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«Ich sagte, eines Tages mache ich diesen Beruf auch»

Schon als kleines Mädchen hütete Irene Jauch Ziegen. Heute sind es über 400 Tiere, die sie auf der Alp Oberberg im Kanton Uri betreut. Jeden Abend singt die 35-Jährige dort durch einen Holztrichter den Betruf. 

People of Switzerland  Externer Linkist ein multimediales Projekt von den Freelance-Journalisten Jennifer Greenland und Nora Hesse. Menschen aus allen Schweizer Städten, Dörfern und Tälern erzählen in den vier Landessprachen oder auf Englisch aus ihrem Leben. Wie fühlt es sich an, hier zu leben? Was inspiriert sie? Was macht ihnen Angst? Und was würden sie ändern? swissinfo präsentiert die Porträts in loser Folge als Videoblog.

Sie war zwölf Jahre alt, als sie zum ersten Mal eine Geburt alleine durchführte. «Meine Lieblingsziege war trächtig. Aber mit zwei Zicklein, die in ihrem Bauch ineinander verkeilt waren. Sie schaffte es nicht alleine und brauchte meine Hilfe.» Irene war ganz alleine mit den Tieren im Stall, denn der Vater hatte sie damit beauftragt, den Ziegen zu schauen, während sich der Rest ihrer neun Geschwister und Eltern um andere Tiere kümmerte. Der Stall war sehr abgelegen, über eine halbe Stunde Fussmarsch vom Elternhaus entfernt. «Also packte ich an, so wie ich es bei meinen Eltern zuvor schon ein paar Mal gesehen habe.» Die Kleinen kamen gesund auf die Welt und Irene war mächtig stolz.

«Tiere spüren viel mehr, als wir Menschen manchmal glauben», sagt sie. Irene und ihr Mann besitzen ein Dutzend Schafe, ein paar Ziegen und ein Lama. Im Sommer kommen weitere Herden von anderen Besitzern dazu und Irene lebt dann mit den Tieren auf ihrer Alp. Für die Organisation der Tiere und der Gäste, die vorbeikommen, hat sie regelmässig Helfer und Zivildienstleistende bei sich.

Wenn der Wolf kommt

Vom Leben in einer grossen Bauernfamilie geprägt, machte sie eine Ausbildung als Fachanstellte Gesundheit und arbeitete dann unter anderem bei der Spitex. Die Alp übernahm die junge Familie von Irenes Schwiegermutter. Ein grosses Gelände, das bis zum Fuss des Berges Gitschen reicht. «Damals, für die Schwiegermutter, war es noch nicht so ein Aufwand. Aber vor zwei Jahren hat uns der Wolf mehrere Schafe auf den Weiden gerissen.» Seitdem hat Irene mehrere Trieb- und Herdenhunde dabei und stellt regelmässig Zäune auf. «Seit das passiert ist, verbringe ich sehr viel mehr Zeit auf der Alp. Es ist wunderschön aber auch harte physische Arbeit und auch organisatorisch eine Herausforderung.» Ihre beiden kleinen Kinder sind fünf und drei Jahre alt und waren in den vergangenen Jahren stets mit mit dabei. «Jetzt wo die Grössere im Kindergarten ist, werde ich sie im Sommer weniger sehen und ein Kindermädchen anstellen müssen, die bei ihr im Tal bleibt», sagt sie. Ihr Mann, der einen Bürojob ausführt, schaue ebenfalls zu den Kindern. Und er komme jedes Wochenende hinauf, um ihr zu helfen. «Das Schaf- und Ziegenhüten ist eigentlich unser Hobby. Ein sehr ein aufwendiges Hobby, aber ein sehr schönes.»

Wie sie zum Betruf kam

Der Käser, der auf derselben Alp wie ihre Mutter arbeitete, hatte es immer getan. «Am Abend, nach dem alle Arbeit gemacht war, nahm er den Milchtrichter aus Holz und rief dieses melodiöse Alpengebet dem Sonnenuntergang entgegen. Ich war noch ein kleines Mädchen und dachte: eines Tages mache ich das auch.» Wenige würden heutzutage noch diese Tradition weiterführen, sagt sie. «Nach einem langen Tag hinzustehen, ins Tal zu sehen und diese Melodie anzustimmen.» Das sei für sie sehr schön, sagt sie.


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