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Lehren aus dem Swissair-Debakel

Keystone Archive

Swissair-Grounding: Am 2. Oktober jährte sich die grösste Wirtschaftspleite der modernen Schweiz.

Das ungeordnete Grounding zeigte eine für die Schweiz bisher unbekannte Hilflosigkeit auf dem Balsberg, bei den Banken und auch in Bern auf.

Der Jahrestag des Swissair-Groundings, der 2. Oktober, geht als doppelter Sündenfall in der Annalen der Schweizer Geschichte ein: Erstens als bisher wohl grösster Wirtschaftsfall seit Beginn der modernen Schweiz. Und zweitens als schwarzer Tag für die seit den achziger Jahren gängige Wirtschaftspolitik der Liberalisierung.

Die Regierung musste mit happigen zwei Milliarden Franken aus der Bundeskasse eingreifen – gegen ihre eigenen Grundsätze und in Zeiten, in denen solche Auffanggelder politisch verpönt waren.

Krisen-Management statt Führungs-Kompetenz

Fast ein Jahr danach, diesen September, hat die Geschäftsprüfungs-Kommission (GPK) des Ständerats befunden, der Bund trage für das Ende der Swissair keine Schuld. Doch habe es die Regierung verpasst, frühzeitig Szenarien für den Fall zu entwickeln, dass die SAir Group-Restrukturierung scheitern sollte.

Schon im Frühling 2001 hatte der Bundesrat die dramatische Lage der SAir Group erkannt. Dem Bund attestiert die GPK ein gutes «Krisen-Management» nach dem Grounding und beim Aufbau der neuen Airline «swiss».

Was die Rolle der Grossbanken als Financiers betrifft, stellt der GPK-Bericht ebenfalls klar: «Die Grossbanken haben eine Stilllegung der Swissair-Flotte in Kauf genommen». Dem Swissair-Management wird vorgeworfen, zu lange Beschönigung betrieben zu haben.

Diese Beschönigung, so die GPK, sei auch vom Bundesamt für Zivilluftfahrt (BAZL) nicht durchschaut worden. Zumindest seit dem Inkrafttreten des Bilateralen Luftverkehrs-Abkommens Schweiz – EU ab Juni 2002 sei ein derartiges Versäumnis nicht mehr möglich.

Doch nichts gelernt?

Was die Airline-Aufsicht und Früherkennung betrifft, hat man gemäss GPK also seine Lehren aus dem Oktober-Debakel gezogen. Dem widerspricht jedoch Managementberater und Schweiz-Kommentator Klaus Stöhlker: «Man hat in der Schweiz aus dem Grounding nicht viel gelernt», meint er gegenüber swissinfo. «Es hat ja seither viele weitere kleine Groundings gegeben», wobei sich das Grounding auf die Managementfehler der Unternehmensführungen bezieht.

Mit anderen Worten: Swissair war nur ein erster Schock in einer dramatischen Serie von Wertvernichtung, die seither nicht nur wegen der Börse erfolgt ist: Bei ABB, Zurich Financial Services, Rentenanstalt, Credit Suisse oder Swiss Dairy Food strandeten jeweils ebenfalls viele Aktionäre, zumindest vorläufig.

Überall lässt sich ein grosser Anteil der Schuld dem Börsen- und Konjunkturverlauf zuschieben, aber nicht nur. Überrissene Abgangsgelder für Führungsspitzen, riskante Wachstumsstrategien oder vordergründiges Shareholder-Denken hatten ebenfalls ihren Anteil.

Swissair und Crossair wie Toni und Säntis

Bei der kürzlichen Rettungsaktion von Swiss Dairy Food (SDF) wiederhole die Regierung ihre Fehler, die sie bei der Swissair begangen habe, meint der liberale Wirtschaftsprofessor und ehemalige Landesring-Politiker Franz Jäger gegenüber swissinfo.

Vom Krisenmanagement her mag der Bundesrat heute gewappneter wirken. Doch «80 Millionen Franken Steuergelder in Swiss Dairy Food zu stecken, ist genauso falsch, wie 2 Milliarden in die SAir Group zu investieren.»

Bernhard Lehmann, ETH-Agrarökonom, bringt die Parallele zwischen Luftverkehr und der Milchverarbeitung im Interview mit dem Tages-Anzeiger auf den Punkt: «SDF ist ein Produkt des Zusammenschlusses von Toni und Säntis. Aber man kann ja auch nicht zwei Airlines zuerst fusionieren und danach keine Fluglinie streichen.»

Die «heiligen Schweizer Kühe» waren demnach weniger die Unternehmen an sich als der Umstand, dass man es nicht wagte, Kapazitäten abzubauen.

Endgültige Tragweite noch unklar



Die endgültige Tragweite des Swissair-Debakels ist auch ein Jahr nach dem Grounding nicht abzuschätzen. Das Zusammenspiel zwischen Balsberg und den Banken wurde nie als Glanzleistung erachtet. So war der Bund gezwungen, sich als rettende dritte Kraft einzubringen. «Vieles hängt vom weiteren Fortkommen der Nachfolge-Airline swiss ab», resümiert Franz Jäger.

Etabliert sich swiss als neuer Schweizer Carrier im Markt, dürfte die Schweiz trotz dem Swissair-Konkurs mit einem blauen Auge davonkommen. Müsste jedoch swiss künftig stark zurückkrebsen, Teile ihres Markts, ihrer Kapazitäten oder ihrer Markenidentität aufgeben und weiter auf Subventionen angewiesen bleiben, wären die gemachten Fehler in der Luftfahrtspolitik und im Management zu Zeiten der neunziger Jahre nicht wieder gut zu machen.

swissinfo, Alexander P. Künzle

29. 9. 01: Schuldenberg der SAir: 17 Mrd. Franken
1. 10. 01: UBS und Credit Suisse präsentieren «Phoenix»
2. 10. 01: Die Swissair-Flieger bleiben am Boden.
3. 10. 01: Der Bundesrat bewilligt einen Überbrückungskredit von 450 Mio. Franken
4. 10. 01: Antrag auf Nachlassstundung für die SAir.

Grösster Wirtschaftsfall der modernen Schweiz. Bundesbern als Retter in der Not, entgegen den eigenen Grundsätzen. Die Swissair-Führung beschönigte, die Banken waren sich lange uneinig. Die endgültige Tragweite des Swissair-Konkurses ist noch nicht ersichtlich.

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