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Kämpferin für regionale Küche

Die renommierte Chefköchin Annagret Schlumpf schwört auf regionale Produkte. swissinfo.ch

Gaumenfreuden: Das Westschweizer Projekt "La Semaine du goût" hat zum ersten Mal auch in der Deutschschweiz für kulinarische Genüsse gesorgt.

swissinfo sprach mit der renommierten Chefköchin Annagret Schlumpf, die bei ihrer Arbeit auf einheimische Produkte setzt.

In der Romandie fand die «Semaine du goût» bereits mehrmals mit grossem Erfolg statt. Ziel des Projektes ist es, den Leuten – vor allem auch der jungen Generation – Esskultur schmackhaft zu machen. Zudem sollen die Konsumentinnen und Konsumenten auf die Qualität einheimischer Produkte und die Wahrung gastronomischer Traditionen aufmerksam gemacht werden.

An der diesjährigen «Semaine du goût» (18.-28- September) war erstmals auch die Deutschschweiz beteiligt. Besonders engagiert hat sich die Ostschweiz, namentlich die Region Toggenburg. Im Vierstern-Hotel «Stump’s Alpenrose» in Wildhaus integrierte die 52-jährige Chefköchin Annagret Schlumpf während der ganzen Woche Holunder in das Tagesmenu.

swissinfo: Die «Semaine du goût» fand dieses Jahr erstmals in der Deutschschweiz statt. Brauchen die Deutschschweizer kulinarische Entwicklungshilfe?

Annagret Schlumpf: Ich glaube nicht, dass sie kulinarische Entwicklungshilfe nötig haben. Die Deutschschweizer haben sehr gute Geschmacksrichtungen. Sie haben das bisher einfach zu wenig «verkauft».

Die «Semaine du goût» will vor allem Jugendliche ansprechen. Von diesen wird oft gesagt, dass sie geschmacklich ungebildet seien – McDonalds lässt grüssen. Finden Sie das auch?

Nein, ungebildet sind die Jugendlichen nicht im Geschmack. Sie haben sogar einen sehr guten Geschmacksinn. Er ist nur in eine andere Richtung gegangen. Das Natürliche ging verloren. Jetzt muss man das wieder in den Vordergrund stellen. Die Jugendlichen sind sicher bereit dazu.

Was gab es bei Ihnen im Hotel «Alpenrose» für Angebote während der «Semaine du goût»?

Wir im obersten Toggenburg sind an und für sich nicht reich mit pflanzlichen Gütern gesegnet. Aber der Holunder bringt uns visuell wie auch geschmacklich vom Frühling bis zum Herbst immer etwas Besonderes. Das haben wir ins Menu integriert, und unsere Kundschaft, im Moment sehr oft Seminarteilnehmer, hat sich intensiv mit dem Holunder beschäftigt.

Die Region Toggenburg war sehr aktiv während der «Semaine du goût» – doch sicher nicht nur wegen des Holunders?

Das Toggenburg wurde nicht nur wegen seinen Schwingern und Skifahrern bekannt, sondern wegen seinen hervorragenden Milchprodukten. Wir haben sehr viele Goldmedaillen im «cheese award» gewonnen. Das war die ideale Grundlage, um an der «Semaine du goût» aktiv teilzunehmen.

Was waren das für Produkte, die Sie für das heutige Menu verwendet haben?

Das Fleisch war ein Alpschwein von hier; die drei verschiedenen Karotten kommen aus dem Rheintal, wo wir sie direkt beim Bauern oder dem Gemüsehändler beziehen; die Kräuter in der Senfkräutersauce haben wir selber gesammelt, getrocknet eingemacht und verarbeitet.

Gibt es überhaupt eine Schweizer Küche?

Ja, sicher gibt es eine Schweizer Küche. Jede Hausfrau, jeder Koch lebt mit der Schweizer Küche, weil unsere Grundnahrungsmittel immer noch aus der Region stammen. Alle geben sich Mühe. Wir sind einfach zu scheu, um mit unserer Schweizer Küche an die Öffentlichkeit zu gehen.

