Krieg um Fernsehen ab Steckdose
Die Aussichten auf den lukrativen Markt des digitalen Fernsehens hat bei den führenden Schweizer Telekom-Anbietern einen harten Kampf ausgelöst.
Swisscom lancierte vergangene Woche ein neues Harddisk-Aufnahmegerät – als ersten Schritt für die Einführung des Breitband-Fernsehens.
Die Swisscom, immer noch mehrheitlich im Besitz des Bundes, gehört zu jenen europäischen Telekom-Unternehmen, die ebenso stark ins Fernsehen investieren wie in ihre klassischen Bereiche Voice-Telefonie oder Breitband-Zugang zum Internet.
Jetzt versucht die Swisscom mit dem Bluewin TV 300, einem Aufnahmegerät mit Festplatte, ihrer Konkurrenz Cablecom Kunden abzujagen. Mit dem Gerät soll es möglich sein, alle TV-Sendungen via Breitband-Technologie aufzunehmen.
Cablecom stellt sich auf die Hinterbeine
Doch Konkurrentin Cablecom, schweizweit die grösste Kabelnetz-Betreiberin, schlägt zurück: Sie biete eine ähnliche Aufnahmefunktion an, zwar nur für herkömmliche Videorecorder, das aber dafür seit mehr als einem Jahr.
Cablecom-Sprecher kritisieren die Swisscom ausserdem, sie wolle mit dem neuen Angebot auf Cablecoms bestehender Breitband-Kabelinfrastruktur Trittbrett fahren. Denn in der Schweiz empfängt ein Grossteil der Fernseh-Zuschauer ihre Programme über das Kabelnetzwerk der Cablecom.
Swisscom hingegen war hauptsächlich ein Telekom-Anbieter und hatte mit TV bisher nichts am Hut. Umgekehrt durfte die Cablecom erst mit der Liberalisierung des Telekom-Marktes vor einigen Jahren ihr Kabel-Netzwerk über die TV-Übertragung hinaus auch fürs Internet-Angebot öffnen (Kabel-Internet).
Retourkutsche für Vorwürfe rund um «letzte Meile»
Die Auseinandersetzung verläuft parallel zum langjährigen politischen Disput, ob ausser der Swisscom auch andere Telekom-Wettbewerber den direkten Anschluss an die Haushalte, die so genannte letzte Meile, erhalten.
Diesen schirmt die Swisscom bisher erfolgreich nur für sich ab – auf Haushaltanschlüsse hat niemand sonst Zugang, und die Swisscom verlangt dafür als Monopolistin eine monatliche Anschlussgebühr.
Telekom-Analysten vermuten ausserdem, dass es bei der jüngsten Auseinandersetzung um eine noch tiefer liegende Frage geht: Ist die Swisscom wirklich im Stande, ihr lang angekündigtes TV ab Steckdose zu lancieren, und das wie angekündigt noch in diesem Jahr?
«Das Bluewin TV 300 ist ein digitales Video-Aufnahmegerät mit einem elektronischen Programm», erklärt Barry Ehrlich, Helvea-Analyst, gegenüber swissinfo. «Es handelt sich wirklich um nichts anderes als um eine Schachtel, die aufnimmt, was an Sendungen übers Kabel reinkommt.»
Aufnahmegerät nimmt Sendung, nicht Zeit auf
Der grosse Unterschied zum üblichen Video-Aufnahmegerät, das man überall kaufen und selbst zu Hause anschliessen kann, besteht darin, dass gewünschte Sendungen aufgenommen werden und nicht bestimmte Zeiten (zwischen denen die Sendungen laufen), präzisiert Ehrlich.
Denn Bluewin TV 300 ist integriert mit einem elektronischen Programmführer. «Das führt zu mehr Komfort, denn damit werden auch verspätete Sendungen aufgenommen.» Auch Werbe-Slots können auf diese Weise umgangen werden.
