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Kleine Auslandkunden opfern, grosse behalten

swissinfo.ch

Für den renommierten belgischen Rechtsprofessor Thierry Afschrift ist der Finanzplatz Schweiz durch die jüngsten Konzessionen nicht gefährdet. Schwierig werde es aber für die kleinen ausländischen Bankkunden.

Der 54-jährige Steuerrechtsexperte ist Professor an der Freien Universität Brüssel sowie Anwalt in Brüssel, Luxemburg, Madrid und Genf. swissinfo hat mit ihm in Brüssel gesprochen.

swissinfo: Sie sagten nach dem Vergleich der Grossbank UBS mit den US-Behörden voraus, dass die Schweiz dem internationalen Druck nachgeben werde. Waren Sie dennoch überrascht, wie schnell das ging?

Thierry Afschrift: Nein. Der Druck aus der EU und den USA war extrem hoch. Die Schweiz hat die einzige Wahl getroffen, die ihr noch blieb. Die angekündigte Amtshilfe bei Steuerhinterziehung ist auf Anfragen im Einzelfall beschränkt. Persönlich bedaure ich, dass die Schweiz diese Konzession machen musste, denn ich halte die Rechtfertigung des Bankgeheimnisses als Schutz der Privatsphäre nach wie vor für gut begründet.

swissinfo: Was bleibt vom Schweizer Bankgeheimnis übrig?

T.A.: Immer noch viel. Die Schweiz gibt dort nach, wo sie in einzelnen Abkommen – mit Spanien oder Frankreich etwa – schon früher nachgegeben hat: Dass man bei gut begründeten Anfragen mit ausländischen Steuerbehörden kooperieren wird. In der Schweiz wird man jedoch verhindern, dass diese eigentliche Fischzüge machen. Deutsche Fahnder werden bei Verdacht fragen können, ob Herr Müller aus Deutschland ein Konto bei der UBS hat. Es wird aber nicht möglich sein, die Daten aller Müller bei allen Schweizer Banken anzufordern.

swissinfo: Was bedeutet dies für die ausländische Kundschaft der Schweizer Banken?

T.A.: Der einzige Effekt wird sein, dass man die Schwelle des Schweizer Bankgeheimnisses ein bisschen anhebt. Man muss zukünftig ein wenig reicher sein, um sich eine komplizierte juristische Struktur leisten zu können. Es reicht nicht mehr aus, einfach ein Konto bei einer Bank in der Schweiz zu eröffnen.

swissinfo: Für die kleinen Steuerhinterzieher ist der Schutz also vorbei. Welche Möglichkeiten bleiben den grossen Fischen?

T.A.: Die Inhaber grosser Vermögen haben weiterhin viele Optionen. Es muss sich dabei nicht zwingend um Steuerbetrüger handeln – es gibt viele Möglichkeiten, sich so zu organisieren, dass man den Text der Gesetze respektiert und dennoch keine Steuern bezahlen muss.

Für Kunden, denen das Schutzniveau des schweizerischen Bankgeheimnisses nicht genügt, können die Schweizer Banken ihre Filialen in anderen Ländern nutzen – etwa in Singapur.

swissinfo: Aber Singapur will ja dieselbe Kooperation mit Behörden akzeptieren.

T.A.: Ja, sie haben dies angekündigt. Aber natürlich muss die Steuerbehörde eines europäischen Landes zuerst einmal wissen, wo sie nachfragen muss.

swissinfo: Wie kann ein kleiner ausländischer Kunde mit Bankkonto in der Schweiz seine Situation legalisieren?

T.A.: In Belgien ist das relativ einfach. So lange die Behörde nicht anzeigt, dass ein offizielles Verfahren eingeleitet ist, kann man seine Situation freiwillig regeln – jedenfalls für die Vermögenseinkünfte. Problematischer ist es bei Erbschaftssteuern.

swissinfo: Was müsste ein solcher Bankkunde tun?

T.A.: Ich denke, dass Leute in dieser Lage ihre Situation überprüfen müssten, um zu vermeiden, dass Auskünfte erteilt werden. Man wird sehr präzis analysieren müssen, wie die Abkommen formuliert sein werden, die die Schweiz nun anderen Staaten anbieten will.

Das Wahrscheinlichste dürfte sein, dass man auf eine Stiftung zurückgreifen wird.

swissinfo: Stiftungen und Trusts sind eine Spezialität von Liechtenstein und London. Ist die Schweiz der richtige Ort dafür?

