrascht. swissinfo.ch

Nichtregierungs-Organisationen der Schweiz haben das an der Welthandelskonferenz diskutierte Entwicklungs-Paket als "Köder" bezeichnet.

Die Kritik erfolgt während die Verhandlungen der Doha-Runde weiterhin nicht vom Fleck kommen.

Die Unterhändler an der Konferenz der Welthandels-Organisation (WTO) in Hongkong sind der Lösung der strittigsten Fragen bislang kaum näher gekommen. Es gibt allenfalls kleinere Fortschritte in weniger zentralen Bereichen.

Dies geht aus dem Entwurf der Abschlusserklärung hervor, der am Samstag vorgelegt wurde. Allerdings wird erwartet, dass der Entwurf bis zum Ende der WTO-Ministerkonferenz am Sonntag noch überarbeitet wird.

Er könne unmöglich abschätzen, ob man in Hongkong zu einem minimalen Konsens finden werde, sagte der Schweizer Wirtschaftsminister, Joseph Deiss, am Samstag.

Die Schweiz unterstütze das Entwicklungs-Paket nach wie vor, bestätigt er. «Wenn Hongkong aber in die Annalen eingehen soll, müssen wir dieses Paket für jene zu schnüren, die es am meisten benötigen.»

Noch ist die Sache nicht gewonnen, insbesondere wegen neuer Vorbehalte der Schwellenländer. Nicht zuletzt kritisieren auch die Nichtregierungs-Organisationen (NGO) dieses Paket, wie Michel Egger von Alliance Sud, der Arbeitsgemeinschaft der Schweizer Hilfswerke, erklärt.

swissinfo: Was ist Ihrer Ansicht nach der aktuelle Stand der Verhandlungen hier in Hongkong?

Michel Egger: Die Gespräche sind tatsächlich blockiert. Es gibt bei keinem Thema Fortschritte. In gewisser Weise erstaunt mich das nicht. Denn die Erwartungen der Entwicklungsländer an einen Zyklus des Wachstums sind sehr hoch. Das diskutierte Paket verspricht zu viel. Tatsächlich wird es nur den Ländern nützen, die am wenigsten fortgeschritten sind, nicht aber der Gesamtheit der Entwicklungsländer.

swissinfo: Woraus besteht dieses Entwicklungs-Paket und was kritisieren Sie daran?

ME: Das erste und wichtigste Element des Pakets ist es, den ärmsten Ländern zu ermöglichen, ihre Produkte in die Industrieländer einzuführen. Mit anderen Worten die Möglichkeit, zu exportieren ohne jegliche Zoll- und Quotenbeschränkungen.

Das ist sehr positiv für diese Länder. An den Verhandlungen will man nun aber eine ganze Reihe von Ausnahmen einführen, beispielsweise, die Möglichkeit, die Zahl der betroffenen Produkte einzuschränken.

Die Entwicklungsländer fordern aber, dass diese Bestimmung für 100% ihrer Produkte gilt. Andere wollen 3,4 oder 5% der Produkte aus dem Paket ausschliessen.

Das würde beispielsweise den Vereinigten Staaten erlauben, ihren Markt für Textilien aus Bangladesch oder von Kambodscha weiter geschlossen zu halten. Japan könnte sich dadurch vor Reis-Importen schützen.

Dieser Massnahme droht also die Bedeutungslosigkeit, weil sie den Ländern weiterhin ermöglicht, ihre Märkte vor Produkten zu schützen, mit denen die ärmsten Länder im Wettbewerb mithalten könnten.

Die zweite Massnahme in dem Paket heisst «Aid for Trade». Sie sieht eine Reihe von technischen und finanziellen Unterstützungs-Programmen vor, die diesen Ländern eine bessere Integration in die Märkte ermöglichen sollen.

Auch hier zirkulieren verschiedene Zahlen zu dem, was versprochen worden war. Wie das Ganze aber finanziert werden soll, bleibt unklar. Zusätzliche Fonds? Geld, das anderswo abgezogen wird?

swissinfo: Sie lancieren zusammen mit mehreren NGO einen Appell an die Schweizer Regierung. Wozu rufen Sie auf?

ME: Worauf wir hinweisen möchten, ist, dass ein Entwicklungs-Paket an und für sich interessant ist. Aber ein wahrer Entwicklungs-Zyklus funktioniert nur, wenn die Dimensionen der Entwicklung in den grossen Dossiers, wie der Landwirtschaft, der Dienstleistungen und der Industriegüter, in die Betrachtungen miteinbezogen werden.

Wir wünschen uns, dass so rasch wie möglich auf ein fester Termin für die Aufhebung der Agrar-Exportzölle festgelegt wird. Zusammen mit der Europäischen Union weigert sich die Schweiz als einziges Land, einen solchen Termin zu setzen, obschon dies als symbolischer Akt sehr wichtig wäre.

swissinfo: Was halten Sie von der Art und Weise, wie die Schweiz verhandelt

ME: Wie viele andere Länder verhandelt sie extrem restriktiv, indem sie zunächst ihre eigenen Interessen verfolgt.

Man stellt Forderungen und will absolut nichts geben, solange nicht sicher ist, ob es eine Gegenleistung dafür gibt. Das ist enttäuschend.

swissinfo-Interview: Pierre-François Besson in Hongkong
(Übertragung aus dem Französischen: Nicole Aeby)

Alliance Sud ist die Arbeitsgemeinschaft der sechs grössten Schweizer Hilfsorganisationen.

Dazu gehören Swissaid, Fastenopfer, Brot für alle, Caritas, Helvetas und Heks.

Die 6. Ministerkonferenz der WTO in Hongkong dauert bis zum 18. Dezember.

Als oberstes Entscheidungsorgan der Organisation muss sie einer Schlusserklärung zur laufenden Runde der Wirtschafts-Verhandlungen den Weg bereiten.

Die so genannte «Doha-Runde» wurde 2001 lanciert.

Unterhändler der 150 Mitgliedstaaten beteiligen sich an den Verhandlungen.

Die Runde verläuft äusserst zäh und in den vier Jahren wurden die Forderungen sukzessive heruntergeschraubt.

Wirtschaftsminister Joseph Deiss leitet die Schweizer Delegation in Hongkong.

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