Kriegsmaterial-Exportverbot träfe Ruag und Thun
Bis zu 2000 Arbeitsplätze und die Sicherheit der Schweiz: Dies stünde laut dem Schweizer Industriekonzern Ruag bei einem Ja zur Volksinitiative "Für ein Verbot von Kriegsmaterial-Exporten" auf dem Spiel.
«Die Auswirkungen der Initiative wären für die Ruag sehr drastisch, wenn nicht verheerend», sagte Unternehmensleiter Lukas Braunschweiler.
In den letzten zehn Jahren hat sich die Ruag vom reinen Rüstungskonzern zur Industrieholding gewandelt. Rund die Hälfte des Umsatzes stammt mittlerweile aus dem zivilen Geschäft.
Trotzdem müsste das Unternehmen bei einem Ja am 29. November zum Begehren der Gruppe Schweiz ohne Armee (GSoA) rund die Hälfte seiner 4000 Mitarbeitenden in der Schweiz entlassen, so Braunschweiler. Allein am Hauptsitz Thun sowie an weiteren Standorten im Berner Oberland gingen laut Ruag 900 Stellen verloren.
Sozialdemokrat für Nein
Obwohl Sozialdemokrat, plädiert Thuns Stadtpräsident Hansueli von Allmen entgegen der Parole seiner Partei für ein Nein zum geforderten Exportverbot für Kriegsmaterial. Betroffen wären nicht nur 900 Angestellte, sondern auch deren Angehörige und Familien, «also nochmals viele Hundert Menschen in unserer Region», begründet von Allmen.
Er rechnet auch nicht mit Beiträgen, mit denen der Bund den Strukturwandel in den betroffenen Regionen unterstützen soll, wie dies der Initiativtext für eine Dauer von zehn Jahren vorsieht.
Beim grossen Stellenabbau der Armee in den 1990er-Jahren, von dem die Stadt Thun besonders stark betroffen war, sei wider alle Versprechungen keine Unterstützung aus Bern gekommen, ausgenommen vom Militärdepartement (VBS) selber, sagte der Stadtpräsident.
Garagendienst
Über den möglichen Stellenabbau hinaus geht es laut Braunschweiler um die Sicherheit und Unabhängigkeit der Schweiz. Dazu leiste die die Ruag einen namhaften Beitrag, als technisches Kompetenzzentrum mit starker internationaler Vernetzung und als Technologiepartner der Schweizer Armee.
«Würden wir den internationalen Zugang und die Netzwerke mit unseren Partnerindustrien im Ausland verlieren, könnten wir auch den Auftrag der Schweizer Armee nach gewisser technologischer Unabhängigkeit nicht mehr leisten.» Dem Unternehmen bliebe nur noch die Wartung der Armeegeräte.
Kritik an Spende von Links…
Die Argumente des Ruag-Chefs für ein Nein an der Urne werden von niemandem in Frage gestellt. Massive Kritik erntete Braunschweiler dagegen mit einer Spende von 200’000 Franken an die Nein-Kampagne. Federführend sind hier Swissmem, der Verband der Maschinenindustrie sowie Economiesuisse, der Dachverband der Schweizer Wirtschaft.
«Das ist eine Riesensauerei», äusserte sich der Zuger Nationalrat Josef Lang von der Alternativen Liste gegenüber der Presse. Das Problem sei nicht, dass die Ruag ihre Meinung sage. Ein Problem aber hat GSoA-Vertreter Lang mit etwas anderem: Dass ein Unternehmen, das sich eigentlich in der Hand des Schweizer Volkes befindet – der Bund besitzt 100% der Aktien – auch verdeckt in den Abstimmungskampf eingriff.
Lang verlangt, dass das Unternehmen die Spende aus der Abstimmungskasse zurückzieht. Eine Forderung, der die Ruag-Spitze nicht nachkommen will. «Weil die Initiative die Ruag bedroht, erachte ich 50 Franken pro Mitarbeitenden als fairen Beitrag, um die Arbeitsplätze zu sichern», sagte Braunschweiler gegenüber swissinfo.ch.
