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Mit roten Zahlen die Zukunft meistern

Der Güterverkehr fährt im roten Bereich. The Swiss Federal Railways looks set to make losses for the next few years (SBB)

Erstmals seit ihrer Umwandlung in eine Aktiengesellschaft 1999 haben die SBB rote Zahlen geschrieben. Verluste sind auch für die nächsten 14 Jahre angesagt.

swissinfo sprach mit Konzernchef Benedikt Weibel über die Herausforderungen der Bahn in finanziell schwierigen Zeiten.

swissinfo: Wegen ungenügender Deckung ihrer Pensionskasse müssen die SBB über Jahre Rückstellungen tätigen. Was sind die Konsequenzen?

Benedikt Weibel: Wir werden auf Jahre hinaus nur noch Verluste schreiben. Wir müssen in den nächsten 14 Jahren jährliche Rückstellungen von 145 Mio. Franken vornehmen.

Dies wird Auswirkungen aufs Eigenkapital haben. Deshalb wird sich der Bund als Eigentümer mit dieser Situation auseinander setzen müssen. Ohne Lösung des Pensionskassen-Problems haben die SBB kaum eine Chance, schwarze Zahlen zu schreiben.

Wie wollen Sie das Problem lösen?

B.W.: Die Krux des Problems liegt ja darin, dass wir mit den Altrentnern einen riesigen Bestand an Rentenbezügern haben, die wir als ehemalige Bundesbeamte gesetzlich gleich behandeln müssen, wie die Beamten des Bundes.

Für uns liegt es auf der Hand, dass diese Verantwortung gebündelt wird und der Bund die Verantwortung für diese ehemaligen Bundesbeamten wahrnimmt.

Der Haken ist natürlich, dass der Bund nicht nur mit uns ein Problem hat, sondern auch mit sich selber, der Post, der Swisscom, der Ruag. Diese Geschichte hat eine gigantische Dimension.

Mit der Bahnreform 1999 wurde die Liberalisierung des Schienenverkehrs in der Schweiz eingeleitet. Wie sehen die nächsten Schritte aus? Wird auch der Personenverkehr liberalisiert?

B.W.: Der Güterverkehr ist vollständig liberalisiert. Eine lizenzierte Unternehmung kann auf dem Schweizer Bahnnetz gegen eine Gebühr einen Güterzug fahren lassen.

Beim Personenverkehr ist das ganz anders. Es ist undenkbar, dass ein Transport-Unternehmen kommt und einfach die Strecke Bern-Zürich bedient.

Der Personenverkehr lebt von den Anschlüssen und vom Gesamtsystem. Deshalb ist es die Haltung der EU, dass bei regionalen Linien eine Verpflichtung zur Ausschreibung besteht. Diese werden in längerfristigen Verträgen von sieben bis zehn Jahren an den besten Anbieter vergeben. Der Wettbewerb findet also nur während der Ausschreibung statt.

Im Personen-Fernverkehr läuft die Diskussion in der EU jetzt erst an. Da muss man sehr differenzieren nach der Struktur der Netze. In Frankreich könnte ich mir vorstellen, dass man die Netze Südwest oder Atlantique ausschreibt, die beide nicht mit Paris vernetzt sind. In der Schweiz ist das aber undenkbar. Hier müsste der gesamte nationale Personenverkehr ausgeschrieben werden, und das wäre ein Witz.

Wie sehen die ersten Erfahrungen mit der Liberalisierung im Güterverkehr aus?

B.W.: Die Konkurrenz findet statt. Die SBB sind im internationalen Kontext eine kleine Nummer und im Vergleich mit der Deutschen Bahn (DB) auch sehr finanzschwach. Die DB arbeitet jetzt mit der BLS zusammen, da müssen wir schon sehr gut sein, dass wir dieser Finanzmacht widerstehen können.

Der Güterverkehr wächst in ganz Europa enorm, doch den Bahnen gelingt es nicht, diesen Mehrverkehr auf die Schiene zu bringen. Wo liegt das Problem?

B.W.: Das Problem ist ganz einfach, dass wir die Präzision und Qualität nicht hinkriegen. Wenn der Kunde die Ware dann bekommt, wenn er sie erwartet, dann ist er zufrieden, und wir haben die optimale Produktion. Doch heute prägen Verspätungen das Bild.

Entscheidend für die SBB ist der alpenquerende Güterverkehr. Wie sieht es da aus?

B.W.: Wir haben eine gute Position. Es wird aber verlangt, dass wir die Probleme an der Südgrenze lösen, das ist ein Flaschenhals.

Die Qualität ist ungenügend, die Züge stehen zu lange an der Grenze, und die Pünktlichkeit in diesem internationalen Geschäft ist unbefriedigend. Wenn wir das nicht in den Griff bekommen, haben wir keine Chance.

Wir haben deshalb beschlossen, in Norditalien eine eigene Firma aufzubauen, um die ganze Transportkette selber in der Hand zu haben. Swiss Rail Cargo Italy startet am 15. Dezember 2003. Die Erfahrungen, die wir nördlich der Schweiz seit Juni 2002 mit der Tochtergesellschaft Swiss Rail Cargo Köln sammeln konnten, stimmen uns zuversichtlich.

Die Probleme in Norditalien liegen doch vor allem im Infrastrukturbereich. Wie wollen Sie diese in den Griff bekommen?

