Liberalisierung des Binnenmarktes vorantreiben
Die Reformierung der Schweizer Wirtschaft müsse rasch voranschreiten, fordert Nationalbank-Präsident Jean-Pierre Roth. Sonst drohe ein Big Bang bei den Sozialwerken.
Roth kritisiert ferner staatliche Regulierungen und private Preisabsprachen, welche für hohe Preise auf dem Binnenmarkt sorgten.
Die Finanzierbarkeit der Altersvorsorge in der Schweiz sei von einer demographischen Zeitbombe bedroht. Deshalb sei ein höheres Wirtschaftswachstum für die Schweiz eine Notwendigkeit, sagte der Präsident der Schweizerischen Nationalbank (SNB) am Europa Forum in Luzern.
Die Folgen einer auf Verhinderung von Wettbewerb und Strukturerhaltung ausgerichteten Politik wären laut Roth verheerend. Gleichzeitig rief er aber auch zu Augenmass in der Sozialpolitik auf.
Die bisherige Politik könnte leicht in einen Teufelskreis münden, indem verunsicherte Bürger sich gegen alle Veränderungen im ökonomischen Umfeld stemmten und dadurch die Existenz sozialstaatlicher Einrichtungen erst recht gefährdeten. «Eine solche Entwicklung gilt es mit aller Kraft zu verhindern», sagte Roth gemäss Redetext.
Eifer abgeflaut
Der Notenbankchef bedauerte, dass der anfängliche Elan bei der Revitalisierung des Binnenmarkts bereits wieder nachgelassen habe. Er verwies auch auf die ablehnenden Volksentscheide zu verschiedenen Deregulierungs- und Privatisierungsprojekten und vermutete, die Skepsis der Stimmberechtigten sei durch eine Reihe von Negativbeispielen aus dem Ausland genährt worden.
Es lohne sich deshalb, diese Fälle, bei denen die gewünschte Effizienzsteigerung ausgeblieben sei, genau zu studieren. Denn die Privatisierung von staatlichen Unternehmen könne bei wenig durchdachter Umsetzung auch unerwünschte Folgen haben. Dies wiederum führe zu einer Ablehnung des Liberalisierungs-Gedankens an sich.
Roth bekräftigte, dass der Schweizer Binnenmarkt weiter liberalisiert werden müsse. Einem dynamischen und innovativen Exportsektor stehe ein lethargischer und in traditionellen Strukturen verharrender Binnenmarkt gegenüber.
Dickicht von Regulierungen und Absprachen
Er kritisierte das dichte Netz von staatlichen Regulierungen und privaten Absprachen, die hohe Preise bewirkten und den technischen Fortschritt hemmten.
Gefordert sei zudem die Bildungspolitik, die Technologie- und Forschungspolitik, die Ausländerpolitik sowie die Finanzpolitik. Viele Probleme seien erkannt. Doch effektive Massnahmen zur Förderung des Wachstumspotenzials in der Schweiz seien von der Politik eher zögerlich an die Hand genommen worden.
Politik gefordert
Die dringend nötigen Strukturreformen und die Verhinderung eines Big Bang bei der Finanzierung der Sozialwerke lässt sich deshalb nach Darstellung von Roth in einer direkten Demokratie nur dann vermeiden, wenn die Balance zwischen der ökonomischen Notwendigkeit der wachstumsfördernden Strukturreformen und den sozialstaatlichen Einrichtungen gewahrt bleibt.
Gefordert sei vor allem die Politik und nicht die Notenbank. Deren Beitrag beschränke sich auf eine Geldpolitik, welche die Konjunkturerholung unterstütze, ohne dadurch die Preisstabilität zu gefährden, so Roth weiter.
Absage an Euro-Bindung
Er bekräftigte in diesem Zusammenhang, dass eine reine Wechselkurspolitik mit einer Anbindung des Frankens an den Euro für die Schweizer Währungshüter keine Option sei. Denn eine solche Politik wäre mit gravierenden Nachteilen für das Zinsniveau und den Standortvorteil der tiefen Kapitalkosten verbunden. Zudem müssten spekulative Attacken befürchtet werden.
swissinfo und Agenturen
Die Schweizer Wirtschaft wurde in den letzten Jahren liberalisiert.
Monopole wurden aufgebrochen, der Wettbewerb verstärkt (Bspl. Parallelimporte).
In der Landwirtschaft wurden Subventionen durch Direktzahlungen abgelöst.
Das Stimmvolk lehnte die Liberalisierung des Elektrizitätsmarktes ab.
Negatives Beispiele einer Liberalisierung im Ausland: Der Strommarkt in Kalifornien (Black Outs)
Ferner: Die Privatisierung der britischen Eisenbahnen (Sicherheitsdefizite).
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