Keine Mythen zementieren
Die Schweiz begeht das UNO-Jahr der Berge. Dabei sollen keine Vorstellungen vom Berg- und Hirtenvolk zementiert werden, sondern es wird eine weltweite, nachhaltige Entwicklung gefordert.
«Berge, das ist Naturerlebnis, Radfahren, Wandern. Eine sportliche, körperliche Betätigung, welche die Batterien neu auflädt», sagt Thomas Egger, Direktor der Schweizerischen Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete (SAB).
Doch damit hat es sich nicht: «Der Erholungsraum ist nur ein ganz kleiner Teil aller Funktionen, welche die Berge wahrnehmen», ergänzt Egger. «Nur schon als Wasserschloss liefern die Schweizer Alpen jede Sekunde 1,7 Mio. Liter Wasser nach ganz Europa.»
(Heile) Postkarten-Welt
Die Vielfalt der Bergwelt versucht die Wanderausstellung «Berge verbinden», die am Donnerstag ihre Vernissage hatte, zu zeigen: Postkarten sollen die Berge visuell zusammen schrumpfen lassen.
«Das Postkartenformat kennt jeder Reisende. Wir haben da angeknüpft und zeigen ganz normale Postkarten, aber auch solche, die eher überraschend sind», erklärt Projektleiter Stefan Frey gegenüber swissinfo.
So reiht sich das Mount-Everest-Foto mit stahlblauem Himmel neben das Bild eines staubigen Staudammes in Zentralasien, das neben der Karte des Gotthard-Staus in Uri steht. Jedes der 98 Bilder steht für eine Facette der Bergwelt.
«Die Bilder geben ein Hologramm der Berggebiete, das den Besuchenden eine erste Sicht der Dinge vermittelt», sagt Frey.
Vom Réduit zur Partnerschaft
Die Ausstellung und die andern Aktivitäten der Schweiz im Jahr der Berge werden mit rund einer Million Franken von der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (DEZA) und dem Bundesamt für Raumentwicklung (ARE) finanziert.
Das ARE hat die Federführung der Schweizer Projekte übernommen. Daniel Wachter, Chef Sektion Nachhaltige Entwicklung, macht deutlich: «Wir wollen nicht einfach die Schönheit der Berge präsentieren. Wir sind kein Anhängsel von Schweiz Tourismus.»
Vielmehr sieht er das Jahr der Berge als aufklärende Sensibilisierung: «Wir wollen keine Unabhängigkeits-Mythen zelebrieren, wir setzen die Berge in einen gesamtschweizerischen Zusammenhang.» So sollen die gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen Berg- und Talbevölkerung betont werden. «Das heisst aber nicht, dass die alpine Bevölkerung zum Homo alpinus gemacht werden soll.»
Mehr als Tourismus und Subventionen
Dass die Ausstellung verbinden soll, sagt auch Projektleiter Frey: «Dem Unterland sollen die Berge nicht ’nur› als Tourismusdestination oder als Subventions-Empfänger näher gebracht werden. Wir wollen zeigen, dass die Berg- die Tal-Bevölkerung braucht, aber auch umgekehrt.» Es gebe Mythen ebenso im Unterland wie in den Bergen.
Dabei geht es um die Zukunft der Schweizer Berge: «Es kann nicht darum gehen, dass die Bergbevölkerung das Gefühl hat, man stülpt eine Käseglocke übers Berggebiet, weil es im Unterland gerade schick ist, eine unversehrte Landschaft zu haben. Umgekehrt darf niemand glauben, dass die Berge nicht angetastet werden dürfen», ergänzt Frey.
Erfahrungen weiter geben
Dass die Bergwelt sich ändert, weiss auch Benedikt Güntert, Beauftragter für Kultur und Bildung der DEZA: «Die Schweiz hat viel Erfahrung in der Entwicklung der Berggebiete gesammelt.» So seien die ersten Partnerländer der DEZA Bergregionen wie Nepal oder Bolivien gewesen. «Die Erfahrungen haben sich in den letzten Jahrzehnten gewandelt und wir wollen weiter Schweizer Knowhow in die internationale Diskussion einbringen.»
Besonders in den Bereichen der nachhaltigen Waldbewirtschaftung oder dem Nutzen von Alpweiden habe die Schweiz viel Wissen erarbeitet. «Die nachhaltige Entwicklung der Berggebiete ist auch ein politischer Diskurs», sagt Güntert weiter. «Dabei sind die Politiker gefragt, damit die Berge ihre Funktionen als Wasserschlösser und Horte der Bio-Diversität wahren können.»
Nachhaltigkeit nützt auch Städtern
Dass eine nachhaltige Entwicklung der Berg-Regionen auch den tieferen Lagen nützt, betont auch SAB-Direktor Egger: «Wenn der Städter auf dem Weg von Zürich nach Mailand durch den Gotthard fährt, ist er auf die ‹Bergler› angewiesen: Dadurch dass zum Beispiel durch Bundessubventionen der Wald noch erhalten wird und die Strasse oder die Bahn nicht verschüttet wird.»
Das offizielle Jahr der Berge ist zwar Ende 2002 vorbei, Egger ist aber zuversichtlich, dass die Projekte längere Auswirkungen zeigen werden: «Wir wollen lokale Initiativen auslösen und auch länger in den Köpfen der Menschen präsent sein.» Das wird auch nötig sein: «Berge gibt es seit Millionen von Jahren und wird es noch Millionen von Jahren geben.»
Philippe Kropf
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