Kontroverse um türkischen Staudamm fordert Schweiz
Nächste Woche reist eine Schweizer Delegation in die Türkei. Die Schweizer Regierung will entscheiden, ob sie ein umstrittenes Dammprojekt unterstützen will.
Beamte des Büros für die Exportrisikogarantie wollen Auswirkungen auf Umwelt und Bewohner prüfen, bevor sie Schweizer Unternehmen 310 Mio. Franken Garantie für die Teilnahme am Bau des Ilisu-Staudammes sprechen.
Das Staatsekretariat für Wirtschaft (seco) will im September entscheiden, ob den Firmen Alstom, Officine idroelettriche Maggia und Stucky und Colenco eine Exportrisikogarantie (ERG) gewährt werden kann. Aufgrund der Empfehlung des seco wird der Bundesrat, die Schweizer Regierung, dann definitiv über den ERG-Antrag der Firmen entscheiden.
Der geplante Staudamm hat kontroverse Reaktionen ausgelöst, denn er wird ein Gebiet von mehr als 300 Quadratkilometern überschwemmen. Rund 55’000 Menschen – hautsächlich Kurden im südöstlichen Anatolien – müssen umgesiedelt werden.
Umweltgruppen sagen, dass damit grosser Schaden an der Natur entstehe. Andere wiederum befürchten einen Streit mit den Nachbarländern der Türkei, Iran und Syrien, über die Kontrolle des Wassers.
Komplizierte Sachlage
«Der Besuch ist Teil eines Einschätzungsprozesses. Wir wollen schauen, ob der Damm die internationalen Standards und Vorgaben erfüllt. Dazu wollen wir Auskunft von den türkischen Behörden über alle hängigen Fragen», sagt seco-Sprecher Eric Scheidegger gegenüber swissinfo.
«Die offenen Fragen sind schwerwiegend, aber es wird keine schwarzen oder weissen Antworten geben, da die Sachlage sehr kompliziert ist. Wir müssen die ökologischen, humanitären und wirtschaftlichen Fragen gegeneinander abwägen.»
2002 ist das Projekt wegen ökologischer und sozialer Bedenken bereits einmal gescheitert.
Deshalb berührt die Angelegenheit auch jenes Konsortium, das sich 2002 aus der Finanzierung des Projektes zurückzog. Darunter auch die grösste Schweizer Bank, die UBS. Drei Jahre zuvor hatte die Regierung eine Garantie von 470 Mio. Franken gewährt, die dann hinfällig wurde.
Neues Konsortium
Das neue, heutige Konsortium, dem auch deutsche und österreichische Gesellschaften angehören, warte auf die Antwort der Schweizer Regierung. Diese hänge aber auch von den Meinungen der Beteiligten aus den beiden Ländern ab, sagt Scheidegger.
Auch Alstom-Chef Daniel Schafer sagt, dass seine Beteiligung am Ilisu-Staudamm davon abhänge, ob eine Exportrisikogarantie gesprochen werde.
«Ohne ERG wird die Finanzierung nicht zu Stande kommen, und das Konsortium wird sich an diesem Projekt nicht beteiligen können. Die türkischen Behörden werden sich nach neuen Partnern umsehen», sagt Schafer gegenüber dem Berner Bund.
Die Türkei machte mit einer Grundsteinlegung vor einer Woche klar, dass sie den Damm bauen wird. Dabei wurde gesagt, dass die Regierung 800 Mio. Dollar bereitstellen werde, damit die Menschen rund um die Stadt Hasankeyf das Gebiet an einem neuen Ort wieder besiedeln können.
EvB kritisiert Regierung
Doch die Schweizer Umweltorganisation Erklärung von Bern (EvB) sagt, dass das alles noch nicht reiche, um den Leuten zu ermöglichen, ihr verlorenes Land zu kompensieren und ihre Wohnstätten wieder aufzubauen.
EvB-Sprecherin Christine Eberlein glaubt, die Schweizer Regierung lasse sich bei ihrer Entscheidung davon beeinflussen, die guten Beziehungen mit der Türkei nicht zu beschädigen.
«Die Schweiz will keine falschen Signale an die türkische Regierung aussenden. Aber gerade die Türkei hat das gegenüber der Schweizer Regierung bereits getan. Es gibt also für die Schweiz keinen Grund, nicht dasselbe zu tun», sagt Eberlein gegenüber swissinfo.
«Die Schweizer Firmen werden sich nicht aus dem Projekt zurückziehen, wenn sie keine ERG erhalten – denn sie brauchen dieses Geschäft.»
swissinfo, Matthew Allen
(Übertragung aus dem Englischen: Urs Maurer)
Der Ilisu-Staudamm ist Teil eines grossen Projektes zur Elektrizitätsgewinnung, das die Türkei 1991 in Angriff nahm.
Geplant sind 22 Dämme und 19 Kraftwerke an den Flüssen Euphrat und Tigris.
Der Ilisu-Damm wird 135 Meter hoch und 1820 Meter lang. Der Stausee wird 10,4 Mrd. Kubikmeter Wasser fassen.
Die ERG wurde 1934 gegründet; sie ist heute in mehr als 150 Staaten tätig.
Schweizer Exporteure können sich bei der ERG gegen Exportrisiken versichern, die private Versicherer kaum oder nur selektiv anbieten.
Im September 2004 hat die Regierung die ERG revidiert und auf private Geschäfte ausgeweitet.
Die ERG hatte in den 1990er-Jahren punktuell auch Schweizer Exportlieferungen versichert, die ökologisch und sozial umstritten waren.
Dazu gehörten die Grossstaudamm-Projekte in China (Dreischluchten) und in der Türkei (Ilisu).
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