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Neue Banker braucht das Land

Reuters

Die Banken- und Finanzkrise nimmt kein Ende. Von den USA aus hat sie mittlerweile auch Europa sowie andere Kontinente heimgesucht. Die Öffentlichkeit ist beunruhigt. - Die Krise aus der Sicht eines Wirtschaftsethikers.

Die Krise hat in einer breiten Öffentlichkeit Ängste und Empörung ausgelöst: Bankmanager, die jahrelang abgesahnt haben, die mitverantwortlich für die Krise sind; der Staat bzw. die Steuerezahler als Nothelfer; die Gewinne wurden jahrelang privatisiert, die Verluste sollen jetzt sozialisiert werden.

Für Ulrich Thielemann, Vizedirektor des Instituts für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen, muss sich der totale Glauben an den Markt ändern. Und dazu brauche es anders denkende Banker als jene von heute, sagt er im Gespräch mit swissinfo.

swissinfo: Können Sie die Volksempörung über die Finanzkrise nachvollziehen?

Ulrich Thielemann: Ich wüsste nicht, wie man sie nicht nachvollziehen können sollte. Das ist derart skandalös, was da passiert, das spottet jeder Beschreibung.

Der Kapitalmarkt hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten eine immense Macht gewonnen und zu grosser Unbill geführt.

Der Kapitalmarkt hat ein grosses Kasino gebaut, und die Aufsichtsbehörden haben es laufen lassen oder noch befeuert. Jetzt müssen die Bürger für die Verluste aufkommen. Das ist skandalös.

swissinfo: Es gibt Ängste in der Bevölkerung, dass später auch die Pensionskassen von der Krise tangiert werden könnten. Eine realistische Einschätzung?

U.Th.: Das kann ich nicht sagen, ich bin kein Finanzmarkt-Experte. Ich bin als Wirtschaftsethiker für die Denkmuster zuständig. Diese Krise bestätigt jedenfalls die Befürchtungen bzw. die Illusionen, die man haben konnte, dass substantielle Anteile der Altersversorgung über den Kapitalmarkt finanziert werden können. Die Gefahren sind immens.

swissinfo: Es gibt vier Rezepte zur Lösung der Krise: Der Staat kauft faule Kredite; der Staat garantiert, als Retter bereitzustehen, auch für Spargeldeinlagen; der Staat beteiligt sich an den Krisenbanken; der Staat mischt sich nicht ein. Welches Rezept ist das beste?

U.Th.: Das sind eigentlich keine Lösungen der Krise, sondern Feuerwehrübungen zur Vermeidung einer Weltwirtschaftskrise. Da das Kapital offenbar nicht nur ein Glasperlenspiel innerhalb der Aktionärschaften, sondern mit der Realwirtschaft verknüpft ist, dem Kreditmarkt nämlich, hat es uns, die sonstige Bevölkerung, in eine Art Geiselhaft genommen.

Die erste Variante ist wahrscheinlich die schlechteste Lösung. Eine Kombination zwischen der zweiten und dritten Variante fände ich am besten. Wir müssen aber nicht nur auf kurzfristige Lösungen achten.

swissinfo: Viele EU-Staaten haben Garantien für Spareinlagen ihrer Bürger erlassen. Auch die Schweizer Regierung will die Einlagen von Bankkunden schützen. Der richtige Schritt?

U.Th.: Das ist hart erarbeitetes Geld, und – um es mal ganz böse zu sagen – darauf hat es das Kapital abgesehen. Letztlich würde die Katastrophe – Stichwort 1929 – dann genau passieren, wenn diese Spargelder abgezogen würden. Deshalb ist es wohl richtig, dafür zu garantieren.

swissinfo: Haben Sie als Wirtschaftsethiker eigene Rezepte zur Lösung der Krise?

U.Th.: Eine der wesentlichen Ursachen liegt in den Boni. Da hat ja die eine Bank einer anderen oder dem Investor finanziellen ‹Giftmüll› verkauft, und beide Seiten haben dafür satte Boni eingestrichen. Diese Kaskade muss ein Ende haben.