Im Westen nichts Neues
In anderen Ländern gibt es diesen Dienst bereits. In England zum Beispiel haben sich bereits eine halbe Million Konsumenten Sky Plus angeschlossen, das es schon seit zwei Jahren gibt.
«Im Unterschied dazu offeriert Swisscom ihr Bluewin TV 300 als Mietgerät, für das man monatlich eine Gebühr zahlt», sagt Ehrlich. «Der Kunde muss so nicht für Hardware zahlen.»
«Das Angebot der Swisscom kommt deshalb viel schöner verpackt daher», findet Ehrlich. Was ihm hingegen unklar bleibt, ist der Umstand, weshalb die Swisscom ihren ersten Schritt in Richtung Digitalfernsehen ausgerechnet über das Kabelnetzwerk ihres Konkurrenten Cablecom abwickelt anstatt direkt über ihren eigenen ADSL-Breitband-Zugang.
Mutmassungen über Verzögerungen
Er vermutet, dass es mit dem ADSL-Internet-Zugang Verzögerungen geben könnte. Es sei aber auch denkbar, dass Swisscom einfach keine Chance vertun will, um Kundschaft anzuziehen.
Cablecom hält demgegenüber fest, dass sie bereits seit letztem Jahr ein integriertes Angebot übers Breitband-Kabelnetzwerk hat, das Fernsehen, Internet und Telefonie umfasst. Nun werde in den kommenden Monaten ein vollumfängliches Angebot an TV-Programmen neu auch im digitalen Format erhältlich sein.
Die Swisscom versucht nun mit Bluewin TV 300 der Cablecom die Breitband-Kundschaft abzujagen. Derweil hat die Cablecom schon vorher versucht, der Swisscom ihre Kern-Kundschaft in der Telefonie abzuwerben.
Alles dreht sich um Konvergenz
Barry Ehrlich schätzt, dass die Ex-Monopolistin «wahrscheinlich eines der ersten Unternehmen weltweit sein wird, wenn es um das Angebot von TV übers Internet geht».
Swisscom hat letztes Jahr auch ein Joint Venture mit dem Softwareriesen Microsoft angekündet. Sie will Schritt für Schritt ihre so genannte Dreifach-Strategie durchsetzen. Dies bedeutet, dass Telefonie, Internet und Fernsehen «ab derselben Steckdose» kommen (Konvergenz).
Auf die Lancierung des Bluewin TV 300 folgt eine dreimonatige Testphase. Im April plant Swisscom, ein Telefon-Angebot über ADSL zu lancieren, noch bevor sie später dieses Jahr das volle TV-Angebot via ADSL ermöglichen will.
Swisscom bietet kleineren Kabelnetz-Betreibern auch eine Datenübertragungs-Leitung an. Dies ermöglicht ihnen den Zugang zu einer zusätzlichen Kundschaft, die sie sonst nicht erreichen könnten.
Denn Cablecom ist zwar der grösste, aber nicht der einzige Kabelnetz-Betreiber in der Schweiz. Die meisten von ihnen operieren aber nur auf regionaler Basis, verfügen also über ein ähnliches Angebot, beschränken dies aber auf einen viel kleineren Raum.
swissinfo und Agenturen
Swisscom wie Cablecom sind beide Anbieter von Breitband-Internet-Diensten (Kabel, ADSL).
Sie streben die so genannte Konvergenz an, also den «Bezug» von Telefonie, Internet und TV ab der Steckdose.
Die Swisscom will ihrer Konkurrentin TV-Kunden abjagen, umgekehrt hat es die Cablecom auf Telefonkunden der Swisscom abgesehen.
Bluewin TV 300 besteht aus einer gemieteten digitalen Aufnahme-Box und einem elektronischen Fernseh-Programm.
Swisscom hat ihr Breitband-TV ab Steckdose für den Verlauf dieses Jahres angekündigt.
Beobachter gehen davon aus, dass das erste Swisscom-Gerät noch Kinderkrankheiten aufweise.
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