Ist Hochpreisinsel Schweiz bald Geschichte?
Der angekündigte Start des deutschen Discounters Lidl in der Schweiz bringt die Detailhändler ins Schwitzen. Zum Jahresbeginn hat Coop viele Preise gesenkt, nun ziehen andere nach. Ein Experte sieht schon das Ende der hohen Preise.
Die Eröffnung der ersten Lidl-Filialen wird in der Schweiz mit Spannung erwartet.
Der Discounter will den Schweizer Markt gleich auf breiter Front mit 20 bis 30 Filialen beackern. Die Detailhändler geraten dadurch unter Druck.
Bereits vor einer Woche hat der zweitgrösste Detaillist Coop mehr als 600 seiner Produkte um durchschnittlich 12% verbilligt.
Manor folgte auf dem Fuss, Marktführer Migros zog bei 150 Markenartikeln mit Coop gleich. Am Dienstag kündigte Spar bei Früchten und Gemüse Preisnachlässe von 15 bis 20% an.
Dies erinnert an die Preissenkungen vor dem Markteintritt des deutschen Discounters Aldi 2005, als Migros und Coop als Reaktion unter anderem ihre Billiglinien ausbauten.
Laut Reiner Eichenberger, Professor für Finanzwissenschaft an der Universität Freiburg, sind die Preise in den letzten Jahren um etwa 10% gesunken.
Doch er vermutet, dass der Eintritt des zweiten deutschen Tiefpreis-Anbieters nun die Rakete zünden könnte für massive Preissenkungen.
«Die zwei grossen Löwen Migros und Coop hatten ein Auge aufgemacht, als ein kleinerer Löwe auftauchte (Aldi). Doch wenn zwei kleinere Löwen um den Markt kämpfen, werden die Grossen aufwachen», sagt er gegenüber swissinfo.
Druckmittel
Das Image der Schweiz als Hochpreisinsel drängt viele Konsumentinnen und Konsumenten zum Shoppen über die Grenze.
Bevor Aldi in die Schweiz kam, waren die Preise um rund 40% höher als in Deutschland. Heute zahlen die Kunden immer noch einen Drittel mehr.
«Die Schweiz ist ein kleinerer Markt, in dem eher auf Qualität gesetzt wird als auf einen tiefen Preis. Die Lieferenten konnten also bei den Kosten differenzieren. Der Grund war namentlich das Fehlen einer echten Konkurrenz im Schweizer Markt», sagt Eichenberger.
«Migros und Coop waren in einem Gleichgewichtszustand und hatten daher keinen Grund, sich in einen Preiskrieg zu stürzen. Doch nun sollte sich die Kluft zwischen den beiden Ländern um einiges verringern.»
Aldi und Lidl sind in Deutschland Marktführer. Sie verfügen über grosse Finanzpolster und damit über mehr Marktmacht. Damit können sie mehr Druck auf Lieferanten wie Nestlé oder Unilever machen und so die Preise senken.
«Besonders Lidl verkauft viele bekannte Markenartikel, die er überall in Europa einkauft», sagt Thomas Rudolph, Professor für Betriebswirtschaftslehre und Marketing an der Universität St. Gallen, gegenüber swissinfo. «Somit könnte er Hersteller dazu zwingen, über ihre Preisstruktur für die Schweiz nachzudenken.»
Keiner wird sterben
Doch Rudolph glaubt, dass es für Migros und Coop kontraproduktiv wäre, sich auf einen langfristigen Preiskampf einzulassen.
Eine letztjährige Studie seiner Universität zeigte, dass eine Welle von Preissenkungen den Schweizer Supermärkten keine neuen Konsumenten bringt und eher Stellen kosten könnte.
«Kurzfristig könnte es den Schweizer Detaillisten etwas bringen, ihre Kundschaft zu überzeugen, dass ihre Preise im Vergleich mit den Discountern konkurrenzfähig sind», betont er. «Doch langfristig sollten sie mehr Gewicht auf besseren Service, Qualität oder angenehmere Ladengrundrisse setzen.»
Für Rudolph wie Eichenberger ist aber klar, dass der Markt mit dem Einstritt von Lidl zwar härter wird, aber alle der grossen Schweizer Anbieter mehr oder weniger unversehrt bleiben werden.
swissinfo, Matt Allen
(Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub)
Migros und Coop haben den Schweizer Detailhandel während Jahrzehnten dominiert. Zusammen erreichen sie rund einen Drittel des Marktvolumens, bei Lebensmitteln und Getränken bis zu 70%.
Das Qualitätsbewusstsein der Schweizer hat viel zum hohen Preisniveau beigetragen. Discounter (der grösste ist Denner) machen nur 5% des Marktes aus, im Vergleich zu 40% in Deutschland.
Dies ändert sich nun mit dem Markteintritt von Lidl, nach Aldi der zweite grosse deutsche Discounter in der Schweiz.
Aldi ist seit Oktober 2005 in der Schweiz. Ende 2008 betrieb er 80 Filialen – ein Anteil von rund 1%.
Ende 2010 wird erwartet, dass Aldi und Lidl zusammen rund 220 Filialen betreiben werden, was laut einer kürzlich veröffentlichten Studie der Grossbank Credit Suisse etwa 5% Marktanteil entspricht.
Für den Präsidenten der Wettbewerbskommission (Weko), Walter Stoffel, sind die derzeitigen Preissenkungen im Detailhandel substanziell und Ausdruck des zunehmenden Wettbewerbs.
Ausländische Markteintritte und Parallelimporte dürften für weitere Dynamik sorgen, sagte Stoffel am Dienstag in einem Interview mit der Nachrichtenagentur SDA.
Von den aktuellen Preissenkungen würden in erster Linie die Konsumenten profitieren. Lieferanten und der Handel würden jedoch Druck verspüren.
Die tieferen Preise sind für Stoffel ein Beitrag zur Stützung des Konsums in der Rezession.
Der Druck der Parallelimporte in einem umfassenden Sinne, der in Zukunft auch das Cassis de Dijon-Prinzip umfassen müsse, wirke bereits und sei vom Markt zum Teil sogar vorweggenommen worden, so Stoffel.
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