Lust auf Risiko – mit tödlichen Folgen
Die Zahl der Lawinentoten ist hoch in dieser Saison. Bis heute sind über 20 Personen in den Schneemassen umgekommen. Und der Winter ist noch nicht vorbei.
Die meisten Lawinentoten sind so genannte Freerider, Varianten-Fahrer, die abseits der Pisten fahren. Ihre Risikobereitschaft wird immer grösser. Was tun?
Bis am 25. März sind bereits elf Varianten-Skifahrer und fünf Varianten-Snowboarder abseits der Pisten ums Leben gekommen, zudem 5 Touren-Skifahrer sowie drei Schneeschuhläufer.
Schockiert hat der Tod einer 15-jährigen Schülerin in Hasliberg, im Berner Oberland. Sie war in ungesichertem Gelände mit einer Gruppe unterwegs, die von einem Lehrer angeführt wurde. Die junge Frau kam in einem Schneebrett um, der Lehrer erlitt schwere Verletzungen.
Verführerische Werbung
Die Werbung von Tourismus, Seilbahnen oder Sportartikel-Herstellern hat die Attraktivität von Pulverschnee und wilden Steilhängen längst entdeckt und weckt verführerische Gefühle. Zudem hat sich das Material in den letzten Jahren stark verbessert, und die Pisten in den Skigebieten sind häufig übervölkert.
Für den 18-jährigen Dominique sind das alles Gründe, um die markierten Pisten zu verlassen und im Tiefschnee «Freiraum und Freiheit» zu finden, wie er gegenüber swissinfo sagt. «Es gibt nichts Geileres, als in freier, wilder Natur mit Leib und Seele durch den Tiefschnee zu riden.»
Dominique ist ein sehr guter Snowboarder, doch überschätzen auch viele Profifahrer ihre Fahrkünste und unterschätzen gleichzeitig die Natur. Dabei werde heute extrem viel riskiert, sind sich Fachleute einig.
Wenn man einen Blick auf die Werbung der Seilbahnen wirft, stellt sich die Frage, ob damit die Risikobereitschaft der Variantenfahrer nicht noch gefördert wird.
«Das mag seine Wahrheit haben», sagt Felix Maurhofer, Sprecher des Verbandes der Schweizer Seilbahnen (SBS), gegenüber swissinfo. «Seit 2002 führen wir aber eine Kampagne zur Verstärkung der Lawinen-Prävention. Wir haben den Seilbahn-Unternehmungen klar Zurückhaltung in der Freeride-Werbung empfohlen.»
Variantenfahrer fordern gesicherte Hänge
Fachleute diskutieren heute darüber, wie man die Variantenfahrer besser von den gefährlichen Hängen abhalten kann. Während Experten vor allem die Lawinenausbildung verbessern wollen und dazu mit der Armee zusammen ein neues Ausbildungsteam gebildet haben, sehen das die Variantenfahrer ganz anders: Sie verlangen von den Seilbahn-Unternehmungen, dass die attraktiven, aber gefährlichen Freeride-Zonen gesichert werden.
«Das ist eine Forderung, die sehr hoch gegriffen und praktisch kaum umsetzbar ist für uns», sagt Maurhofer. «Wir müssten das offene Wintersportgelände nebst den gesicherten Pisten irgendwie vor alpinen Gefahren sichern, was praktisch aber nicht möglich ist.»
Die Forderung kommt laut dem SBS-Sprecher übrigens nicht direkt von der Freerider-Szene, «die ist organisatorisch nicht strukturiert», sondern von Seiten der Pro Rider, der Profi-Fahrer, hinter denen die Herstellerfirmen von Wintersportartikeln stehen.
Präventionsmassnahmen überdenken
Die aktuellen Unfallzahlen, die beängstigend seien, zeigen für Maurhofer klar, «dass man sich überlegen muss, ob die Präventionsmassnahmen, die wir zusammen mit der Schweizerischen Unfallversicherungsanstalt (SUVA) und der Schweizerischen Beratungsstelle für Unfallverhütung (BFU) durchführen, überdenkt werden müssen».
Es sei aber sehr schwierig, im Bereich Freeride-Zonen griffige Massnahmen zu ergreifen, «weil sich ausserhalb der Pisten im offenen Skigelände jeder so bewegen kann wie er will», so Maurhofer. «Wir können lediglich darauf hinweisen, dass es auf eigene Verantwortung geschieht, dass man sich über die dort lauernden Gefahren informieren muss.»
Der SBS hat seine Patrouilleure zu vermehrtem Ordnungsdienst aufgemuntert. Dazu gehört ein rigoroses Eingreifen gegen Leute, die als gesperrt signalisierte Hänge ausserhalb der Pisten befahren, beispielsweise in Wildschutz-Zonen.
Freeriden weiterhin auf eigenes Risiko
Die Bergbahnbetreiber können aber nicht verantwortlich gemacht werden für ein ganzes Gebiet («domaine skiable»), sondern lediglich für die markierten Pisten- und Abfahrtsrouten, und zwar nur für jene, die nicht gesperrt sind. Sie sind lediglich verpflichtet, klar zu markieren, wo die Leute die gesicherten Pisten verlassen.
Die Hänge ausserhalb der markierten Pisten gelten als freies Gelände. Sie dürfen, ausser die so genannten Wildschutz-Zonen, grundsätzlich befahren werden. Wer allerdings abseits der Pisten herumkurvt, haftet zivil- und strafrechtlich selber für allfällige Personen- und Sachschäden – und wird auch in Zukunft auf eigenes Risiko fahren.
swissinfo, Jean-Michel Berthoud
Im Jahr 2003 verunfallten gemäss SUVA-Statistik 28’751 Skifahrer und Skifahrerinnen und 10’823 Snowboarder.
Im Jahr 2003 betrugen die Kosten der Skiunfälle 199,6 Mio. Fr., die Snowboardunfälle 34,6 Mio. Fr.
Rund 40’000 Schneesportunfälle verursachen jährliche Kosten von rund 230 Mio. Fr.
Jährlich ereignen sich in der Schweiz durchschnittlich 150 Lawinenunfälle, rund 25 davon enden tödlich.
Die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) und das Eidgenössische Institut für Schnee- und Lawinenforschung in Davos (SLF) wollen gemeinsam Lawinenunfällen abseits der markierten Pisten vorbeugen. Eine interaktive Lern-CD soll nun zur Prävention beitragen.
Da das Fahren abseits markierter Pisten in den vergangenen Jahren einen eigentlichen Boom erlebt hat, ist es wichtig, auch die Informationen über die Lawinenunfallgefahr zeitgemäss und für alle verständlich zur Verfügung zu stellen.
«White risk» vermittelt das komplexe Thema der Lawinenkunde auf einfache und unterhaltsame Art. Zahlreiche Animationen, Fotos, Filme, Sprechtexte und Übungen veranschaulichen die Sachthemen.
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