T.A.: Die Voraussetzung ist, dass wirklich nur Auskünfte in begründeten Einzelfällen erteilt werden, wie der Bundesrat es angekündigt hat. Zwar ist es nicht vorteilhaft, nach Schweizer Recht Stiftungen zu gründen. Das Geld von Stiftungen, die ihren Sitz anderswo haben, kann aber durchaus in der Schweiz angelegt werden.

swissinfo: Wird der britische Premier Gordon Brown, der die Steueroasen so heftig attackiert, die britischen Trusts weiterhin beschützen können?

T.A.: Das Interesse des britischen Finanzplatzes an den Trusts dürfte so gross sein, dass ihm gar keine andere Wahl bleibt.

swissinfo: Seine Kampagne gegen die Steueroasen ist also Heuchelei?

T.A.: Dies gilt doch für die meisten europäischen Staatsmänner. Sie brauchen einen Sündenbock für die Finanzkrise, für die die Steuerparadiese in keiner Weise verantwortlich sind.

So lange man über die Steueroasen spricht, redet man nicht über ihre Systeme der Finanzaufsicht, die versagt haben.

swissinfo: Ist die Auskunft auf Anfrage nur der erste Schritt? Luxemburg und Österreich müssen laut EU-Zinsbesteuerungsregeln den automatischen Informationsaustausch einführen, sobald Drittstaaten wie die Schweiz auf Anfrage kooperieren.

T.A.: EU-intern ist dazu ein einstimmiger Beschluss nötig. Ich bin überzeugt, dass Luxemburg nötigenfalls ein Veto einlegen würde – Luxemburg kann ohne Finanzplatz wirtschaftlich nicht überleben.

swissinfo: Ist die Auskunft auf Anfrage also das Ende der Konzessionsbereitschaft der Bankgeheimnisländer?

T.A.: Ich glaube, dass der Finanzplatz für Länder wie Luxemburg und die Schweiz zu wichtig ist, als dass sie mehr zugestehen würden. Falls man das Bankgeheimnis total abschaffen würde, gibt es keinen Grund mehr, Banken in Luxemburg zu haben.

Den Bankenplatz Schweiz würde es immer noch geben, aber er hätte dann vielleicht das Ausmass des holländischen Finanzplatzes – verglichen mit seiner heutigen Position wäre dies ein gewaltiger Absturz.

swissinfo-Interview: Simon Thönen

Eine detaillierte Quantifizierung des volkswirtschaftlichen Gesamtschadens durch die Aufhebung des Bankgeheimnisses für ausländische Steuerflüchtlinge sei nicht möglich, heisst es in einer schriftlichen Antwort der Regierung auf eine Frage von Nationalrat Lukas Reimann (SVP/SG).

Eine grobe Aufteilung der Bankenwertschöpfung auf in- und ausländische Kunden zeige jedoch, dass ungefähr ein Drittel dieser Wertschöpfung mit ausländischen Kunden generiert werde.

Bei einem «Worst-Case-Szenario», wenn alle ausländischen Kunden ihre Bankbeziehungen mit den inländischen Bankenstellen auflösen würden, würden rund 14,5 Mrd. Franken Bankenwertschöpfung wegfallen, schreibt der Bundesrat und verweist auf das gesamte Volumen des Bruttoinlandprodukts von 532,1 Mrd. Franken.

Eine Aussage, wie viele Arbeitsplätze gefährdet wären, sei schwierig. Denn die Dienstleistungen der Banken in der Schweiz seien international auch aus anderen Gründen wettbewerbsfähig.

Bundespräsident Hans-Rudolf Merz hat in einer Videobotschaft Ängste der Bevölkerung in Sachen Bankgeheimnis zu zerstreuen versucht. Das Bankgeheimnis für in der Schweiz Steuerpflichtige bleibe bestehen.

«Ein Schnüffeln in unseren Konten wird es nicht geben», sagte der Finanzminister in seiner auf der Internetseite des Eidg. Finanzdepartements veröffentlichten Videobotschaft. Die schweizerischen Steuerbehörden erhielten weiterhin keinen Zugriff auf Daten von Bankkunden.

Das Bankgeheimnis sei tief verankert und in der Bundesverfassung sowie in Gesetzen abgesichert. Es schütze aber keine Steuerdelikte.

Die Umsetzung der OECD-Standards werde in bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen erfolgen, erklärte Merz weiter. Bisher gebe es über 70 solcher Abkommen. Der erweiterte Informationsaustausch trete erst mit den neu zu verhandelnden Abkommen in Kraft.

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