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Kloster Müstair, ein Spiegel des Mittelalters

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Das Kloster St.Johann in Müstair liegt am Fusse der Alpen und ermöglicht einen einmaligen Einblick ins Mittelalter und die Zeit christlicher Hochblüte. 1983 wurde diese bis heute lebendige Anlage ins Weltkulturerbe aufgenommen. Hier existieren benediktinischer Geist, Kultur und Archäologie nebeneinander.

Ein Lichtstrahl erhellt das Mittelschiff der Kirche und taucht das Gotteshaus in eine surreale Atmosphäre. In jedem Winkel des Klosters St. Johann spiegelt sich Geschichte – eine Geschichte, die vor 1200 Jahren begann und sich insbesondere im grössten erhaltenen frühmittelalterlichen Wandmalereizyklus aus dem 9. Jahrhundert zeigt.

Der ab 957 erbaute Plantaturm gilt als ältestes Profangebäude des Alpenraumes. Und er gibt der Klosteranlage und dem Ort Müstair seine charakteristische Gestalt. Neben den Wandmalereien beherbergt das Kloster weitere kulturelle und künstlerische Schätze von aussergewöhnlichem Wert.

Mindestens acht grössere Umbauten hat die Klosteranlage im Lauf ihrer Geschichte erlebt. Die Klosteranlage wurde nie völlig zerstört, sondern immer nur partiell umgebaut. So ergibt sich heute ein Konglomerat verschiedener Baustile, die sich in ein harmonisches Ganzes eingliedern.

Weltkulturerbe aus Zufall

«Die Idee einer Kandidatur für die Unesco-Liste entstand eher zufällig und ging auf eine Initiative von Professor Alfred Schmid zurück, der damals die Eidgenössische Denkmalschutzkommission präsidierte», erzählt Elke Larcher, Sprecherin der überkonfessionellen Stiftung Pro Kloster St. Johann.

«Damals war das Verfahren zum Erhalt des Labels zweifellos einfacher als heute. Die Bezeichnung Welterbe war in der Bevölkerung noch nicht sehr bekannt», so Larcher.

Müstair liegt am äussersten südöstlichen Rand der Schweizer Alpen, auf der Südseite des Ofenpasses und nahe zur italienischen Grenze (Südtirol). Das Tal lebte über Jahrhunderte von der Landwirtschaft und dem Transitverkehr über die Alpenpässe.

Heute leben die gut 1700 Einwohnerinnen und Einwohner vorwiegend vom Tourismus. Man ist sich bewusst, dass Natur und Kultur – wie auch die rätoromanische Sprache – eine enorme Ressource für die Region darstellen.

«Es ist schwierig festzustellen, inwieweit das Unesco-Label den Tourismus angekurbelt hat, doch sicherlich ist unser Konvent bekannter geworden, insbesondere im Ausland», sagt Larcher.

Würde die Unesco auch die Kandidatur der Biosphäre Val Müstair – mitsamt dem Schweizer Nationalpark – akzeptieren, könnte dies der Gegend einen weiteren Schub zu einer nachhaltigen Entwicklung geben.

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Welterbe (Unesco)

Dieser Inhalt wurde am veröffentlicht Zu den Zielen, die sich die Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft und Kultur (Unesco) gesetzt hat, gehören auch die Bewahrung des Weltkultur- und Weltnaturerbes, das einen «aussergewöhnlichen universalen Wert» aufweisen muss. 1972 sind die Mitgliedstaaten der Unesco in einer internationalen Konvention übereingekommen, eine Welterbe-Liste zu erstellen. Die Staaten verpflichteten sich, die Natur- und…

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Huldigung an den Kaiser

Die Legende erzählt, dass Karl der Grosse nach seiner Krönung zum König der Langobarden im Jahr 774 einen Schneesturm überlebte. Aus Dank habe er das Kloster St. Johann gegründet.

Müstair befand sich an einem strategisch günstigen Punkt für eine Expansion des Reiches nach Osten, Richtung Bayern.

Wie an allen Legenden haftet auch an dieser wahrscheinlich ein Stück Wahrheit. Einige Holzbalken aus der Gründerzeit stammen genau aus der Epoche, als der Kaiser nach seiner Eroberung des langobardischen Reiches durch das Veltin und über den Umbrail-Pass reiste. Seither wird der Kaiser im Konvent wie ein Heiliger verehrt.

Die älteste, einst farbig bemalte Monumentalstatue von Karl dem Grossen steht gleich neben dem Kreuz.

Wandbemalungen und mehrfarbige Fenster sind aus der Gründerzeit nachgewiesen: Zeichen von Wohlstand und kultureller Erneuerung. «Man muss sich die Kirche als einfachen Raum mit glatten Wänden und einer vollständig bemalten Decke vorstellen», sagt Elke Larcher. Die Säulen, die Gewölbe und die Empore wurden erst 1492 hinzugefügt.

Stiftung hilft

Die älteste Klosteranlage und die Klosterkirche mit ihrem kostbaren karolingischen Bilderzyklus entstanden ab dem 8. Jahrhundert. Seit der Entdeckung der weltberühmten Fresken am Ende des 19. Jahrhunderts und nach deren vollständigen Freilegung in den Jahren 1947-1951 überstiegen der Koordinationsaufwand für die Restaurierungsarbeiten und der Finanzbedarf die Möglichkeiten des Klosters.

Deshalb wurde am 16. Mai 1969 die Stiftung Pro Kloster St. Johann in Müstair gegründet. Im Jahr 2003 konnten die Restaurierungs- und Stabilisierungsarbeiten am Plantaturm beendet werden. Den krönenden Abschluss fanden diese Arbeiten in der Eröffnung des neuen Klostermuseums.

«Über die künstlerischen Schätze hinaus gibt es im Kloster eine einmalige Koexistenz zwischen den kulturellen Aspekten – Geschichte, Wissenschaft und Restaurierung – sowie der traditionellen religiösen Nutzung», sagt Elke Larcher.

«Die Präsenz der Ordensschwestern war für das Überleben des Klosters entscheidend und ist für das ganze Dorf Müstair von grosser Bedeutung.» Es ist ein lebendiges Kloster, in dem die Regel des Heiligen Benedikt («Bete und arbeite!») jeden Tag den Ablauf von Neuem vorgibt.

Müstair war von Beginn an vor allem ein Ort, in dem sich der christliche Geist verwirklichen und das Klosterleben verbreiten sollte. Heute ist es nicht allein ein touristischer Anziehungspunkt, sondern auch ein Ort für Menschen, die in Einfachheit etwas Ruhe und Einkehr abseits des modernen und hektischen Lebens suchen.

Zwischen den Klostermauern und zum Gesang der Benediktinerinnen gibt in diesem Kloster nur noch eine Sonnenuhr den täglichen Zeitablauf vor.

Stefania Summermatter, Müstair, swissinfo.ch
(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

Das Benediktinerkloster St. Johann zeugt von der Erneuerung des christlichen Klosterlebens in der karolingischen Epoche.

Im Val Müstair (Müstair – Münster, Monastero, dem Münstertal) gelegen, birgt es den wichtigsten Freskenzyklus der Schweiz aus dem 8. Jahrhundert.

Diverse andere Fresken und Stukkaturen in der Kirche gehen auf das Heilige Römische Reich zurück.

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