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Müll aus Neapel bald in der Schweiz?

Müllberge, die zum Himmel stinken: Die Schweiz bietet Neapel Hilfe bei der Entsorgung an. Keystone

Die Abfallberge, die sich in Neapel türmen, könnten zumindest teilweise in die Schweiz gelangen und hier verbrannt werden. Entsprechende Verhandlungen sind im Gange.

Zahlreiche schweizerische Kehrichtverbrennungs-Anlagen sind im Gespräch mit den Behörden Neapels. Der Bund hat grundsätzliche Einwände gegen den Abfall-Import, Umweltverbände sind dagegen.

14 Betreiber von Kehrichtverbrennungs-Anlagen (KVA) aus der Deutschschweiz würden mit Neapel verhandeln, sagte Pierre Ammann, Präsident des Verbandes der Betriebsleiter und Betreiber Schweizerischer Abfallbehandlungs-Anlagen (VBSA), am Freitag.

Darüber hinaus hätten sich die Betreiber der Anlagen in Genf, Lausanne, Bern und Zürich zu gemeinsamen Verhandlungen mit Neapel zusammengeschlossen, sagte Ammann weiter. Die Schweizer Entsorger sind aber nicht allein mit ihrer Offerte: Auch Konkurrenten aus andern Ländern interessieren sich.

Bevor der Müll importiert werden könnte, müssten die Standortkantone und das Bundesamt für Umwelt (Bafu) ihre Zustimmung erteilen. Laufe alles nach Plan, könnte der neapolitanische Müll bereits im Februar importiert werden, sagte Ammann.

Problem rasch lösen

Robert Cramer von der Genfer Kantonsregierung signalisierte in einem Interview mit der Zeitung «Le Temps» vom Freitag die Zustimmung des Kantons. Das Problem in Italien müsse möglichst rasch gelöst werden.

Bis am Freitag ging beim Bafu in Bern noch kein Bewilligungsgesuch ein, sagte Beat Frei von der Sektion Altlasten und Industrieabfälle gegenüber swissinfo.

«Es sind Gespräche im Gange, aber es ist noch kein Import bewilligt worden. Es wurde auch noch kein Gesuch eingereicht», sagte Frei.

Eine Einfuhr macht laut Frei durchaus Sinn, weil die Schweiz so die vorhandenen Kapazitäten ihrer Verbrennungsanlagen optimal ausnützen könnte. Frei sprach sich aber dafür aus, dass der Transport per Güterzüge erfolgen sollte statt mit Lastwagen.

Bewilligung mit Auflagen

Der Müllimport sei längerfristig betrachtet keine Lösung, räumt Hans-Peter Fahrni, Chef der Abteilung Abfall und Rohstoffe im Bafu, ein. Kurzfristig könne damit aber eine Umweltverschmutzung verhindert werden. Ausserdem produzierten die Kehrichtverbrennungs-Anlagen Strom und Fernwärme.

Bedingung für die Bewilligung wäre, dass der Müll auf der Schiene transportiert würde. Eine Radioaktivitätskontrolle könnte ebenfalls verlangt werden, da nicht ausgeschlossen sei, dass die neapolitanischen Abfälle Spitalmüll enthielten.

Ökologisch sinnvoll?

In Neapel haben sich in den letzten Wochen und Monaten rund 110’000 Tonnen Müll angehäuft. Gemessen an den 3,5 Mio. Tonnen, die pro Jahr in der Schweiz verbrannt würden, sei dies keine grosse Menge, sagt Ammann. Der neapolitanische Müll würde auf 15 bis 20 Anlagen in der Schweiz verteilt.

Aus ökologischer Sicht wäre der «Abfall-Tourismus» nach Ansicht von Ammann sinnvoll. Bei der offenen Verbrennung des Mülls in Neapel werde 1000 mal mehr Dioxin freigesetzt als bei der Verbrennung in Schweizer Anlagen, die weniger als 0,1 Nanogramm Dioxin pro Kubikmeter Abgase ausstiessen.

Umweltorganisationen skeptisch

Umweltorganisationen sehen dies anders. Es sei nicht sinnvoll, diese Berge von Müll in die Schweiz zu transportieren, sagte Adrian Schmid vom Verkehrs-Club der Schweiz (VCS) am Schweizer Radio. Bedenken hegen auch die Alpeninitiative und der WWF.

Kurzfristig betrachtet sei es sicher besser, den Müll in Schweizer Anlagen zu verbrennen als auf offener Strasse in Italien, sagte dagegen WWF-Sprecher Fredi Lüthin. Falsch wäre es aber, die Kapazitäten in der Schweiz zu erhöhen, um aus wirtschaftlichen Gründen ausländischen Müll zu verbrennen.

swissinfo und Agenturen

Für die Kehrichtverbrennungs-Anagen ist der Import von Müll in der Tat lukrativ: In der Anlage Bazenheid (Kanton St. Gallen) etwa kostet die Entsorgung einer Tonne Hausmüll 250 Franken. Die Verbrennung von 110’000 Tonnen würde 27 Mio. Franken einbringen.

Die 29 Kehrichtverbrennungs-Anlagen in der deutschsprachigen Schweiz sehen sich zunehmender Konkurrenz ausgesetzt: Deutschland ist daran, eigene KVA zu bauen, ebenso der Kanton Tessin.

Schon heute stammt jeder zehnte Abfallsack, der in der Schweiz verbrannt wird, aus dem Ausland. Im Jahr 2006 wurden insgesamt 420’000 Tonnen Müll importiert, fast 80% stammten aus Deutschland.

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