B.W.: Das ist richtig. Wir waren letztes Jahr gleich mehrmals von einschneidenden Betriebsunterbrüchen betroffen. Doch sind wir hier machtlos, wir haben in Italien absolut keine Handlungsmöglichkeiten. Wir können nur auf die Professionalität unserer Kollegen hoffen.

Am 5. Mai soll endlich der Monte-Olimpino -II-Tunnel zumindest eingleisig wieder geöffnet werden. Diese Lebensader für den Güterverkehr via Chiasso ist seit Ende November wegen Wassereinbrüchen geschlossen. Das verursachte SBB Cargo monatliche Einnahmeausfälle von fünf Mio. Franken.

Es ist auch schwer verständlich, dass wir in der Schweiz für Milliarden neue Basistunnels durch die Alpen bauen und im italienischen Luino, dem Grenzbahnhof an der wichtigsten Nord-Süd-Transitstrecke im kombinierten Verkehr, Handweichen in Betrieb sind. Das ist ein Anachronismus. Das betonen wir auch immer wieder bei der EU-Kommission in Brüssel.

Die Schweiz ist nicht Mitglied der EU, haben die SBB dadurch Nachteile?

B.W.: Nein, überhaupt nicht. Gerade im Bahnbereich werden wir gehört. Wir haben einen hervorragenden Ruf und gelten in Brüssel als Profis im Bahnbetrieb.

Der Personenverkehr nimmt Jahr für Jahr zu. Ist die Sättigung bald erreicht?

B.W.: Nein, der Personenverkehr wird weiter sehr stark zunehmen, das ist ganz klar. Der Grund ist, dass wir gegenüber dem Autobahnverkehr immer schneller werden. Am 12. Dezember 2004 geschieht mit der Bahn 2000 ein gewaltiger Schritt. Die Fahrpläne des ganzen öffentlichen Verkehrs werden in der ganzen Schweiz grundlegend neu gebaut, Fahrzeiten verkürzt, Anschlüsse optimiert. Das Problem wird sein, dass wir zu Spitzenzeiten genügend Sitzplätze haben werden.

Im Rahmen von Bahn 2000 kommt auch das neue europäische Sicherheitssystem ERTMS zum Einsatz, das auch für das europäische Hochgeschwindigkeitsnetz vorgesehen ist. Spielt die Schweiz hier eine Schlüsselrolle?

B.W.: Ja, leider. Wir sind die Versuchskaninchen, weil wir die Neubaustrecke in Betrieb nehmen. Auf der Strecke Olten – Luzern ist bereits ein Pilot in Betrieb, und die Geduld unserer Kunden wurde dabei arg strapaziert, was uns sehr leid getan hat. Es ist nie wünschenswert, «first mover» zu sein. Bei diesem System ist der Fokus der EU-Kommission und ganz Europas enorm stark auf die Schweiz gerichtet.

2004 kommt nicht nur die Bahn 2000, sondern auch die EU-Osterweiterung. Was ändert sich für den europäischen Schienenverkehr und für die Schweiz?

B.W.: Für die SBB hat das keine direkten Auswirkungen. In den neuen EU-Ländern wird es enorme Probleme geben, denn es ist überhaupt kein Kapital für die Infrastruktur vorhanden. Vielerorts ist die Zukunft der nationalen Bahngesellschaften sehr offen.

Wird nicht der hohe Investitionsbedarf den Trend hin zur Strasse weiter verstärken?

B.W.: Im West-Ost-Verkehr kann ich mir das gut vorstellen. Man hat bei der Öffnung des Ostens die grossen Chancen verpasst, ein paar Korridore nur für den Güterverkehr zu bezeichnen. Aber im Nord-Süd-Verkehr mit der Passage durch die Alpen geht es nicht ohne die Schiene.

Wie sieht das europäische Schienennetz in 30 Jahren aus? Wird es noch nationale Bahnen geben?

B.W.: Mit Sicherheit werden die Infrastrukturen national bleiben. Was ich mir erhoffe, ist, dass es uns in den grossen Güterverkehrs-Korridoren gelingt, den Personen- und Güterverkehr zu entmischen und einheitliche Betriebssysteme zu etablieren. Das wäre die Zukunft, aber das ist sehr schwierig zu realisieren.

Benedikt Weibel ist Konzernchef der SBB und Präsident des Internationalen Eisenbahnverbandes UIC.

swissinfo-Interview: Hansjörg Bolliger

SBB-Konzernverlust 2002: 12,2 Mio. Fr.
Rückstellungen für Pensionskasse 2002: 183 Mio. Fr.
Rückstellungen für die nächsten 14 Jahre: jährlich 145 Mio. Fr.
Personenverkehr Gewinn 2002: 113,7 Mio. Fr. (+41,4%)
Güterverkehr Verlust 2002: 96,1 Mio. Fr. (-41,3%)
Mitarbeiter: 27’767

In Europa nahm der Güterverkehr auf der Strasse zwischen 1980 und 1997 um 74% zu, auf der Schiene ging er um 24% zurück.

Der Anteil des Schienen-Güterverkehrs durch die Alpen sank zwischen 1981 und 2001 von 53% auf 39%.

In der Schweiz werden 67% der alpenquerenden Güter auf der Schiene transportiert, (Frankreich 25%, Österreich 29%).

Der Anteil der Strasse wächst in der Schweiz schneller als in den Nachbarländern.

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