Moutier macht sich Sorgen um Tornos
Im Jura, der stark vom Industriesektor geprägt ist, sind Wirtschaftskrisen oft schneller und heftiger spürbar als anderswo in der Schweiz. In Moutier machen sich die Einwohner Sorgen um den grössten Arbeitgeber der Region, den Maschinenbauer Tornos.
Das Schicksal des rund 7400-köpfigen Orts Moutier, in einem abgelegenen Tal zwischen Schluchten und bewaldeten Hügeln im Berner Jura gelegen, ist eng mit dem Werkzeugmaschinen-Hersteller Tornos verbunden. Tornos ist der grösste Arbeitgeber in der Region: Rund 600 der insgesamt 730 Tornos-Angestellten arbeiten in Moutier.
«Tornos ist das wirtschaftliche Barometer der Region», sagt der 68-jährige Jean-Pierre Chevalier, der in Moutier lebt.
Weiter Kurzarbeit angesagt
Im Techno-Center von Tornos hantieren Arbeiter in blauen Overalls an ratternden Maschinen.
Die Geschäftigkeit täuscht: Nachdem bereits für die Monate Oktober 2008 und Januar 2009 Kurzarbeit eingeführt worden war, wird Tornos gemäss Finanzchef Philippe Maquelin voraussichtlich bereits im April und Mai wieder auf Kurzarbeit setzen.
Die Maschinen zur Herstellung von Drehautomaten, die aus Metallstangen verschiedenste Werkstücke produzieren, werden gemäss Maquelin voraussichtlich nur das halbe Jahr laufen.
Drei Viertel weniger Gewinn
Die Autohersteller, die mit diesen Automaten etwa Entlüftungs-Schrauben, Kugelgelenke und Motorteile produzieren, haben die Rezession bereits 2008 deutlich zu spüren bekommen. Auch den anderen Kundensegmenten von Tornos – der Uhrenindustrie, der Elektronik-Branche und der Medizinaltechnik – macht die Krise bereits seit längerem zu schaffen.
Wie Tornos letzte Woche mitteilte, brach der Gewinn 2008 um mehr als vier Fünftel auf 6 Mio. Franken ein. Der Auftragseingang schrumpfte um 18,2% auf 232,1 Mio. Franken.
Das Unternehmen baute seit Mitte 2008 konzernweit insgesamt 105 Stellen ab. Seit 2001 hat sich die Anzahl Angestellter von 1200 auf 720 fast halbiert.
«Rückkehr zur Normalität»
«Tornos erachtet die soziale Rolle des Unternehmens in seiner Region sowie die Erhaltung der Lebensqualität seiner Mitarbeiter als wichtigste Aufgabe», heisst es auf der Website. Eine grosse Herausforderung im Moment.
«Bis im Herbst 2010 kann dank Änderung des Arbeitslosengesetzes auf Kurzarbeit gesetzt werden, bis dann wird es keine grösseren Entlassungen geben», sagt Maquelin. Niemand wisse, wie die Zukunft aussieht, doch dass die Rezession länger als drei Jahre dauern werde, sei nach heutigen Kenntnissen unwahrscheinlich.
Könnte es zum Paradigmenwechsel kommen, von der Gewinnmaximierung um jeden Preis zu einem «gesunden» Wachstum? «Es geht nicht um einen Paradigmenwechsel, sondern vielmehr um eine Rückkehr zur Normalität», sagt Maquelin, der 2002 zu Tornos kam, um das Unternehmen zu sanieren.
Die Bemühungen des damaligen Managements, den Betrieb für die Börse fit zu machen, hatte die Traditionsfirma 2001 an den Rand des Ruins getrieben.
Mehr Arbeitslosengeld statt Kreisel
Wie zahlreiche Firmen in der Schweiz produziert auch Tornos primär für den Export.
Was die Konjunkturprogramme des Bundesrates betrifft, so ist Maquelin «ziemlich zufrieden», obwohl diese in erster Linie auf die Binnennachfrage setzen.
Die Verlängerung der Kurzarbeit und der Eingriff der Schweizerischen Nationalbank zur Schwächung des Frankens würden den Unternehmen viel bringen.
Klar, könnte man noch mehr machen, sagt Maquelin. Er schlägt etwa eine Erhöhung der Arbeitslosengelder vor. «Das hätte mehr Einfluss auf die Wirtschaft als der Bau von Kreiseln.»
Auch eine solidarische Haftung für kleine Zulieferer sowie eine Exportrisikogarantie, wie sie bereits in der Krise der 1970er-Jahre zum Ausgleich der Wechselkursschwankungen eingesetzt wurde, hielte er für hilfreich.
Eine Verschrottungsprämie, wie sie etwa in Deutschland eingeführt wurde, ist nach Maquelins Meinung hingegen nur kurzfristig interessant. «Ich glaube, dass der Druck der Ökologie die Automobilhersteller bald zur Entwicklung umweltfreundlicher Wagen bewegen wird – das bringt für Firmen wie Tornos mehr.»
«Indianer-Reservat»
Nicht nur die Angestellten von Tornos, auch die Einwohner von Moutier sind verunsichert: Sie machen sich alle Sorgen um die Zukunft der fast 130-jährigen Traditionsfirma.
Das Provinzstädtchen wirkt derzeit verlassener denn je. Das Restaurant «Cerf» im Zentrum ist geschlossen, verschiedene Läden sind bereist Konkurs gegangen oder stehen davor.
«Es ist eine richtige Katastrophe», sagt ein Taxi-Fahrer. Die Leute hätten Angst, würden kaum mehr ausgehen und Geld ausgeben. Das Leben in Moutier verarme noch mehr. Zahlreiche Einwohner hätten Moutier bereits in den letzten Jahrzehnten verlassen. «Wir werden zu einem Indianer-Reservat», sagt Jean-Pierre Chevalier.
Die jetzige Krise unterscheide sich von anderen darin, dass deren Ausmasse nicht erfassbar seien, sagt Claude Miserez, der in der Brasserie beim Bahnhof zu Mittag isst. «Ich glaube nicht, dass wir den Talboden erreicht haben. Es kann noch viel kommen.»
Anders sieht es die Besitzerin eines Coiffeursalons im Ort. «Es ist nicht die erste Krise. Wir sind es uns gewohnt», sagt sie. «Das Leben geht weiter.»
swissinfo, Corinne Buchser, Moutier
Die Schweiz steckt in der tiefsten Rezession seit über drei Jahrzehnten. Das Staatsekretariat für Wirtschaft (Seco) hat seine Prognosen im März kräftig heruntergeschraubt und sagt für 2009 einen Rückgang der Wirtschafts-Leistung um 2,2% voraus.
Für das laufende Jahr befürchtet das Seco einen Anstieg der Arbeitslosigkeit auf 3,8%. 2010 muss gemäss Seco sogar mit einer Arbeitslosenquote von 5,2% gerechnet werden (Feb. 2009: 3,4%).
Die Rezession zeigt sich auch beim markanten Anstieg der Kurzarbeit: Im Dezember 2008 war in 315 Betrieben reduziert gearbeitet worden. Das ist ein Plus von 87,5% im Monatsvergleich.
Insgesamt waren 5791 Personen von Kurzarbeit betroffen. Das ist ein Anstieg um 122% gegenüber November.
Das Seco geht von einer weiteren deutlichen Zunahme der Kurzarbeit aus. Laut Seco meldeten allein im Januar 1268 Betriebe Kurzarbeit an.
Im Februar 2009 brachen die Exporte erneut ein, sie fielen nominal um 17,3% auf rund 14 Mrd. Franken.
Am härtesten traf es die Metallbranche, deren Exporte um 36,6% zurückgingen.
Auch die Textil- und die Kunststoffindustrie büssten über 30% ein. Die Maschinen- und Elektronikindustrie sowie die Papier- und Grafische Industrie verbuchten ein Minus von je rund einem Viertel. Die Uhrenindustrie büsste 22,4% ein.
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