Sie sind die allererste eidgenössisch diplomierte Küchenchefin in der Schweiz, gelernte Diätköchin, Konditor-Confiseurin, Ernährungsberaterin und seit 12 Jahren renommierte Leiterin der Küchenbrigade in «Stump’s Alpenrose». Wie war der Weg dazu?

Ich hatte eigentlich nie die Absicht, im Gastgewerbe tätig zu sein. An der Hochschule in St. Gallen habe ich aber gemerkt, dass ich nicht kopflastig bin. Deshalb wechselte ich ins Hotelgewerbe. Ich war an der Hotelfachschule in Lausanne, machte mehrere Sprachaufenthalte in verschiedenen Ländern, habe 21 Jahre selber einen Betrieb mit meinem Mann geführt. Erst mit 42 Jahren bin ich in die Kochlehre eingestiegen, habe nachher die Ausbildung als Diätköchin, Konditor-Confiseur, Gastronomieköchin und eidgenössisch diplomierte Küchenchefin abgeschlossen und bin jetzt auch noch Ernährungsberaterin.

In der Schweiz sind sie eine der wenigen Frauen unter lauter Männer-Star-Köchen. Ist das eine schwierige Situation? Haben Sie Probleme mit dieser Männer-Kochgilde?

Nein, ich habe damit überhaupt keine Probleme. Zuerst war diese Männerdomäne für mich zwar ein Hemmschuh. Doch bin ich vielleicht etwas stur, denn ich sagte mir, «was die können, kannst du auch». Und ich hatte auch viele Freunde und Kollegen in diesem Beruf, die mich unterstützt haben.

Was kochen Sie am liebsten für Ihre Gäste?

Das sind immer die frischen Gemüse, die schönen Salate und natürlich Desserts. Das ist für mich das Liebste, wenn ich ein wunderschönes Dessert mit einheimischen Produkten machen kann. Jetzt mache ich zum Beispiel eine Holunderzunge mit einer Sauermilch-Glace, das schmeckt hervorragend.

Und was kochen Sie am liebsten für sich selbst?

Ribel. Ribel ist eine Art Mais, ein regionales Produkt aus dem Rheintal. Es war eine Arme-Leute-Kost, die ins Toggenburg herüber gebracht wurde. Für viele Leute war Ribel früher ein Grundnahrungsmittel. Wenn man den Ribel schon einen Tag zuvor angerührt hat und dann mit ein wenig Zucker und Zimt mit Apfelmus isst, dann ist das für mich das Schönste.

Chefköchin ist ein äusserst stressiger Beruf. Haben Sie noch Zeit für Ihr Privatleben?

Ja, ja, genügend. Ich nehme mir die Zeit. Und wenn ich keine Zeit habe, denke ich gar nicht daran, dass ich keine Zeit habe.

swissinfo-Interview: Jean-Michel Berthoud

Vom 18. bis zum 28. September haben zahlreiche Gastrobetriebe und Produzenten zur «Semaine du goût» eingeladen. Konsumentinnen und Konsumenten sollten dabei die Qualität der Produkte erkennen und deren Geschmacksvielfalt erleben. Das Westschweizer Projekt fand erstmals auch in der Deutschschweiz statt.

Besonders engagiert hat sich die Ostschweizer Region Toggenburg. Ansprechpartner waren einerseits Jugendliche, andererseits Gäste in Restaurants und Hotels. Im Vierstern-Hotel «Stump’s Alpenrose» in Wildhaus brachte die renommierte Chefköchin Annagret Schlumpf den Gästen den Holunder näher.

Im swissinfo-Interview macht sich die 52-jährige Annagret Schlumpf, die allererste eidgenössisch diplomierte Küchenchefin, gelernte Diätköchin, Konditor-Confiseurin und Ernährungsberaterin stark für regionale Produkte. Nur so sei Geschmacksvielfalt garantiert.

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