Kandidat Obama: Ein historischer Moment
Mit dem Demokraten Barack Obama hat sich erstmals in der Geschichte der USA ein Schwarzer als Präsidentschafts-Kandidat durchgesetzt. Die Schweizer Presse sieht darin einhellig ein historisches Ereignis.
«Obama schreibt Geschichte», titelt der Zürcher «Tages-Anzeiger». Für den Berner «Bund» ist es «ein historischer Moment», und das Blatt sieht «bessere Tage für Amerika». Für die «Neue Luzerner Zeitung» haben die USA jetzt eine «historische Chance». Und die Schlagzeile der «Aargauer Zeitung» geht noch weiter: «Historische Massstäbe».
Vor vier Jahren sei Obama ein nahezu unbekannter Parlamentarier im Staat Illinois gewesen, schreibt der «Tages-Anzeiger». Jetzt aber schreibe er Geschichte als erster afroamerikanischer Präsidentschaftskandidat einer der beiden grossen amerikanischen Parteien.
«Barack Obama tritt in die Geschichte ein», schreibt «Le Matin». Die Lausanner Zeitung zitiert dabei den Kinoregisseur George Lucas aus der amerikanischen Presse: «In den USA tritt ein Held auf die Bühne. Für all jene unter uns, die Träume und Hoffnung haben, ist Obama ein Held.»
Hautfarbe nicht entscheidend
Für den «Bund» ist der Erfolg Obamas «ein historischer Moment auf dem Weg der Versöhnung zwischen der weissen Bevölkerungsmehrheit und der schwarzen Minderheit». Und die Lausanner Zeitung «24Heures» doppelt nach: «Ein Schwarzer zur Aussöhnung der USA.»
Doch der «Bund» mahnt: «Amerika ist ein konservatives Land, viele Bewohner sind halsstarrig. Reformen haben nur dann eine Chance auf Erfolg, wenn sie den ‹American Way of Life› in ihre Pläne miteinbeziehen – Hautfarbe des Politikers hin oder her.»
«Am Tag nach seinem historischen Triumph war Barack Obama für einen Augenblick so schwarz wie noch nie zuvor im demokratischen Wahlmarathon», kommentieret die «Aargauer Zeitung». Jede grosse US-Zeitung habe schon in ihrer Schlagzeile erwähnt, dass mit ihm der erste Afroamerikaner Präsident werden könnte. «Das Ironische an der Sache ist, dass ihm das nur gelang, indem er seine Hautfarbe vergessen machte.»
Die Genfer Zeitung merkt in diesem Zusammenhang an, dass Obama jetzt beweisen müsse, «dass er ein Amerikaner wie alle anderen ist». Nur so könne er den republikanischen Kandidaten John McCain schlagen.
Ära Clinton vorbei?
Die US-Demokraten wollten mit Obama nicht nur erstmals einen schwarzen Politiker ins Weisse Haus schicken», schreibt die «Basler Zeitung». Die Partei lasse auch die Ära Clinton endgültig hinter sich, «selbst wenn Ex-First-Lady Hillary Clinton jetzt auf die Vizepräsidentschaft schielt».
Für die «Neue Luzerner Zeitung» täte sich Obama jedenfalls keinen Gefallen, mit Clinton als demokratische Vize-Präsidentschaftskandidatin ins Rennen zu steigen. «Nichts würde dem Versprechen eines ’neuen Morgens› in Amerika mehr widersprechen als das Nachgeben gegenüber einer Politikerin, die im Ruf steht, vor keiner Taktik zurückzuschrecken, um an die Macht zu gelangen. Tatsächlich wäre für viele Wähler Obama-Clinton kein Traum-, sondern ein Albtraum-Team.»
Ähnlich sieht es der «Corriere del Ticino» mit dem «Dream Team». Die Tessiner Zeitung schreibt, die Präsenz Clintons im Team würde nichts anderes bewirken, als das Versprechen Obamas einer Veränderung, das «Alte» abzuschütteln, zu mindern.
Wohin mit Hillary Clinton?
Es mute fast tragisch an, dass Obamas unterlegene Rivalin als erste Frau in dieser Rolle ebenfalls in die Geschichte eingegangen wäre, wenn sie das Rennen für sich entschieden hätte, meint der «Tages-Anzeiger».
Die «Aargauer Zeitung» betont deshalb, Obamas erste Aufgabe werde sein, Clinton einen Platz zu sichern, der so einflussreich sei, «dass sie sich als zweite Siegerin fühlen und verkaufen kann. Das muss nicht unbedingt die Vizepräsidentschaft sein».
In der Frage Clinton sieht die «Neue Zürcher Zeitung» einen ersten Test für Kandidat Obama. «Sollte er sich für Hillary als Ticket-Partnerin entscheiden, wäre er bereits als ein Präsident gebrandmarkt, der unter Druck nachgibt.»
A propos Ticket: «Das von gewissen Leuten als Traumticket gesehene Paar Barack-Hillary ist eine Bombe mit Zeitzünder, dessen Sicherheitscode niemand kennt», kommentiert die Freiburger Zeitung «La Liberté».
Zukunft mit Fragezeichen
Der Vorwahlkampf sei jetzt Vergangenheit, so der «Tagi». «Deshalb ist es nun Zeit, geeint in einen Hauptwahlkampf zu ziehen, an dessen Ende die USA nach den Blessuren der Ära Bush einen ebenso notwendigen wie erwünschten Neuanfang wagen werden – womöglich mit einem afroamerikanischen Präsidenten.»
Für die «NZZ» ist Obama «mehr ein Phänomen als ein Kandidat». Seine Politik und sein Charakter seien noch mit Fragezeichen behaftet. «Vielleicht erhalten sie im kommenden Wahlkampf schärfere Konturen. Seine Anziehungskraft beruht auf der Verkörperung des Neuen. Doch ist er ein ‹Rookie›, ein Neuling, der die erste Saison in der höchsten Liga spielt.»
swissinfo, Jean-Michel Berthoud
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch