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Medikamenten-Preise bröckeln

Über ein Zehntel der Kosten im Gesundheitswesen entfallen auf Medikamente. RTS

Das Bundesamt für Gesundheit hat sich mit der Pharmaindustrie geeinigt, was 250 Mio. Franken Einsparungen für Medikamente bedeutet.

Konsumentenvertreter stimmen zu, klatschen aber keinen Beifall. Denn auch Generika seien noch viel teurer als im Ausland. Es gebe noch mehr Luft im System.

Die Preissenkungen, über die sich die Partner im Gesundheitswesen einig geworden sind, sollen bis Mitte 2006 umgesetzt werden. Vorab werden jene Medikamente billiger, wo die Preisunterschiede gegenüber dem Ausland am grössten sind.

«Alle Preisunterschiede, die in den letzten Monaten für Schlagzeilen sorgten, werden verschwinden», versprach Thomas Cueni, Generalsekretär von Interpharma, vor den Medien in Bern.

Interpharma ist der Verband der forschenden pharmazeutischen Firmen und vertritt die Pharmaindustrie. «Die Preisdifferenzen gegenüber dem Ausland erreichten eine Höhe, die nicht mehr haltbar war», sagt Cueni gegenüber swissinfo.

Doch andererseits drückten die eingesparten 250 Mio. Franken die Produzenten auf die Renditeschwelle.

Auch Thomas Zeltner, Direktor des Bundesamtes für Gesundheit (BAG), freut sich: «Ich habe für einmal gute Nachrichten.» Die Preise würden um mindestens 20%, in manchen Bereichen um 30%, sinken. «Das tut den Konsumenten gut.»

Kriterium: Ablauf des Patents

Die Prämien in der obligatorischen Krankenversicherung würden dadurch mittelfristig «um rund ein Prozent oder vielleicht sogar etwas mehr» sinken, stellt der BAG-Direktor in Aussicht.

Um mehr als 30% sinken auf den 1. April 2006 die Preise jener Originalpräparate, die nach 1990 in die Spezialitätenliste (SL) kamen und deren Patent abgelaufen ist. Die entsprechenden Generika werden ebenfalls billiger; sie müssen mindestens 30% günstiger sein als die Originalpräparate.

«Die Einsparungen hierdurch sollen mindestens 150 Mio. Franken betragen», schätzt Zeltner gegenüber swissinfo. Weitere mindestens 100 Millionen sollen durch eine weitere, auf den 1. Juli 2006 angesetzte Sofortmassnahme eingespart werden.

Um 20% oder mehr sinken die Preise der Originalpräparate, die vor 1990 in die SL aufgenommen wurden. Billiger werden auch hier wiederum die entsprechenden Generika, welche mindestens 15% billiger sein müssen als die Originalpräparate.

Systemanpassungen

Überdies gibt es längerfristige Systemanpassungen, die weitere Preissenkungen zur Folge haben sollen, wie Zeltner ausführte: Neu soll die Überprüfung von Originalprodukten unmittelbar nach Ablauf des Patentes, also bei Erreichen der Generikafähigkeit, erfolgen – und dann nach weiteren 24 Monaten nochmals.

Diese zusätzliche Überprüfung soll es erlauben, den im Ausland stattfindenden Wettbewerb zu berücksichtigen. Die Originalpräparate werden zudem sieben Jahre nach Aufnahme in die SL auf Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit überprüft, wenn Swissmedic eine Ausweitung der Anwendung genehmigt hat.

Ähnliche Einigungen zwischen dem BAG und der Pharmaindustrie hatte es bereits 1998 und 2001 gegeben. Ein Novum sei an der jüngsten die nachträgliche Überprüfung der Preissenkungs-Massnahmen, sagt Zeltner.

Zähneknirschend verhandelt

«Den Pharmafirmen tun diese Massnahmen weh», klagt Thomas Cueni von Interpharma. Man habe «schmerzliche Konzessionen» gemacht.

Billiger würden neben anderen Medikamenten mindestens drei der zehn «Top Ten-Produkte» in der Schweiz, nicht aber die ganz neuen Medikamente unter Patentschutz. Diese seien im Quervergleich mit andern Ländern (Deutschland, Dänemark, Holland, Grossbritannien) auch «nur» 4 bis 10% teurer.

Generika: Ganze Palette betroffen

Bei den Generika-Firmen ist die ganze Produktepalette betroffen. Für sie seien die Massnahmen deshalb besonders schmerzlich, sagte Hans Rudolf Gysin vom Verband Intergenerika.

Sie trügen zu der Einsparung von 250 Mio. 50 Mio. Franken bei, obwohl ihr Marktanteil lediglich 6% ausmache.

Dennoch sei eine Beteiligung an der Vereinbarung unumgänglich gewesen. Diese bringe dafür Rechtssicherheit und Planbarkeit. Der politische Druck sei gross, darum habe man mitgemacht, sagt Walter Hölzle von der Vereinigung Pharmafirmen Schweiz (vips). Allerdings: «Dies ist schmerzlich und schlägt direkt auf den Gewinn.»

Erfreulich, aber noch ungenügend

Preisüberwacher und Interessenverbände sehen noch mehr Spielraum in der Preissenkung. Die Preissenkungen auf den Medikamenten sind beim Preisüberwacher und den Interessenverbänden auf Zustimmung, nicht aber auf Begeisterung gestossen.

Es sei noch viel mehr Luft im System, kritisierten sie am Dienstag unisono. Das Paket zur Preissenkung sei ein längst fälliger Schritt in die richtige Richtung, sagte Jacqueline Bachmann von der Stiftung für Konsumentenschutz.

Dies sieht auch Preisüberwacher Rudolf Strahm so. Die Preise von Generika seien derzeit im Schnitt 89% höher als in Deutschland.

Direktimport

Strahm ist mit dem neuen Massnahmenpaket nur halb zufrieden. Insbesondere fordert er, dass Medikamente mit abgelaufenem Patenschutz von Spitälern, Apotheken und Ärzten direkt importiert werden können.

Ähnlich lautet der Kommentar von santesuisse, dem Dachverband der Krankenkassen. Zentral sei die Überprüfung der Massnahmen. So könne es nicht sein, dass Medikamente, bei welchen die Preise gesenkt würden, später vom Markt verschwänden und durch neue, teurere Präparate ersetzt würden.

Santesuisse und Konsumentenschützer verlangen zudem Anpassungen beim Länderkorb, mit dem die Preisunterschiede zwischen der Schweiz und dem Ausland gemessen werden. Italien oder Frankreich hätten tiefere Pharmapreise.

swissinfo und Agenturen

Die Gesundheitskosten in der Schweiz beliefen sich 2003 auf knapp 50 Mrd. Franken.
Dies entspricht einem Anteil von 11,5% des Bruttoinlandprodukts (BIP).
Im internationalen Vergleich wird dieser hohe Wert nur noch in den USA überboten, mit einem Anteil von 15% am BIP.
Die Kosten für Medikamente machen 10,5% respektive 5,2 Mrd. Franken aus.
2002 gaben die Schweizer pro Kopf durchschnittlich 450 Franken für Medikamente aus.
2004 erreichte die Schweizer Pharmaindustrie einen Umsatz von rund 4 Mrd. Franken, 4,3% mehr als im Vorjahr.
Im früheren Jahren fiel das Wachstum noch höher aus.

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