Dafür braucht es Regulierung, auch wenn sich diese Herren dagegen wehren. Und zwar wären die Anteile, die an die Mitarbeiter und Manager in Form variabler Vergütungen ausgezahlt werden, drastisch zu begrenzen. Dann können die Mitarbeiter sich wieder auf die sachliche Qualität des Geschäfts konzentrieren, statt in verantwortungsloser Gier dem nächsten Bonus hinterherzulaufen.

So etwas müsste global koordiniert werden. Wir sind in einer globalen Wirtschaft und brauchen darum eine globale Lösung.

Der tiefere Grund der Krise ist die Marktgläubigkeit: je mehr Gier, desto besser für alle. Genau das ist falsch. Die Politik hat hier auch versagt und sich davon verabschiedet, als Regulator der Wirtschaftsordnung zu fungieren.

Jetzt stehen wir in einer Zeit, in der die Marktgläubigkeit Gott sei Dank genau so platzt wie die Hypothekenblase. Damit ist der Weg frei für Lösungen, die dem Wohl aller verpflichtet sind, für das die Marktwirtschaft doch ursprünglich mal gedacht war. Die Experten, welche die Mechanik der Finanzmärkte besser verstehen als ich (hoffe ich mal), sollten sich von der Marktgläubigkeit verabschieden. Dann erst gibt es Lösungen, die fair sind für alle.

swissinfo: Glauben Sie denn wirklich daran, dass die Gilde der Banker aus der Krise lernt?

U.Th.: Um daraus zu lernen, brauchen wir das richtige Personal: Manager, die wissen, was Integrität bedeutet und dass sie notwendig ist. Leute, die nicht nach der Karotte der Boni laufen, Banker, die weniger eitel sind als die jetzigen.

Was heute passiert, ist praktisch nur die Umsetzung dessen, was in den Lehrbüchern steht: Gewinnmaximierung. Man spricht da nicht von Gier, sondern von ‹Rationalität›. Wenn man das nicht tut, ist man offenbar irrational…

Das muss geändert werden, da muss sich die Ausbildung und die universitäre Bildung verändern. Und zwar tiefgreifend, da es um die Grundlagen der ökonomischen Lehrmeinungen geht, mit der Manager und Banker in die Praxis entlassen werden. Das ist eine langfristige Aufgabe, nur so kann es gehen.

swissinfo-Interview: Jean-Michel Berthoud

Geboren 1961 in Remscheid (Deutschland).

Studium der Wirtschaftswissenschaften in Wuppertal.

Ist seit 1989 an der Universität St. Gallen und war von 1990 bis 1996 persönlicher Assistent von Prof. Peter Ulrich.

1996 schloss er seine Dissertation zum Thema «Das Prinzip Markt» ab. Von September 1996 bis Dezember 1997 hielt er sich im Rahmen seines Habilitationsprojektes («Wettbewerb als Gerechtigkeitskonzept») an der American University in Washington, USA, auf.

Ulrich Thielemann ist derzeit Vizedirektor des Instituts für Wirtschaftsethik an der Universität St. Gallen.

Durch die Finanzkrise sank das kumulierte Geschäftsergebnis aller Schweizer Banken 2007 gegenüber dem Vorjahr um 3,1%.

Sie verdienten aber in dieser Zeit immer noch über 70 Mrd. Franken.

Die Branche schliesst eine negative Entwicklung der Geschäftsergebnisse 2008 nicht aus (Quelle: Bankenbarometer der Bankiervereinigung).

Im ersten Halbjahr 2008 sackten die verwalteten Vermögen aufgrund der Börsenbaisse um rund 10% ein und betrugen Ende Juni wieder weniger als 5 Billionen Franken.

Ende 2007 waren es noch 5,4 Billionen Franken gewesen (Quelle: Forschungsinstitut BAK Basel Economics).

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