Lang will zudem im Parlament einen Vorstoss einreichen, dass sich Braunschweiler vor der Sicherheitspolitischen Kommission erklären muss. Die sozialdemokratische Ratskollegin Evi Allemann aus dem Kanton Bern hat Lang bereits ihre Unterstützung zugesichert.
… und Rechts
Kritik kommt aber nicht nur seitens der Initianten. Auch im Lager der Initiativgegner ist man nicht glücklich über den Beitrag.
«Ein Bundesbetrieb hat in einem Abstimmungskampf nichts zu spenden», sagte Nationalrat Christian Miesch von der Schweizerischen Volkspartei (SVP). Rats- und Parteikollege Adrian Amstutz findet: «Die Ruag kämpft für Tausende Arbeitsplätze, aber trotzdem wäre Zurückhaltung angebracht gewesen.» Sowohl Miesch wie Amstutz sind Mitglieder des Co-Präsidium im Gegenkomitee.
«Verständlich, aber problematisch», lautet die Formulierung von Pius Segmüller von den Christlichdemokraten (CVP). Auch der Nationalrat aus Luzern sitzt im Vorstand des Nein-Komitees.
Rechtlich korrekt
Rechtlich ist die Ruag-Zahlung für die Gegenkampagne konform. Das Unternehmen ist zwar zur Gänze in Bundeshand, ist aber privatrechtlich organisiert. Wie viel und für was sie Geld ausgibt, kann die Ruag deshalb allein entscheiden. Lukas Braunschweiler betont zudem, die Spende mit dem Bundesrat abgesprochen zu haben. Diese lehnt wie das Parlament die Initiative ab.
Problematisch ist ein weiterer Umstand: Die PR-Agentur Farner, welche die Nein-Kampagne leitet, liess die Initianten aus der GSoA ausspionieren. Daraus ergibt sich die delikate Situation, dass Spitzeldienste in einem demokratischen Abstimmungskampf mit Mitteln finanziert wurden, die unter anderem von einem Bundesbetrieb stammen.
Renat Künzi, swissinfo.ch, Thun
Beim Bundesbeschluss über die Volksinitiative «Für ein Verbot von Kriegsmaterial-Exporten» handelt es sich um eine Verfassungsänderung.
Eine Annahme der Vorlage durch das Volk setzt deshalb am 29. November ein doppeltes Ja, also die Mehrheit von Volk und Ständen voraus.
Bund und Parlament empfehlen die Initiative zur Ablehnung.
Der Bundesrat geht in seiner Abstimmungsbotschaft von über 10’000 Beschäftigten aus, die von einer Annahme betroffen wären.
Direkt im Rüstungsbereich wären 5100 Menschen betroffen.
Bis zu 5000 Arbeitsplätze wären im zivilen Sektor gefährdet.
In der Schweiz wären 550 Firmen tangiert, darunter vor allem KMU.
Im 1. Halbjahr 2009 sind die Schweizer Kriegsmaterial-Exporte leicht zurückgegangen.
Sie hatten einen Umfang von 331,4 Mio. Franken. Das sind16 Mio. Franken weniger als in der Vorjahresperiode, wie der Statistik der Eidgenössischen Zollverwaltung zu entnehmen ist.
Die Exporte hatten im Jahr 2008 mit Waffen im Wert von 722 Mio. Franken ein Allzeithoch erreicht.
Die Waffenexporte gingen in 72 verschiedene Länder. An der Spitze lag Pakistan mit 110 Mio. Franken.
Im 1. Halbjahr 2009 gehörten Deutschland (62 Mio.), Dänemark (56,5 Mio.) und Saudi-Arabien (34 Mio.) zu den grössten Abnehmern.
In Übereinstimmung mit den JTI-Standards
Einen Überblick über die laufenden Debatten mit unseren Journalisten finden Sie hier. Machen Sie mit!
Wenn Sie eine Debatte über ein in diesem Artikel angesprochenes Thema beginnen oder sachliche Fehler melden möchten, senden Sie uns bitte eine E-Mail an german@swissinfo.ch