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Lektionen in Leadership während Krisenzeiten

Gordon Brown, einer der illustren Gäste am Open Forum des WEF in Davos. Keystone

Das Open Forum in Davos hat am Donnerstag die Verantwortung von Führungspersonen in Zeiten der Krise diskutiert. Währendem man sich einig war, dass dringende und mutige Massnahmen nötig sind, scheint der Weg zum Ziel noch unklar zu sein.

Der Saal der Alpinen Schule ist vollgestopft mit jungen Menschen. Sie sind aus allen möglichen Regionen der Schweiz angereist, aber auch aus fernen Ländern wie den Philippinen und Argentinien.

Alle Augen sind auf die Ehrengäste der ersten Diskussionsrunde des Open Forum gerichtet, besonders auf den ehemaligen britischen Premierminister Gordon Brown und den Ex-Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Jean-Claude Trichet.

Die Finanzkrise und die Staatsverschuldung stellen die führenden Politiker der Welt vor eine harte Probe. Sie werden gezwungen, rasch wichtige Entschiede zu treffen, manchmal auch gegen den Willen der Bevölkerung ihres Landes.

«Wir stehen der schlimmsten Krise seit dem Ersten Weltkrieg gegenüber, deren Folgen nicht einfach abzuschätzen sind», sagt Jean-Claude Trichet. «Das Einzige, was sicher ist: Zum ersten Mal werden wir die Lösungen nicht in den Wirtschaftsbüchern finden. Wir müssen den Mut haben, sie selber zu erfinden und zu Ende zu bringen.»

Die Rolle eines politischen Führers habe sich in den letzten 40 Jahren radikal verändert, sagt Gordon Brown. «Der Druck wird in einer globalisierten Welt immer grösser. Früher konnte es sich ein britischer Premierminister erlauben, Gedichte zu schreiben oder zu schlafen, statt den US-Präsidenten Kennedy zu empfangen. Das würde man heute sicher als unangebracht empfinden.»

Während das Publikum lacht, fährt Brown fort: «Ein politischer Leader muss den Mut haben, noch nie gehörte Vorschläge durchzubringen. Es braucht Weisheit und Demut – Charakteristiken, die in der politischen Welt nicht gerade häufig vorkommen.»

Heute lebe man in einer andauernden Spannung «zwischen der Notwendigkeit, langfristige Strategien zu entwickeln und gleichzeitig in der Innenpolitik sofort reagieren zu können. Und dies macht es noch schwieriger, mutige Lösungen zu finden».

Demokratie im Zentrum

Das Thema ist brandaktuell. Es reicht nur, an die Unzufriedenheit zu denken, welche die harten Massnahmen der Regierung Monti in Italien auslösen. Oder die Vorwürfe an Angela Merkel, sie blockiere die Verhandlungen zur Rettung des Euros.

Während Kritiker aber eine Aushöhlung der Demokratie durch die Wirtschaft anprangern, sieht Trichet das demokratische System als ein Hindernis für jene, welche die Krise bewältigen sollten: «Das Ausmass der Krise ist manchmal für die Bevölkerung nicht wirklich sichtbar, und dann ist es schwierig zu rechtfertigen, dass unpopuläre Massnahmen nötig sind. Dazu braucht es Mut und Weitsicht.»

Würde es also reichen, ein wenig Demokratie zu opfern, um die Krise zu lösen, fragt Moderator Lee Bollinger, Präsident der Columbia Universität. Trichet lehnt diesen Vorschlag ab, unterstreicht aber «die Schwierigkeiten, den Leuten begreiflich zu machen, dass sofort gehandelt werden muss, um noch schlimmere Konsequenzen abzuwenden. Hätte ich nicht bereits 2008 reagiert, wäre die Krise noch schlimmer geworden».

