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«In der Not lernt der Bund noch fliegen»

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Die Milliarden-Hilfe für die Swissair wurde nach der Regierung und der Finanzdelegation nun auch vom Parlament gutgeheissen.

Ein weiteres Kapitel der Geschichte Swissair ist geschrieben: Beide Kammern sagten nach einer Sondersession Ja zur Finanzierung des Redimensionierungs-Konzeptes für die nationale Zivilluftfahrt. Der Nationalrat mit 110 zu 56, der Ständerat mit 36 zu 3 Stimmen.

Zur Erinnerung: Am 2. Oktober stand die Flotte der Swissair am Boden: Grounding! Um dem fliegenden Nationalstolz wieder Auftrieb zu geben, sprach die Regierung innert Rekordzeit 450 Mio. Franken. «In der Not lernt der Bund noch fliegen», kommentierte ein Volksvertreter das rasche Engagement.

Geld oder Imageschaden?

Als sich herausstellte, dass die nationale Fluggesellschaft ohne staatliche Hilfe Konkurs und insofern über 30’000 Arbeitsplätze verloren zu gehen drohten, griff die Regierung der Airline noch einmal unter die Flügel und hält sie nun mit über einer Milliarde Franken à fonds perdu in der Luft.

Da der Schuldenberg die Swissair dennoch fluguntauglich macht, wurde gleichzeitig an einer neuen Airline herumlaboriert, einer Airline, die bis heute noch «New Crossair» heisst und auf der kostengünstigeren Basis der Regional-Fluggesellschaft Crossair aufbaut. Kostenpunkt für den Bund: 600 Mio. Franken. Total 2,05 Milliarden. Hinzu kommen einige Millionen für Zinsen, Sonderprüfung (Untersuchung der Verantwortlichkeit des alten Swissair-Verwaltungsrates), Kosten für das finanzielle Controlling und Spesen.

Wegen der bedrohten Stellen, dem drohenden Imageschaden für die Schweiz und der Entrüstung über die Unfähigkeit der Wirtschaft (ihr wird das Grounding zugeschrieben) musste alles sehr rasch organisiert werden – vor allem Geld. Und so bewilligte die Finanzdelegation – anstelle des Parlamentes – die Milliarden und «rettete» die Schweiz – oder zumindest deren Selbstverständnis.

Machtloses Parlament?

War kurz nach dem Grounding der Ruf nach einer starken Politik, die die Zügel an die Hand nehme, gross, so wuchs mit steigendem Zustupf das Unbehagen bis schliesslich von einem machtlosen Parlament die Rede war. Kritisiert wurde, dass das Parlament zum Milliarden-Kredit zwar noch Nein sagen konnte, die Würfel jedoch längst gefallen waren, das Geld verbindlich versprochen. Zwar hätte das Parlament zu einzelnen Beträgen noch Nein sagen können, ein Ausstieg aus den Verpflichtungen wäre jedoch schwierig gewesen. Demokratie-theoretisch ein Problem?

Nein, ist der Politologe Adrian Vatter überzeugt. Bundesrat und Finanzdelegation seien gewählt, also demokratisch legitimiert. Unbefriedigend sei es schon, dass das Parlament sich nicht am Entscheid beteiligen konnte, vor allem argumentativ.

Der Konflikt habe sich besonders zwischen Input und Output des politischen Systems gezeigt. Einerseits wollte man rasche, effektive Entscheidungen «und auf der anderen Seite möglichst breite demokratische Legitimation», so Vatter. Im Fall Swissair war nur eines möglich, gewählt habe man den raschen Output.

Eine ideale Lösung gebe es nicht, ist Adrian Vatter überzeugt. Wichtig sei einfach, «dass die Leute in der Finanzdelegation wirklich repräsentativ für ihre Parteien sind». Die Session habe Konfliktlinien und Argumentationen aufgezeigt und vielleicht durchaus Lernprozesse ausgelöst.

Redeschlacht – stundenlang

Den Argumentationen hörten die Politikerinnen und Politiker stundenlang zu – in beiden Räten. Wortreich machten Vertreter der Schweizerischen Volkspartei ihrem Unmut Luft. Die Bundesbeteiligung sei ordnungspolitisch bedenklich und volkswirtschaftlich unverantwortlich.

Befürworterinnen und Befürworter monierten, dass mit dem Kredit ein volkswirtschaftlicher Schaden, ein grosser Imageverlust und Tausende von Arbeitsplätzen gerettet würden. Dabei bewies der Freisinn Beweglichkeit, musste er doch den Spagat zwischen Ordnungs- und Wirtschaftspolitik bewerkstelligen und die Kröte irgendwie schlucken. Das Rezept: Aus dem Sündenfall einen Sonderfall machen.

Es war die Sozialdemokratische Partei (SP), die nach dem Grounding das Zepter übernahm, ein Eingreifen des Staates und die Sondersession des Parlamentes verlangte. Sie forderte nach dem Grounding eine Verstaatlichung der Airline. Dies erwies sich als Wunschdenken. Doch der Initiantin, Susanne Leutenegger Oberholzer, ging es vor allem darum, Arbeitsplätze zu retten. Bis auf rund 9’000 Stellen weltweit schaffte sie es auch.

Unendliche Geschichte Swissair

Doch auf ruhigem Kurs ist die alte und die neue Airline noch lange nicht. Vom staatlichen Geld fehlen noch die Zusagen mehrerer Kantone, vor allem aber Zürichs. Zwar hat dort das Kantonsparlament einem 300-Millionen-Kredit zugestimmt, doch hat das Zürcher Stimmvolk das letzte Wort. Schwierig ist dabei der Umstand, dass da die stärkste politische Kraft, die Schweizerische Volkspartei, vehement gegen die staatliche Beteiligung an der Fluggesellschaft ist. Der Kanton Waadt weigert sich seine Beteiligung zu bezahlen – und er ist nicht der Einzige.

Noch fliegt die alte Swissair, die neue Crossair noch nicht. Das Schlusswort in der unendlichen Geschichte Swissair ist nicht geschrieben. Das Kapitel «Politik und staatliche Hilfe» kann als fast beendet betrachtet werden. Folgen werden sicher noch die Kapitel «Wer war und ist schuld?» und «Überleben oder nicht überleben – das ist die Frage». Denn interkontinentalen Airlines werden in Europa keine grossen Chancen mehr eingeräumt.

Rebecca Vermot

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