Konsumenten profitieren kaum von starkem Franken
Wegen der Euroschwäche gegenüber dem Schweizer Franken ist es derzeit sehr vorteilhaft, Waren von der Europäischen Union in die Schweiz einzuführen. Für Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten aber bleibt die Rechnung vorläufig gleich hoch.
Das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) bestätigte letzte Woche, was viele bereits vermutet hatten: Die Konsumenten in der Schweiz profitieren nur sehr bescheiden von den Preisvorteilen, die Schweizer Importfirmen derzeit wegen dem schwachen Euro geniessen.
Bestätigt wurde die Vermutung tags darauf auch von der Statistik der Konsumentenpreise: Im Jahresvergleich blieben die Preise der importierten Waren und Dienstleistungen stabil.
Die Schlüsse, die das EDA daraus zieht, sind erst provisorisch: «Die Weitergabe der tieferen Importpreise an die Endkunden muss noch vertieft analysiert werden», heisst es in der Medienmitteilung des EDA. Klar sei aber, dass die Schweiz im internationalen Quervergleich » zu den Staaten mit einer eher unterdurchschnittlichen Weitergabe von Wechselkursschwankungen» gehöre.
Mineralöl und Autos
Die Situation ist von Produkt zu Produkt unterschiedlich. Bei Mineralölen und Derivaten hat die Entwicklung der Wechselkurse sehr rasch eine Auswirkung auf den Endpreis.
Ganz anders bei den Autos, wo sich laut EDA «eindeutig ein von der Kostenentwicklung im Herstellungsland und der Wechselkursentwicklung abgekoppeltes ‹pricing to the market› findet.» In diesem Sektor sei «die Kaufkraftentwicklung im Exportland für den verlangten Preis massgebend».
Noch auffälliger seien die Preisentwicklungen bei Textilien, Bekleidung, Leder und Schuhen, «wo der Landesindex der Konsumentenpreise einen stetigen Preisanstieg aufweist», so das EDA.
Mehr Beschwerden
Kein Wunder also, dass sich Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten – unter dem Vorwand, dass sie über eine höhere Kaufkraft als ihre europäischen Nachbarn verfügten – derzeit wie Milchkühe fühlen. Milchkühe allerdings, die sich nicht mehr alles gefallen lassen: Laut der Freiburger Zeitung La Liberté hat der Eidgenössische Preisüberwacher Stefan Meierhans seit Jahresbeginn bereits gleich viele Beschwerden gegen die fehlende Weitergabe von Einkaufs-Vorteilen erhalten, wie im gesamten Jahr 2010.
Für Matthieu Fleury, Generalsekretär der «Fédération Romande des Consommateurs» (FRC), ist der Verweis auf die höheren Löhne und Mieten in der Schweiz nicht statthaft: «Es stimmt, dass die Situation hier anders ist, aber ein Unterschied im Wechselkurs erlaubt es automatisch, europäische Produkte zu einem tieferen Preis weiterzuverkaufen.»
Die Rechnung ist einfach: Ein Produkt, das bei einem Wechselkurs von 1,50 Franken pro Euro für 15 Franken gekauft wurde, wird in der Schweiz für 30 Franken verkauft, mit einer Gewinnmarge von 15 Franken. Heute, mit einem Wechselkurs von 1,20, müsste das gleiche Produkt für 27 Franken verkauft werden. Der Gewinn für den Verkäufer, der somit 12 Franken bezahlt hatte, würde genau gleich hoch bleiben.
Importeure in Frage gestellt
Der Spielraum für die Konsumentenverbände ist jedoch nur gering. «Die einzige Möglichkeit aus rechtlicher Sicht ist, an die Wettbewerbskommission zu gelangen, die feststellen soll, ob sich die verschiedenen Akteure an ein stillschweigendes Übereinkommen halten, den Wechselkurs nicht an die Endpreise weiterzugeben», sagt Fleury. «Wenn man sieht, dass hier der Wettbewerb nicht spielt, ist dieser Verdacht berechtigt.»
Der FRC-Generalsekretär sieht das Problem aber nicht nur bei den Grossverteilern: «Der Schweizer Markt wird von den offiziellen Importeuren dominiert, was dazu beiträgt, dass sich die Preise nicht entwickeln.»