Mut und Überzeugung

Aus dem Publikum meldet sich eine junge Stimme. Sie will wissen, was eine gute Führungsperson ausmacht. Jean-Claude Biver, Verwaltungsrats-Präsident der Firma Hublot und bekannte Persönlichkeit der schweizerischen Uhrenindustrie, antwortet. «Ein Führer muss eine klare Vision, viel Mut und Überzeugung haben. Diese Eigenschaften haben dazu geführt, dass die Schweizer die ersten der Welt waren, die komplett mechanische Uhren produzierten. Vor den Japanern!»

Laut dem ehemaligen israelischen Ministerpräsidenten Ehud Barak zeigt sich die Persönlichkeit eines Leaders am besten gerade in der Zeit einer grossen Krise, wenn man instinktiv handeln müsse, ohne sich dabei grosse Fragen stellen zu können.

Aber wie kann man verhindern, dabei möglichst nicht abzudriften, fragt ein anderer Veranstaltungsteilnehmer. Barak sagt dazu lediglich, die Geschichte habe immer auch «schlechte» Führer hervorgebracht. Zur Verhinderung einer Krise müsse man wachsam sein. Ein konkretes Beispiel? «Der arabische Frühling. Er ist eine ausserordentlich wichtige Bewegung. Aber jetzt, mit dem Auftreten der islamistischen Kräfte, droht eine Einschränkung der Demokratie.»

Die Kräfte bündeln

Starke Männer, mutige Führer, innovative Unternehmer, weitsichtige Politiker… Die Adjektive überhäufen sich im Saal. Aber über die Slogans hinaus scheint das Publikum Garantien zu verlangen für diesen globalen Wandel, für den sich das WEF seit Jahren stark gemacht hat.

Brown gibt einen Hinweis: «Ich glaube, die grosse Herausforderung des Jahres 2012 wird die Rückkehr zu einem politischen System sein, das auf starken Werten basiert. Aber um Erfolg zu haben, braucht es eine weltweite Diskussion über die Werte, die wir verteidigen wollen. Wir müssen die Kräfte bündeln – Politiker, Ökonomen, Unternehmer, Vertreter der Zivilgesellschaft – und uns jedem einzelnen Problem separat stellen, einem nach dem anderen. So könnten wir wenigstens eines der Millenniumsziele erreichen, die wir bis 2015 gesetzt haben.»

Er sei überzeugt, schliesst Brown, «dass die Frauen in den nächsten Jahren eine noch wichtigerer Rolle in der weltweiten Transformation einnehmen werden. Auch wenn ich heute, auf diesem Podium, keine einzige sehe…».

Das World Economic Forum 2012 dauert vom 25. bis 29. Januar.

Das Forum wurde 1971 als «Management Symposium» von Klaus Schwab gegründet, einem in Deutschland geborenen Geschäftsmann.

Seit 1987 nennt es sich World Economic Forum (WEF). Es ist eine nicht profitorientierte Stiftung nach Schweizer Recht. Sie setzt sich für ein Unternehmertum im globalen öffentlichen Interesse ein.

Die von rund tausend Mitgliederfirmen getragene Stiftung hat ihren Sitz in Cologny bei Genf.

Die Organisation sieht sich als Dialog-Plattform zwischen Entscheidungsträgern, als Hilfsinstrument für strategische Entscheide und als Katalysator für verschiedene Initiativen, die den «Zustand der Welt» verbessern wollen.

Das WEF organisiert weltweit Symposien, fördert Initiativen und Arbeitsgruppen, realisiert Studien und schlägt Master-Programme vor. Es führt jährlich eine Anzahl Treffen durch, wobei Davos – immer im Januar – das Flaggschiff ist.

2002 zügelte das WEF für einmal nach New York, aus Solidarität mit der Stadt nach den Terroranschlägen 9/11 im Vorjahr.

Davos hat schon grosse Namen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Show Business angezogen, wie Nelson Mandela, Bill Clinton, Tony Blair, Bono, Angela Merkel, Bill Gates und Sharon Stone.

(Übertragen aus dem Italienischen: Christian Raaflaub und Jean-Michel Berthoud)

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