Jean Ziegler: Hunger nimmt weltweit zu
Der UNO-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Jean Ziegler, hat der UNO-Vollversammlung in New York seinen Bericht vorgelegt.
Der Hunger weltweit nimmt zu, hauptsächlich in den Entwicklungsländern. Scharfe Kritik übt Ziegler an den Zuständen in den von Israel besetzten Gebieten.
Besonders scharf kritisiert der Schweizer Massnahmen der israelischen Regierung, welche die Palästinenser in den besetzten Gebieten «an den Rand einer humanitären Katastrophe» führen würden.
Zehn Tage war UNO-Sonderberichterstatter Jean Ziegler im Auftrag der UNO in den besetzten palästinensischen Gebieten unterwegs. Was er dort betreffend der Ernährung der Bevölkerung erfahren und beobachtet habe, sei erschütternd.
Vor Medienvertretern sprach Ziegler am Dienstag in New York von einem politstrategischen «Apartheid-System», das die israelische Regierung ausübe. 61 Prozent der Palästinenser seien dadurch «chronisch unternährt», 85 Prozent seien «total abhängig» von internationaler humanitärer Hilfe, sagte Ziegler.
Vergleich mit Afrika
Über die Hälfte der palästinensischen Haushalte könnten sich nur noch eine Mahlzeit am Tag leisten. Der Hauptgrund dafür seien die von Israel als Reaktion auf palästinensische Selbstmordanschläge und Raketenangriffe verhängten Sicherheitsmassnahmen, heisst es in dem Bericht. Ziegler hatte seine Arbeit vor der UNO-Vollversammlung präsentiert.
Die Situation in den besetzten Gebieten bezeichnete er als ebenso schlimm wie in Teilen Afrikas, zum Beispiel dem Tschad. «Das israelische Bedürfnis nach Sicherheit ist verständlich. Dennoch darf die Sicherheit nicht als Grund für jede Massnahme dienen», sagte Ziegler. Israel sei verpflichtet, das Recht auf Nahrung in den besetzten Gebieten zu gewährleisten.
«Übertriebene Schutzmassnahmen»
Ziegler betonte in seinem Bericht, er wolle die Sicherheitsbedürfnisse Israels nicht in Frage stellen. Die gegenwärtigen Schutzmassnahmen halte er jedoch für «vollkommen unproportional und kontraproduktiv, weil sie Hunger und Mangelerscheinungen bei palästinensischen Zivilisten hervorrufen».
Rund 100’000 Palästinenser hätten seit September 2000 ihren Arbeitsplatz in Israel verloren, weil ihnen die Arbeitserlaubnis entzogen wurde. Erst Anfang dieses Monats seien 32’000 Genehmigungen neu ausgestellt worden.
Innerhalb der besetzten Gebiete würden der Anbau und der Transport von Nahrungsmitteln durch Strassenkontrollen und Ausgangssperren behindert.
Zudem werde die Landwirtschaft durch «die andauernde Beschlagnahme und Zerstörung von palästinensischem Land und Wasserquellen» geschädigt. In diesem Zusammenhang kritisiert Ziegler besonders den Bau der Mauer zwischen Israel und dem Westjordanland.
Kritik Israels
Die israelische Regierung hatte die UNO in einem Schreiben vom 7. Oktober aufgefordert, Ziegler keine weiteren Aufträge als Sonderbeauftragter für das Recht auf Nahrung zu erteilen. Dessen Mandat war dieses Jahr für drei weitere Jahre verlängert worden.
Dass der Bericht der UNO-Vollversammlung überhaupt vorgelegt werde, sei bereits ein Erfolg, sagte Ziegler. Eines seiner Ziele sei es, die «versteckte Tragödie» des Hungers in den besetzten palästinensischen Gebieten ans Tageslicht zu bringen.
Kritisiert wurde von israelischer Seite, dass die Empfehlungen im Bericht «rein politisch» seien. Ziegler stelle Forderungen, die nichts mit der Ernährungs-Frage in den Gebieten zu tun hätten, sagte Yakoov Levy, Chef der israelischen UNO-Delegation, im Schweizer Fernsehen. So fordere Ziegler unter anderem eine radikale Änderung der israelischen Sicherheitspolitik.
Weltweit immer mehr Hungernde
Zieglers Bericht zieht im Kampf gegen Hunger allgemein eine negative Bilanz. Die Zahl der Hungernden weltweit ist laut Ziegler von 815 Millionen im Jahr 2001 auf 840 Millionen im vergangenen Jahr gestiegen.
Über 2 Milliarden Menschen würden ausserdem unter «verstecktem Hunger» leiden, der Mangelernährung durch nährstoffarme Lebensmittel, so der Bericht weiter. Kinder könnten dadurch nur ungenügend heranwachsen, ihre intellektuellen Kapazitäten und das Immunsystem würden mangelhaft bleiben.
Frauen und Mädchen würden bezüglich des Zugangs zu Nahrung auf allen Kontinenten diskriminiert, betonte der UNO-Sonderberichterstatter. Weltweit hätten 30 Prozent der ländlichen Haushalte Frauen als Familienvorstand. Frauen machten aber nur zwei Prozent der Landbesitzer aus.
swissinfo und Agenturen
Weltweit leiden 840 Millionen Menschen Hunger (2001: 815 Mio.).
Davon leben 799 Mio. in Entwicklungsländern, 30 Mio. in Schwellenländern und 11 Mio. in den Industriestaaten.
Alle 7 Sekunden stirbt ein Kind unter 10 Jahren direkt oder indirekt an Hunger.
2 Mrd. Menschen leiden weltweit an «verstecktem Hunger» oder Mangelernährung.
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