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Kein Patentschutz auf Kosten der Armen

Michael Bailey von Oxfam ist siegessicher. swissinfo.ch

Die Schweiz hat sich international für einen starken Patentschutz exponiert. Am Weltsozial-Forum kündigte Oxfam eine Kampagne dagegen an.

Im April soll die dreijährige Kampagne gegen Patente lanciert werden, teilte Oxfam an der Konferenz über Geistiges Eigentum mit. Oxfam ist eine der ältesten, grössten und erfahrensten Nichtregierungs-Organisationen (NGO), die am Weltsozial-Forum (WFS) in Porto Alegre aktiv teilnehmen.

“Ich bin sicher, dass wir in einigen Jahren Erfolge feiern werden”, sagt deren Vertreter, Michael Bailey, siegessicher. Oxfam agiert in rund 100 Ländern und ist sich Erfolge gewohnt. In vielen dieser Länder ist auch die Schweizer Chemie- und Pharmaindustrie präsent, die vom starken Patentschutz profitiert.

Marktabschottung

Geregelt ist der Schutz des Geistigen Eigentums – also Patente, Copyright und Marken – im TRIPS-Abkommen. Dieses verpflichtet alle Mitglieder der Welthandels-Organisation (WTO), den Inhabern von Patenten ein zeitlich begrenztes Monopol auf deren “Erfindungen” einzuräumen.

Der Patentschutz soll, so die Idee, die Forschung stimulieren. Doch in der Praxis würden vor allem die hohen Preise geschützt, weil die Konkurrenz durch den Patentschutz ausgeschaltet werde. “Vor allem in der Pharmaindustrie wird der Patentschutz zur Marktabschottung missbraucht”, sagt der Ökonom und sozialdemokratische Nationalrat Rudolf Strahm.

“Wenn sich Bundesrat Pascal Couchepin für eine Verstärkung der Arzneimittel-Patente einsetzt, dann macht er sich zum Sprachrohr von zwei Schweizer Firmen mit sehr problematischem Geschäftsgebaren.”

Schweiz exponiert sich

In Sachen Patente geniesst die Schweiz bei den Entwicklungs-Ländern keinen guten Ruf. “Die Schweiz und die USA waren an der WTO-Ministerkonferenz in Doha die einzigen Industrieländer, die sich mit Händen und Füssen gegen eine Erklärung gewehrt haben, die den Staaten im Falle eines medizinischen Notstands das Recht zubilligt, den Patentschutz zu umgehen und billigere Generika herzustellen oder einzuführen.”, sagt Peter Niggli, Leiter der Arbeitsgemeinschaft Swissaid, Fastenopfer, Brot für Alle, Helvetas und Caritas.

Die Erklärung wurde dennoch verabschiedet, schliesslich ging es in Doha nur um eine Bestätigung des bestehenden Vertrages. Die Erklärung wurde aber notwendig, weil die USA im vergangenen Jahr versucht hatten, gegen Südafrika Sanktionen zu erwirken als das Land wegen der AIDS-Epidemie die Rechte der Pharmaindustrie ausser Kraft setzen wollte.

Teure Schulbücher, teures Saatgut

Unter dem starken Schutz des Geistigen Eigentums leiden vor allem die armen Länder. Die negativen Auswirkungen betreffen nicht nur die Gesundheitsversorgung, sondern auch die Landwirtschaft und das Erziehungswesen.

Viele können sich keine Schulbücher leisten, weil nur der Vertrieb von teuren Exemplaren ausländischer Verlage zulässig ist. Kleinbauern müssen ihr Saatgut zu hohen Preisen von den internationalen Agro-Firmen kaufen, weil es patentrechtlich geschützt ist.

Die Ernährungs-Sicherheit sei nur zu gewährleisten, wenn das Saatgut weiterentwickelt werde, um etwa gegen Trockenheit oder gewisse Plagen resistent zu sein. Und dazu brauche es Forschung, sagt Dora Rapold von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA). “Wenn durch den Patentschutz Barrieren aufgebaut werden, die den Zugang zum Saatgut verhindern, dann hat dies Rückwirkungen auf die Produktion: Es wird zu wenig produziert, um die Bevölkerung zu ernähren.”

Kampfabkommen

“Das TRIPS ist ein Kampfabkommen gegen aufstrebende Industrieländer”, sagt Niggli von der Arbeitsgemeinschaft der Hilfswerke. Er weist darauf hin, dass alle Industrieländer mit Kopieren angefangen hätten: Im 19. Jahrhundert kopierten die USA die englischen Dampfmaschinen, im 20. Jahrhundert waren es die Japaner, die das Gleiche mit amerikanischen Industrieprodukte machten.

“Wegen dem starken Schutz des Geistigen Eigentums ist dies im 21. Jahrhundert nicht mehr möglich”, sagt Bailey von Oxfam. Dies behindere die Industrialisierung der Entwicklungsländer.

“Das TRIPS dient weniger dem Freihandel, als dem Protektionismus der reichen Länder”, sagt Martin Khor vom Third World Network.

Emotionalisierte Kampagne

Auch WTO-Befürworter wie der Ökonom Jagdish Bhagwati betrachten das Abkommen als einen Fremdkörper und möchten TRIPS wieder aus dem WTO-Regelwerk entfernen.

Bailey von Oxfam will denn auch die TRIPS-kritischen WTO-Befürworter in die Kampagne einbinden: “Ich glaube, wir können gewinnen. Denn das TRIPS ist wirklich ein lausiges Abkommen und der eigentliche Schwachpunkt der WTO.”

Oxfam plant eine emotionalisierte Kampagne. Man müsse der Thematik ein menschliches Gesicht geben, um die Leute für diese Problematik zu sensibilisieren.

An Beispielen dürfte es nicht mangeln, denn die Auswirkungen des TRIPS sind vor allem im Arzneimittelbereich konkret und sichtbar. Der Basler Chemie- und Pharmaindustrie dürfte damit in den nächsten Jahren ein steifer Wind entgegenblasen.

Hansjörg Bolliger, Porto Alegre

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