Urs Meier, Pressesprecher von Coop, einem der beiden grossen Detailhändler der Schweiz, bestätigt: «Wir geben die Preisvorteile aus dem Wechselkurs systematisch an die Kunden weiter. Was aber viele Leute nicht wissen, ist die Tatsache, dass etwa 95% unserer Palette der europäischen Produkte über Generalimporteure in die Schweiz gelangen, mit denen wir Verträge in Franken haben, zu einem festen Wechselkurs von 1,35 Franken pro Euro.»
Der Grossverteiler versuche, Druck auf die Importeure zu setzen, und «trotz starkem Widerstand» von einigen sei es gelungen, bei diversen Produkten die Preise zu senken: «Seit Ende 2010 haben wir die Preise von 2150 Produkten gesenkt, darunter 600, die direkt mit der Euroschwäche zu tun haben.»
Auch der andere Detailhändler-Riese Migros betont, der Spielraum sei sehr klein, obwohl das Unternehmen seit Anfang Jahr rund 3500 Produkte billiger anbiete. «Die Anzahl Produkte aus dem Euro-Raum liegt bei uns nur zwischen 6 und 8% und wird auf etwa 300 Mio. Franken geschätzt», sagt Migros-Sprecherin Martina Bosshard.
Einkaufstourismus
Argumente, die anscheinend viele Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten nicht überzeugen, denn immer mehr Kunden weichen in die grenznahen Einkaufszentren in Frankreich, Italien, Deutschland und Österreich aus. Coop-Chef Hansueli Loosli schätzt, dass der Schweizer Einzelhandel durch den Einkaufstourismus jährlich rund 2 Milliarden Franken verliert.
Zudem beschränkt sich diese Art des Tourismus nicht auf die in Supermärkten erhältlichen Waren: «Der Anteil der Direktimporte ist bei den Neuwagen in diesem Jahr auf 6% gestiegen. Im vergangenen Jahr lag die Quote bei 3,5%», sagte Andreas Burgener, Direktor der Automobil-Importeur-Vereinigung Auto Schweiz, in der NZZ am Sonntag.
«Wir wollen nicht, dass die Preise extrem schwanken. Die aktuelle Situation zeigt aber, dass die Konsumenten auch mobil sind und so vom günstigen Wechselkurs profitieren können», sagt Matthieu Fleury. «Daher sollten sich die Akteure der Schweizer Wirtschaft beeilen, die Kursdifferenz auf ihre Produkte weiterzugeben.»
An seiner Sitzung vom letzten Mittwoch hat sich der Bundesrat erneut gegen Massnahmen zur Unterstützung der Schweizer Wirtschaft angesichts des starken Frankens ausgesprochen. Der konjunkturelle Rahmen sei nach wie vor positiv, einerseits dank der starken inländischen Konjunktur, andererseits wegen des starken Wachstums in Deutschland und in Asien, heisst es in der Medienmitteilung der Landesregierung.
Das Wachstum des Bruttoinland-Produkts (BIP) und das Auftragsvolumen seien immer noch hoch, und die Arbeitslosigkeit sei auf tiefem Niveau. Dennoch seien in einigen Sektoren der Exportindustrie die ersten Schrumpfungs-Anzeichen und starker Druck auf die Gewinne erkennbar.
Gegenmassnahmen zum starken Franken bezeichnet der Bundesrat als «ineffizient und kontraproduktiv». Dies gelte namentlich für diverse Massnahmen, die in letzter Zeit von linken Parteien, von der Exportwirtschaft und vom Tourismus gefordert wurden, etwa Kapitalverkehrs-Kontrollen, Negativzinsen, eine vorübergehende Senkung des Mehrwertsteuersatzes für die Hotellerie oder die Exportindustrie sowie protektionistische Massnahmen im öffentlichen Beschaffungswesen.
Die Landesregierung ist der Ansicht, die wirksamsten Mittel gegen die Währungs-Schwankungen lägen in der Geldpolitik, die in der Kompetenz der Schweizerischen Nationalbank liege.
(Übertragen aus dem Italienischen: Christian Raaflaub)
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch