Menschenrechte auf Agenda von Medwedews Besuch
Am Montagmittag ist Dmitri Medwedew zu einem zweitägigen Besuch in der Schweiz eingetroffen. Es ist der erste offizielle Staatsbesuch eines russischen Staatsoberhaupts, seit die Schweiz vor bald 200 Jahren in Petersburg ihr Konsulat eröffnete.
Die Gespräche des zweitägigen Besuchs werden die bilateralen Beziehungen umfassen, die Situation nach der Finanzkrise, die G20-Reformen, der Georgien-Konflikt – und die Menschenrechte.
Nach der Willkommens-Zeremonie am Flughafen Zürich werden in Bern Gespräche zwischen der russischen und schweizerischen Delegation stattfinden, angeführt von Medwedew und Bundespräsident Hans-Rudolf Merz.
Die Schweiz hofft, dass der Besuch Medwedews der Zusammenarbeit mit diesem wichtigen Partner Auftrieb geben wird.
«Die Schweiz bemüht sich darum, sich ein zeitgemässes Bild von Russland zu machen und nicht in die Stereotypen des Kalten Krieges zurück zu fallen», sagte Staatsekretär Michael Ambühl gegenüber swissinfo.ch.
«Strategisch wichtiges Land»
Laut Bundespräsident Merz gibt es für einen Besuch von Medwedew mehrere Gründe: «Russland ist ein strategisch wichtiges Land. Energiefragen rund um Erdöl und Erdgas sind zentrale Faktoren. Wir müssen unsere Beziehungen zu Russland deshalb pflegen», so Merz gegenüber der Westschweizer Tageszeitung Le Temps.
Merz nannte im weiteren auch Fragen der europäischen Sicherheit, die angesprochen werden.
Ausserdem nimmt die Schweiz im Kaukasus eine Vermittlerrolle wahr: Sie vertritt zur Zeit die Interessen Georgiens in Russland und umgekehrt.
Seit 2007 regelt eine Kooperationsvereinbarung (Memorandum of Understanding) die Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern in 20 verschiedenen Bereichen wie der Wirtschaft, dem Luftverkehr, Justiz- und Sicherheitswesen oder Kultur.
Im Zentrum liegt der institutionalisierte Gedankenaustausch zwischen Experten. 2009 fanden verschiedene solche Diskussionen statt.
Wirtschaftspartner
Das rohstoffreiche Russland ist ein wichtiger Handelspartner für die Schweiz. Die Schweiz hat seit dem Jahr 2000 ihre Exporte vervierfacht. 2008 erreichten sie die 3-Milliarden-Franken-Schwelle. Importiert wurde für eine Milliarde.
Ein Schlüssel-Traktandum im finanziellen Bereich wird das Doppelbesteuerungs-Abkommen (DBA) sein: Gegenüber Le Temps stellte Merz in Aussicht, dass im Rahmen des Staatsbesuchs von Medwedew Russland zu dem Kreis der Länder mit neuem DBA stossen wird. Russland figuriere unter den 30 Staaten, die bei der Schweiz um ein neues DBA angefragt hätten.
Damit würde Russland der Schweiz helfen, von der «Grauen OECD-Liste» der Steueroasen gestrichen zu werden.
Die beiden Staatsoberhäupter werden auch über die G20-Reformen sprechen. Russland ist G20-Mitglied, die Schweiz nicht.
«Jedes Staatsoberhaupt, das ich gefragt habe, bestätigte mir, dass es gut wäre, wenn die Schweiz auch zu den G20 stossen würde», so Merz gegenüber der Tageszeitung, «aber passiert ist nichts. «Dennoch glaube ich, dass sich die Dinge langsam ändern. Die G20 wird vergrössert und damit auch erneuert.»
Schliesslich wird auch die Frage der Mitgliedschaft Russlands in der Welthandelsorganisation (WTO) auf den Tisch kommen.
«Die Schweiz steht diesem Anliegen positiv gegenüber. Russland hat seine gesetzlichen und wirtschaftlichen Bedingungen verbessert. Es wäre weise, wenn das Land die freie Marktwirtschaft zuliesse. Wir werden deshalb auch über ein mögliches Freihandels-Abkommen sprechen», so Merz.
Menschenrechtsfrage
Menschenrechts-Organisationen haben darauf bestanden, dass Merz mit Medwedew auch klar und deutlich über die Menschenrechts-Probleme in seinem Land sprechen soll.
In den vergangenen 15 Jahren wurden laut Mitteilung von Amnesty International (AI) über 300 Medienschaffende in Russland getötet. «Die Schweizer Regierung sollte die Übergriffe auf Medienschaffende und Menschenrechts-Aktivisten in Russland verurteilen», liess AI am Freitag verlauten.
Ebenso müsse auch die in Russland verbreitete Straflosigkeit und die Blockierung der Reform des europäischen Menschenrechts-Gerichtshof angesprochen werden.
Merz plant, diese Reform anzusprechen, da es sich um eine der Schweizer Prioritäten handle. Im November wird die Schweiz die halbjährliche Präsidentschaft des europäischen Menschenrechts-Gerichtshofs übernehmen.
«Fragen statt Anschuldigungen»
Der Gerichtshof bemüht sich zur Zeit, seinen Arbeitsüberhang an Klagen abzubauen, der sich mit dem Beitritt von Russland, der Ukraine und Rumänien angehäuft habe. Die Reform von 2004, «Protokoll 14» der Europäischen Menschenrechts-Konvention genannt, wäre dringend vonnöten, um die Streitfälle zu vereinfachen und schneller zu erledigen.
Ausser Russland haben alle Mitglieder dieses Protokoll anerkannt. Die Duma, das russische Parlament, glaubt, es könnte diskriminatorisch gegen Russland verwendet werden.
Merz sagt, er werde diese Verstösse gegen die Menschenrechte in Russland und der Kaukasusregion aufs Tapet bringen. «Die Schweiz ist als Depositar-Staat der Genfer Konvention und Gründerin des Roten Kreuzes dazu verpflichtet.»
Doch, so Merz gegenüber Le Temps, werde dies in Form von Fragen und nicht von Anschuldigungen geschehen.
Simon Bradley, swissinfo.ch und Agenturen
(Übertragung aus dem Englischen: Alexander Künzle)
Dmitri Medwedews Staatsbesuch ist für den 21. Und 22. September geplant.
Medwedew wird wie bei einem Staatsbesuch üblich mit allen sieben Mitgliedern der Schweizer Regierung zusammentreffen. Traktandiert sind auch Treffen mit Vertretern der Schweizer Wirtschaft.
Daneben besucht Medwedew die Suworow-Gedenkstätte im Kanton Uri, die an die legendäre Überschreitung der Alpen 1799 durch den berühmten russischen General und seiner Soldaten erinnert.
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