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«Mulmiges Gefühl» trotz «reinigendem Gewitter»

Monothematische Schweizer Presse am Dienstag: Überall krachts in der Finanzwelt. swissinfo.ch

Der US-Bankenkrach von Montag beschäftigt die Zeitungen vom Dienstag. Ein solches Beben habe Wallstreet und damit die globale Finanzwelt wohl seit den 30er-Jahren nicht mehr erlebt. Dennoch gibt es in der Schweizer Presse optimistische Kommentare.

Die geballte Ladung der privaten und staatlichen Anstrengungen, Übergangskredite zu gewähren, Liquidität bereit zu stellen, die Aktionen zu konzertieren und Notfonds zu errichten, sei den Marktteilnehmenden eher als «beängstigender Donnerschlag» vorgekommen, als dass es sie beruhigt habe, schreibt die Neue Zürcher Zeitung.

Die Aktienkurse jedenfalls seien rund um den Globus gesunken. Doch «Gewitter bringen nicht nur Blitz und Donner, sie reinigen auch die Luft.» Die NZZ sieht deshalb in den Ereignissen der letzten drei Tage auch «hoffnungsvolle Signale».

Ähnlich die Aargauer Zeitung, welche etwas relativiert: Erstens habe der «ganz grosse Knall» verhindert werden können. Obschon das, was an den Finanzmärkten gegenwärtig abgehe, die Vorstellungskraft der meisten Menschen übersteige.

Und zweitens habe die Finanzmarktkrise noch nicht so richtig auf die Konjunktur durchgeschlagen. Die AZ empfindet dennoch den Zweckoptimismus von Bundesrat Rudolf Merz etwas allzu blauäugig, wenn er sagt, dass «die Ereignisse in den USA keine Auswirkungen auf unsere Volkswirtschaft hätten».

So hofft denn die Aargauer Zeitung, dass sich die Rohstoffhändler irren, wenn sie den Ölpreis um 5% einbrechen liessen, dass sich auch die Aktionäre irren, wenn sie aus Banktiteln flüchten, und dass sich auch die Pessimisten irren, wenn sie den Experten nicht mehr glauben…

Neue Dimension der Finanzkrise

Etwas bedrohlicher sieht der Tages-Anzeiger das Ganze: «Seit den Dreissiger Jahren hat Wallstreet ein Erdbeben von so einer Wucht nicht mehr erlebt». Über Nacht seien mit Lehman Brothers und Merrill Lynch zwei grosse Namen im Investment Banking verschwunden.

Die Finanzkrise habe somit eine neue Dimension erreicht: Die globale Finanzordnung, wie sie bis 2007 herrschte, werde nie mehr wiederkehren. Aber der Tagi warnt: «Machen wir uns auf eine weitere böse Überraschung gefasst.»

«Früher sprangen die Banker aus dem Fenster»…

…kommentiert der Blick, «heute packen die Kleinen im Banken-Business von New York ihre Büro-Habseligkeiten in die Kartonbox und die Grossen zählen die verbliebenen Millionen…».

Das Boulevardblatt hängt die Finanzkrise an den Pensionskassen auf, die mit «unserem zwangsgesparten Geld» mit drin hängen. «Einmal mehr. Wie bei der UBS sind todsichere Anlagen von einem Tag auf den anderen keinen Rappen mehr wert.»

«Banken ächzen, Börsen krachen»…

…titelt die Basler Zeitung. Sie konstatiert den Höhepunkt der «vierten Welle der inzwischen schon 13 Monate alten Finanzkrise». Während die US-Regierung vor wenigen Tagen noch die Hypotheken-Finanzierer Fannie Mae und Freddie Mac verstaatlicht hat, werde Lehrman Brothers nun fallen gelassen.

Deshalb, so die BaZ, hätten dann die zehn grössten Banken, darunter die UBS und die Credit Suisse, übers Wochenende einen Liquiditätspool auf die Beine gestellt.

«Wichtig ist, dass die Banken endlich damit begonnen haben, sich selber zu helfen», so das Basler Blatt.

«Schwarzes Loch» statt «schwarzer Montag»

Den französischsprachigen Journalisten geht sogar der Wortschatz aus, um das Geschehen in Wall Street zu beschreiben: Der Westschweizer Le Temps titelt «Le krach des géants».

Und die Karikatur auf der Frontseite illustriert für einmal keinen «schwarzen Montag», sondern das berühmte Genfer «Schwarze Loch».

Mitte August habe der Aktienkurs der UBS 55 Franken betragen, und Wall Street zählte 5 grosse Geschäftsbanken, so die Zeitung aus Genf. Seit Montag seien es nur noch zwei, und die UBS koste noch 20 Franken. «Nous y sommes – hier sind wir nun angelangt.»

Angst vor Kaskaden-Konkursen einerseits, Hoffnungen auf eine wirkliche Lösung der Krise anderseits. Moralisch gesehen, so Le Temps, treffe es die Banken zu Recht: Sie hätten ihren Auftrag pervertiert, und – teils noch auf dem Buckel der Kunden – unüberlegt und gierig spekuliert.

Wirtschaftlich gesehen jedoch sei das Ganze sehr riskant. Obwohl das Westschweizer Blatt eine Wiederholung des grossen Krachs von 1929 ausschliesst, da sich die Geschichte nie in derselben Art wiederhole.

Die Weltwirtschaft hänge heute weniger von einer einzigen Grossmacht ab, sondern profitiere von zahlreichen aufstrebenden Ländern. «Wir erleben heute die erste globale Krise, die nicht nur Weltbörsen umfasst, sondern auch die volatilen Rohstoffe und Energiepreise mit Finanzaspekten mischt.»

swissinfo, Alexander Künzle

Am Sonntag abend wurde der Konkurs der traditionellen Investmentbank Lehman Brothers bekannt.

Ebenso ist das bekannte Institut Merril Lynch für 50 Mrd. Dollar von der Bank of America übernommen worden.

Schliesslich sucht AIG, der grösste Versicherer der Welt, hektisch nach 40 Mrd. Dollar, um nicht abzutauchen.

Zehn internationale Grossbanken, darunter auch die UBS und Credit Suisse, haben die Absicht bekundet, einen Solidaritätsfonds in der Höhe von 70 Mrd. Dollar zu schaffen.

Jeder der Banken könnte dann, falls nötig, bis 20 Milliarden daraus beziehen.

In der Schweiz hat die Schweizerische Nationalbank mehr als 8 Mrd. Franken an Liquidität eingeschossen – doppelt so viel wie üblich.

Damit können die Banken besser mit den vielen Verkäufen an der Börse zurecht kommen (das heisst, die Aktien bezahlen).

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