Kein «Rentenklau»
In der beruflichen Vorsorge hat kein "Rentenklau" stattgefunden. Dieser Ansicht sind Ständerat und Regierung.
Weiter sind sie sich einig, dass der Mindestzins gesenkt werden muss.
Im letzten Juni war der Bundesrat vorgeprescht. Kurz vor der Sommerpause erklärte er, den Mindestzinssatz für Pensionskassengelder per 1. Oktober von 4 auf 3 Prozent senken zu wollen. Was er nicht erwartete: Es hagelte Kritik von allen Seiten. Die Höhe des Zinssatzes im Gesetz über die Berufliche Vorsorge (BVG) entwickelte sich in den Medien zum wochenlangen Sommertheater.
Nach dieser Protestwelle krebste die Regierung zurück: 3,25 Prozent per 1. Januar 2003, hiess es diesmal. Doch jetzt fühlte sich das Parlament übergangen, die SP verlangte eine Sondersession.
Keine roten Köpfe
Nach anfänglichem Murren hat die kleine Kammer, die Vertretung der Kantone, am Donnerstag den Mindestzinssatz im BVG besprochen. Verschiedene Ratsmitglieder beklagten, für ein derart komplexes Thema sei die Vorbereitungszeit schlicht zu kurz gewesen.
Der Streit um die Pensionskassen wurde auf ein sachliches Niveau gebracht, die Kritikpunkte blieben: Die richtige Verzinsung der Guthaben, die Verdächtigung auf «Rentenklau», die mangelnde Kontrolle der Versicherer und die Zukunft der 2. Säule.
Erneut wurde der Bundesrat, namentlich die beiden anwesenden Ruth Metzler und Ruth Dreifuss, für den voreiligen Entscheid gemassregelt. Die Landesregierung musste die Kritik entgegennehmen, in der Bevölkerung für Verunsicherung gesorgt zu haben.
Rundherum einig war man sich im Ständerat, dass der Mindestzinssatz gesenkt werden muss. Voraussichtlich wird dabei der zweite Vorschlag des Bundesrates angewendet: 3,25% ab 1. Januar 2003. «Auch eine Pensionskasse kann nicht mehr Zins bezahlen, als der Markt hergibt», sagte Bruno Frick, Präsident der Sozialkommission.
Reserven weg
Die Pensionskassen hatten während der guten Jahre Reserven angelegt. So behaupten sie zumindest. Denn bei vielen sind diese Reserven nicht mehr vorhanden. Mitte 2002 befanden sich 26 Prozent der autonomen Kassen in Unterdeckung, das heisst das benötigte Deckungskapital entsprach den Vorschriften nicht mehr. Nur gerade 30 Prozent der Kassen verfügen noch über genügend Deckung und Reserven.
Dies belegen Zahlen aus dem Risiko Check up von AWP/Complementa, an dem 353 Schweizer Vorsorge-Einrichtungen teilgenommen haben. Und eine von Bundesrätin Ruth Metzler eingesetzte Expertenkommission kommt zum Schluss, dass die Pensionskassenprämien um 20 Prozent erhöht werden müssen, falls das heute politisch versprochene Rentenniveau eingehalten werden solle.
«Mindest-Zinssatz»
Wie viel Gewinnanteile haben die Privatversicherungen in den guten Jahren an ihre obligatorisch Versicherten weitergegeben? Diese Frage stand im Vorfeld der Sondersession zur Debatte. Denn der viel diskutierte Mindestzinssatz meint eben genau dies: Er ist als Mindest-Ansatz gedacht, den die Versicherungen auch übertreffen durften.
Welcher Versicherte erhält nicht gerne mal ein halbes Prozent mehr Ertrag? Doch nur einige wenige Vorsorgekassen haben Mehrerträge auch ausgeschüttet. Das Stichwort «Rentenklau» machte daher schon bald die Runde.
Für Bruno Frick fand zwar kein Rentenklau statt: «Alle Versicherten haben immer den Mindestzins erhalten, und zumeist noch einiges mehr.» Auch Ruth Metzler stimmte in den Kanon ein: «Es hat kein Rentenklau stattgefunden.»
Frick gibt aber auch zu bedenken: «Allerdings würden wir aus heutiger Betrachtung sagen: mehr auszuschütten wäre gerecht gewesen.» Doch wer kontrollierte das in den fetten Jahren?
Mangelnde Aufsicht
Kritik hatte es hauptsächlich am betroffenen Bundesamt für Privatversicherungen (BPV) des Departements von Ruth Metzler gehagelt. Dieses habe die Aufsicht über die Versicherungen ungenügend geführt.
Die Expertenkommission hat «Mängel sowohl in den gesetzlichen Grundlagen als auch in der Aufsichtspraxis festgestellt, welche die Qualität der Versicherungsaufsicht beeinträchtigen». Im Klartext: Das Bundesamt hat die Kassen an der langen Leine geführt.
Bundesrätin Ruth Metzler versprach, dass die Kontrolle verbessert werden soll, dass mehr Transparenz geschaffen werden soll. Die nötigen Korrekturen dazu sollen in der Wintersession vorgenommen werden.
swissinfo, Christian Raaflaub
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