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Jean Ziegler verlangt Aufnahme von Hunger-Flüchtlingen

Viele Flüchtlingsboote werden an Spaniens und Italiens Grenzen aufgebracht - wieviele aber durchkommen oder untergehen, weiss niemand. Keystone

Der UNO-Berichterstatter für das Recht auf Nahrung, Jean Ziegler, verlangt vom UNO-Menschenrechtsrat die Anerkennung einer neuen Flüchtlingskategorie.

Weiter kritisiert der Schweizer Soziologe die reichen westlichen Länder, die mit ihrer Förderung von Biokraftstoffen das weltweite Hungerproblem noch verschärften.

Jean Ziegler verwies vor dem UNO-Menschenrechtsrat in Genf auf die steigende Zahl von Bootsflüchtlingen. Gerade angesichts der grossen Zahl von illegalen Migranten, die von Afrika kommend an Italiens oder Spaniens Küsten strandeten, rief er den Rat auf, eine internationale Norm zu erarbeiten.

«Das Welt-Ernährungsprogramm der UNO ist es gewohnt, jedes Jahr die Regionen der Welt zu definieren, in welchen die Nahrungsmittelsicherheit nicht gewährleistet ist», erklärte Ziegler.

Er verlangt etwa für Menschen, die 2005 wegen der Hungersnot in Niger nach Europa gekommen sind, ein vorübergehendes Bleiberecht. Denn diese Menschen dürften nicht mit Wirtschaftsflüchtlingen in einen Topf geworfen werden.

Den neuen Status dürften jedoch nur Menschen aus Ländern mit einer akuten Hungersnot erhalten. Nach dem Ende der Ernährungskrise müssten sie dann wieder nach Hause zurückkehren.

An einer Presseorientierung lieferte Ziegler Zahlen nach, welche die Dringlichkeit seines Anliegens aufzeigen sollten: «Die Unterernährung ist in Afrika von 81 Mio. Personen 1972 auf 204 Mio. im Jahr 2002 gestiegen.»

Kritik an der Festung Europa

Jean Ziegler kritisierte die Politik der europäischen Länder, noch auf dem afrikanischen Kontinent Auffanglager zu errichten und das Problem auszulagern. Die Migranten zurückzuschaffen oder sie bei der Überfahrt nach Europa ertrinken zu lassen, wie in den vergangenen Wochen vor Malta geschehen, sei auch keine Lösung.

«Die Hungerflüchtlinge haben weder Rechte noch Schutz. Man begegnet ihnen an den Grenzen Europas mit Militärmethoden, sie werden als Verbrecher behandelt und zurückgedrängt», so Ziegler.

Die Tragödie werde so nur noch grösser. Diese Leute seien ohne Hoffnung und würden Opfer des organisierten Verbrechens, sagte Ziegler. Zwar gebe er zu, dass es keine einfache Lösungen gebe, Europa aber in eine Festung zu verwandeln sei der falsche Weg.

Nach Ansicht des UNO-Berichterstatters hat sein Vorschlag bereits die Unterstützung zahlreicher Länder Afrikas, Asiens und Lateinamerikas erhalten. Die europäischen Länder befürchteten hingegen eine wachsende Fremdenfeindlichkeit, falls eine neue Kategorie von Flüchtlingen eingeführt werde. Man habe ihm deshalb vorgeworfen, er spiele mit dem Feuer.

Mitschuld von Bio-Kraftstoffen

Der UNO-Sonderberichterstatter brachte noch ein weiteres Thema aufs Tapet, welches am weltweiten Hunger mitschuldig sei. Seiner Meinung nach könnte die Umwandlung von Zucker und Mais in Bio-Kraftstoffe Hunderttausenden von Toten verursachen.

Ziegler beschuldigte die Europäische Union (EU), Japan und die Vereinigten Staaten bei ihrer Förderung von Biokraftstoffen der «totalen Heuchelei». Sie wollten sich so nur von ihrer Abhängigkeit von Erdölimporten befreien.

Aber auch Schwellenländer wie Brasilien oder Mexiko verschonte Ziegler nicht mit seiner Kritik. «Ich kann die brasilianische und mexikanische Politik verstehen, die als hoch verschuldete Länder eine starke Währung anstreben… Vom Gesichtspunkt des Rechts auf Nahrung jedoch, und dieser muss der entscheidende sein, ist es eine Katastrophe», so Ziegler.

swissinfo und Agenturen

Am Donnerstag hat der UNO-Menschenrechtsrat ein weiteres Mal über ein neues Führungs-Konzept diskutiert, dem die 40 Experten und Berichterstatter unterstellt werden sollen.

In seiner vorhergehenden Version war dieser Kodex von verschiedenen NGOs scharf kritisiert worden. Er ziele darauf ab, die Berichterstatter zu behindern.

Nun ist der Passus, der vorschlägt, dass alle nationalen Verfahren erschöpft sein müssten, bevor die Berichterstatter intervenieren könnten, abgeschafft worden.

Ziegler war dagegen der Ansicht, dass die Verabschiedung dieses Kodex die Legitimität der UNO-Experten verstärkt hätte, da so mehr Klarheit über ihre Mission geherrscht hätte.

Jean Ziegler (71) war Professor für Soziologie und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Genf und der Pariser Sorbonne.

Zwischen 1967 und 1983 und zwischen 1987 bis 1999 sass er als Abgeordneter der sozialdemokratischen Partei der Schweiz im Nationalrat.

Seine wiederholten Angriffe auf des schweizerische Bankgeheimnis haben ihn in der Schweiz und im Ausland zu grosser Bekanntheit verholfen. Er guilt auch als scharfer Globalisierungskritiker.

Jean Ziegler ist seit 2000 Spezialberichterstatter der UNO für das Recht auf Nahrung.

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