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Letzte Chance für Freihandelsvertrag

Zahlreiche US-Unternehmen wählen für ihren internationalen oder europäischen Sitz die Schweiz, so eBay in Bern. Keystone Archive

Die Schweiz dürfe die derzeitige Chance für einen Freihandels-Vertrag mit den USA nicht verspielen, warnt die Schweizerisch-Amerikanische Handelskammer.

Die beiden Länder beginnen im Herbst mit ersten Gesprächen. Doch müsste bis Juni 2007 das leidige Protektionismus-Thema gelöst sein.

Martin Naville, Geschäftsleiter der Schweizerisch-Amerikanischen Handelskammer, befürchtet, dass die Schweiz gegenüber der EU ins Hintertreffen gerät, falls sie die gegenwärtige Chance nicht nutzt, um mit den USA einen Freihandels-Vertrag abzuschliessen.

«Die Schweiz figuriert auf der US-Liste für die gegenwärtige Runde an bilaterialen Freihandels-Verträgen, die EU nicht», so Naville. «Die nächste Runde könnte erst in fünf oder sechs Jahren zustande kommen.»

Am besten schon in dieser Runde

«Bis dann könnte die Schweiz zwischen Stuhl und Bank fallen, denn die EU steht bis zu jenem Zeitpunkt wohl auf der Liste, die Schweiz aber nicht.»

Der Schweizer Wirtschaftsminister Joseph Deiss war vor einem Monat nach Washington gereist, um die Vertrags-Verhandlungen ins Rollen zu bringen, nachdem der Bundesrat, die Schweizer Regierung, im Mai grünes Licht dazu gegeben hatte.

Agrarprotektionismus als Hindernis

Experten aus beiden Ländern treffen sich im Herbst. Ende Jahr werde dann entschieden, ob Verhandlungen aufgenommen werden, sagte Deiss nach seiner Reise.

Es wird erwartet, dass die Amerikaner Freihandel auch im Agrarsektor wünschen. Das hiesse, dass die Schweiz ihren Protektionismus für eigene landwirtschaftliche Güter aufgeben und die Grenzen für billige US-Agrarprodukte öffnen müsste.

Dieses heikle Thema liegt auch bei der Welthandels-Organisation (WTO) auf dem Tisch. In der WTO wird um fairere Handelsbedingungen für Agrarprodukte aus der Dritten Welt gestritten.

«Die Amerikaner verstehen nur schlecht, dass so ein Export-Champion wie die Schweiz die Grenzen schliesst, wenn es um Landwirtschaft geht», sagt Naville.

«Und die Landwirtschaft macht inzwischen noch 1,1% des Brutto-Sozialprodukts dieses Landes aus. Die Gewichtung der Argumente ist hier offenbar etwas aus dem Gleichgewicht geraten.»

USA zweitgrösster Handelpartner

Wie wichtig ein Freihandels-Abkommen mit den USA für die Schweiz wäre, zeigt der Umstand, dass die USA hinter Deutschland weiterhin die zweitwichtigste Exportnation für die Schweiz sind. Umgekehrt ist die Schweiz selbst mit Rang 18 für die USA nur ein kleiner Exportmarkt.

Der Handel zwischen der Schweiz und den USA hat 2004 erstmals seit drei Jahren wieder etwas zugelegt. Und der aus Sicht der Schweiz positive Saldo der Handelsbilanz hat mit 8,53 Mrd. Franken den Rekord des Vorjahres wieder gebrochen.

Im Jahr 2004 wurden aus den USA für 5,7 Mrd. Franken Produkte und Dienstleistungen in die Schweiz eingeführt, gegenüber 5,4 Mrd. Franken 2003, wie die Handelskammer am Montag bei der Veröffentlichung ihres Jahrbuchs 2005/2006 mitteilte.

Schweiz: Klein als Abnehmerland…

Aus der Schweiz wurden Güter und Dienstleistungen für 14,2 Mrd. Franken in die USA exportiert, während es im Vorjahr noch 13,8 Mrd. Franken waren (Quelle: Eidg. Zollverwaltung).

Import-, Export- und Handelsbilanz-Zahlen hätten auch im ersten Halbjahr 2005 in eine positive Richtung gezeigt.

…aber gross als Direktinvestor und Standort-Sitz

Bei den gegenseitigen Direktinvestitionen sei die Schweiz aber ein Riese, sagte Naville vor den Medien in Zürich. Auf der Rangliste der ausländischen Direktinvestoren nahm die Schweiz im Jahr 2003 Rang 6 ein.

Mit einem Anteil von 8,2% aller Direktinvestitionen, die in die USA gehen, liegt die Schweiz damit noch vor Kanada.

Ein weiterer Umstand macht die Schweiz für die USA wichtig: Viele US-Unternehmen wählen die Schweiz als Standort für ihren europäischen oder internationalen Hauptsitz. Allein in den letzten eineinhalb Jahren haben Firmen wie Google, eBay, IBM und Microsoft Sitze in der Schweiz eröffnet.

Tourismus: Etwas erholt

Auch der Tourismus hat sich wieder etwas erholt. Nach rückläufigen Jahren besuchten im Jahr 2004 wieder mehr Schweizer Touristen die USA.

Im ersten Quartal erhöhte sich die Zahl der Reisenden um 8,8% und im zweiten Quartal um 19,1%, heisst es im Jahrbuch.

Insgesamt wird die Zahl der Schweizer USA-Reisenden für das letzte Jahr auf 270’000 Personen geschätzt, womit sie immer noch weit unter dem Rekordjahr 1998 liegt, als 410’000 Schweizer die USA bereisten.

Die Schweiz sei deshalb alles andere als ein Zwerg für die USA, sie sei ein wirtschaftlicher Schlüsselpartner, so Naville. «Falls wir Probleme mit den USA erhalten, werden andere Länder sofort in die Lücke springen wollen.»

swissinfo, Matthew Allen und Agenturen
(Übertragung aus dem Englischen: Alexander Künzle)

Ende Jahr wird der Entscheid fällig, ob die Schweiz ein Freihandels-Abkommen mit den USA aushandeln kann.

Falls die Verhandlungen zustande kämen, muss das Abkommen bis Juni 2007 unterzeichnet sein.

Der Überschuss in der Handels- und Dienstleistungsbilanz, den die Schweiz mit den USA ausweist, wuchs von 6,77 Mrd. Franken 2004 auf 8,533 Mrd. Franken 2005.
Mit einem Anteil von 10% sind die USA für die Schweiz der zweitgrösste Exportmarkt überhaupt, nach Deutschland, aber noch vor Frankreich und Italien.

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